Inklusion

Doppelter Türöffner: Warum die Nürnberg Falcons künftig auch auf Rollstuhlbasketball setzen.

Sebastian Gloser

Sportredakteur

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23.11.2023, 11:00 Uhr
Mit einem Lächeln im Gesicht: Gesche Schünemann beim Besuch am Willstätter Gymnasium.

© Stefan Hippel, NNZ Mit einem Lächeln im Gesicht: Gesche Schünemann beim Besuch am Willstätter Gymnasium.

Auf die Frage hin, wer den Mann mit dem schwarzen Vollbart und jüngeren Mann neben ihm kennt, geht zunächst einmal kein Finger in die Luft an diesem Morgen in der Turnhalle des Willstätter Gymnasiums. Auf die Frage, wer später mal eine echte olympische Goldmedaille sehen möchte, dafür umso mehr. Gesche Schünemann weiß, wie sich die Zurückhaltung von Sechstklässlerinnen und Sechstklässlern auflösen lässt. Eine Stunde später nehmen die Mädchen und Jungs angemessen begeistert die Goldmedaille von den Paralympics 2012 in London in die Hand und lassen sich Autogramme geben von dem Mann mit dem schwarzen Vollbart und seinem jüngeren Kollegen.

Gesche Schünemann, Bastian Doreth und Matthew Meredith sind Ende Oktober früh aufgestanden, um pünktlich zur Sportstunde von Barbara Frey in der Turnhalle zu stehen. Der heutige Unterricht ist ein Experiment - für die Schule und die Lehrerin, aber auch für die Abordnung von den Nürnberg Falcons.

Der "Dirk Nowitzki des..."

Weil sich der Falcons e.V., also der Breitensportverein hinter dem Profi-Basketballklub, für Menschen mit Behinderung öffnen will, ist man mit Schünemann zusammengekommen. Doreth ist nicht nur Kapitän bei Nürnbergs Zweitliga-Basketballern, er ist auch Gründungsmitglied und Vorstand des e.V., der Verein will den Sport auf allen Ebenen in der Stadt voranbringen. Sie wollen die Menschen bewegen - egal, ob klein oder groß, ob auf Beinen oder Rädern. Deswegen haben sie seit September eine "Geschäftsführung Inklusion", deswegen haben sie den „Dirk Nowitzki des Rollstuhlbasketballs“ ins Team geholt.

Mit diesen Worten stellt Doreth Schünemann der Klasse 6c des Willstätter Gymnasiums vor, immerhin diesen Namen haben einige der Schülerinnen und Schüler schon einmal gehört. Schünemann "muss jedes Mal schmunzeln", wenn sie so vorgestellt wird, "aber", sagt sie, "Dirk ist eine Legende. Ich nicht." Zumindest nicht, wenn man die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit als Maßstab nimmt. In der Welt des Rollstuhlbasketballs ist die gebürtige Gießenerin, die seit sieben Jahren in Nürnberg lebt, tatsächlich genau das: eine Legende.

Weil sie sich mit Anfang 20 schwer am Knie verletzt, probiert sie einfach mal aus, ihren Lieblingssport mit Hilfe eines Rollstuhls weiter auszuüben. Das klappt so gut, dass sich schon bald der Trainer der Nationalmannschaft meldet, obwohl sie noch gar nicht in der Liga spielt. Zwei Jahre später gewinnt sie Silber bei den Paralympics in Peking, acht Jahre später gelingt ihr das in Rio de Janeiro noch einmal, den größten Erfolg feiert sie dazwischen in London. "Das war einfach einmalig, was da in England veranstaltet wurde", erzählt Schünemann ein paar Wochen nach der Sportstunde am Willstätter Gymnasium. 16.000 Zuschauerinnen und Zuschauer kamen damals zu den Spielen, der Nischensport bekam vorübergehend die Aufmerksamkeit von NBA-Spielen. Wenig später traf der Nowitzki des Rollstuhlbasketballs den echten Nowitzki, der sie und ihre Mitspielerinnen zu einem Spiel nach Dallas einlud.

Schnelle Erfolgserlebnisse

Wer verstehen will, warum die Falcons um sie, die eigentlich schon fast als Projektmanagerin beim Bamberger Basketball zugesagt hatte, geworben haben, muss zunächst einmal ihre Geschichte kennen. Muss wissen, welchen Aufwand sie betrieben hat, um jahrelang neben einem Vollzeitjob als Halbprofi von Korb zu Korb zu rasen. Und ahnt dann, warum ihre neue Aufgabe für sie nicht einfach eine ist, die ihre Miete finanziert. Berufung statt Beruf, um es sehr verkürzt und sehr platt auszudrücken.

