Die Stimme des Spiels

Danke, Nürnberg (so verabschiedet sich Patrick Reimer)

Patrick Reimer

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16.3.2023, 19:00 Uhr
Und: Danke, Pucki.

© Thomas Hahn, Sportfoto Zink Und: Danke, Pucki.

Ich komme wieder. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich vor diesem Moment sogar mehr Respekt als vor meinem letzten Spiel. Als Reino (Steven Reinprecht, die Red.) seine Rede gehalten hat, hat er sich extra alles ganz groß aufgeschrieben. Ich glaube, so werde ich es auch machen. Aber wem danke ich, wen erwähne ich namentlich? Ich kann sie ja nicht alle erwähnen, dann würde das Spiel danach erst nach Mitternacht anfangen. Ihr seht, darüber denke ich jetzt schon nach und wahrscheinlich werde ich den Sommer über immer wieder daran denken. Vielleicht hole ich mir auch einen Ghostwriter.

Okay, das geht nicht, da muss ich schon selbst durch. Auch wenn das komisch wird: Wenn ich spielen durfte, habe ich mir keinen Kopf gemacht, wie viele Menschen dabei zugesehen haben. Da habe ich einfach gespielt. Aber wenn es soweit ist, werde ich aus dem Nichts heraus wieder im Mittelpunkt stehen und werde Worte, die mir viel bedeuten, an Menschen richten, die mir viel bedeuten. Das ist schon noch einmal eine andere Hausnummer.

Ihr dürft diesen Text als Übung ansehen.

Ich war schon früh in Nürnberg. Mit der Familie sind wir ich nach Herzogenaurauch gefahren – zum Outlet-Center, natürlich. Danach waren wir noch in Nürnberg, Bratwürste und Lochgefängnisse. Ich weiß noch, wie cool ich es fand, dass man die Daumen in die Schraubzwingen legen konnte. Da konnte ich ja nicht ahnen, dass mich diese Stadt später elf Jahre lang nicht mehr loslassen würde. Als Eishockeyspieler habe ich mir dann immer gedacht, dass das eigentlich kein schlechter Standort sei – und so nahe an Mindelheim.

"Überall grinst mich mein Gesicht an"

Düsseldorf wollte ich nicht verlassen, aber irgendwann haben sie mir bei der DEG gesagt, dass ich mich umschauen soll. Also musste ich mich umschauen. Beim Italiener hat mir der Lenz Funk dann gesagt, dass mich Thomas Sabo gerne nach Nürnberg einladen wollte. Und an einem freien Montag wurde ich dann eingeflogen. Das hat mich schon beeindruckt und hat mir gezeigt, wie groß das Interesse sein muss. Nachmittags waren wir dann beim Thomas zu Hause, das war schon eine besondere Nummer. Ich wollte damals Teil von etwas sein, dass erst noch aufgebaut wird, wo man vielleicht noch einen Ticken mehr um den Erfolg kämpfen muss, dazu kam das Winter Game. Ich glaube, nach Nürnberg zu wechseln und hier Verantwortung zu übernehmen, das war für mich und meine Entwicklung auch im Nachhinein ganz gut so. Auch wenn es viel schneller ging, als ich das gedacht hätte.

Ich hatte für den Verein noch nichts geleistet, komme hierher und werde in eine Rolle gedrängt, die eigentlich gar nicht meinem Naturell entspricht und die ich so auch nicht kannte. In Düsseldorf hatte Daniel Kreutzer immer die ganze Aufmerksamkeit bekommen. Das war super für mich. Und dann fahre ich durch Nürnberg und überall grinst mich mein Gesicht an. Zur ersten offiziellen Pressekonferenz wollte mich der Thomas dann auch wieder einfliegen lassen, nur für zwei Sätze. Da war ich aber mit der Nationalmannschaft in der WM-Vorbereitung in Bratislava. Kobi Kölliker, der damals Bundestrainer war, hat dem damals den Riegel vorgeschoben, wir sollten uns schließlich auf die Weltmeisterschaft vorbereiten. Na ja, das hätten wir auch besser mal machen sollen.

"Ich habe so geschrien"

Aber mir hat es gezeigt, dass da der Wille da ist, verrückte Sachen zu machen. Entsprechend groß war der Druck. Das Spiel selbst war der Wahnsinn, dieses Bewusstsein, da unten auf dem Eis zu stehen und zu wissen, dass die alle nur gekommen sind, um uns beim Eishockey spielen zuzuschauen. Und beim ersten Winter Game kamen die Fans ja wirklich auch ganz Deutschland, aus der Heimat war auch ein Bus dabei, klar.

Wenn ich heute den Jubel nach meinem Tor zum 3:2 sehe, denke ich mir immer noch: Was zur Hölle war da mit dir los? Aber das beschreibt das Gefühl ganz gut, wie besonders das in diesem Moment war. Das Hinfiebern, die Probleme, die wir vielleicht auch deshalb hatten, diese Fokussierung auf dieses eine Spiel. Und deshalb war der Jubel auch mindestens so intensiv wie beim Siegtor im Viertelfinale gegen Schweden bei den Olympischen Spielen 2018. Ich habe so geschrien, bin so aus mir herausgegangen, das war wirklich selten.

Emotional ging es dann immer weiter mit den Ice Tigers. Jede Saison war anders, jede Saison war besonders. So viele großartige Menschen, so viele Begegnungen, die ich nicht vergessen werde. Zwei fallen mir immer wieder ein. Vor zehn Jahren ist ein Rollstuhlfahrer gestorben, der großer Fan der Ice Tigers war. Wir sind dann zu fünft zur Beerdigung gefahren, irgendwo in der Fränkischen. Danach hat uns die Familie noch eingeladen und wir haben gesehen, wie er gelebt hatte. Schläger und Trikots hingen an den Wänden, alles war in Ice Tigers gebrandet.

"Meine Launen, mein Schimpfen"

Und genau das hat Rob Wilson dann in Worte gefasst, Jahre später: Viertelfinale gegen Augsburg, wir lagen 2:3 zurück, mussten also Spiel sechs in Augsburg gewinnen. Die Zeit mit Wilson war großartig, da waren wir auch wirklich nah dran, die Meisterschaft zu holen, da hat wirklich nicht viel gefehlt. Und ich bin heute noch überzeugt davon, dass München extremen Respekt vor uns hatte und immer froh war, dass