In die Turnhalle des Willstätter Gymnasiums haben Gesche Schünemann und ihre Mitstreiter zehn eigens für den Sport präparierte Rollstühle mitgebracht. Schünemann bringt den Schülerinnen und Schülern zunächst bei, wie man möglichst schnell vorwärts fährt, dann rückwärts, dann mit Ball, bevor endlich auch auf den Korb geworfen wird. Die ersten Erfolgserlebnisse stellen sich schnell ein, jeder Treffer wird frenetisch bejubelt, beim abschließenden Spiel Fünf gegen Fünf zeigt sich, wie schnell die Klasse gelernt hat - und wie viel Spaß es allen Beteiligten macht.

Bei den Paralympics in Peking gewann Gesche Schünemann Silber, acht Jahre später ist ihr das in Rio de Janeiro (Foto) noch einmal gelungen, den größten Erfolg feierte sie dazwischen in London.

Bei den Paralympics in Peking gewann Gesche Schünemann Silber, acht Jahre später ist ihr das in Rio de Janeiro (Foto) noch einmal gelungen, den größten Erfolg feierte sie dazwischen in London. © imago sportfotodienst

"Es ist eigentlich immer so, dass sich am Anfang viele nur zögerlich in die Rollstühle setzen oder gar nicht mitmachen wollen", sagt Schünemann, die schon oft im Sportunterricht an Schulen zu Gast war. Manche Kinder bekämen von ihren Eltern gesagt: "Wer im Rollstuhl sitzt, ist krank." Das schreckt ab. "Aber am Ende gehen immer alle mit einem Lächeln aus der Halle." Einige wünschen sich danach sogar Sportstühle zu Weihnachten.

Ein kollektives Lächeln

Dieses kollektive Lächeln wie das Ende Oktober am Willstätter Gymnasium wollen Schünemann und die Falcons in Zukunft noch viel häufiger in Schulklassen erzeugen. Noch ist die endgültige Finanzierung des Projekts nicht geklärt, spätestens im neuen Jahr sollen die Konzepte, "die schon lange fertig in der Schublade liegen", wie es die Geschäftsführerin Inklusion formuliert, aber in der Praxis umgesetzt werden.

Im Unterricht über Inklusion sprechen, eine Rollstuhlbasketball-Sportstunde mit Profis von den Falcons, der kostenlose Besuch eines Heimspiels, ein weiterer Besuch in der Klasse, um über die Selbsterfahrung zu sprechen - so in etwa lautet Schünemanns "Wunschvorstellung", mit der sie künftig an 30 bis 40 Projekttagen pro Schuljahr gerne rund 3000 Schülerinnen und Schüler erreichen würde. Und die als doppelter Türöffner fungieren könnte; für junge Menschen beim Thema Inklusion einerseits, für die Basketballer der Falcons zu neuen Zielgruppen andererseits.

Nürnberg als Bundesligastandort?

Perspektivisch könnte Nürnberg zu einem Zentrum für Rollstuhlbasketball werden. Ab 1. Januar 2024 ist in Kombination mit der Bertolt-Brecht-Schule und des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern hier der Landesstützpunkt zuhause, ab 2025/26 hätten Spielerinnen und Spieler durch das barrierefreie Internat beste Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten. Ein Bundesliga-Standort im Rollstuhlbasketball wäre da nur konsequent.

Am Samstag wird Nürnberg zumindest für einen Nachmittag schon mal zu so einem Standort. Bevor sich die Falcons am Abend (18.30 Uhr) mit Karlsruhe messen, kommt es in der Kia Metropol Arena am Nachmittag (15.30 Uhr) zum Aufeinandertreffen des RSV Bayreuth gegen Alba Berlin, einem Topspiel in der zweiten Rollstuhlbasketball-Bundesliga. Wer ein Ticket kauft, darf sich beide Partien ansehen. Der Dirk Nowitzki des Rollstuhlbasketballs wird da sein, der Mann mit dem schwarzen Vollbart und sein jüngerer Kollege ebenfalls. Und vielleicht ja auch ein paar Schülerinnen und Schüler der 6c. Mit einem Lächeln im Gesicht.

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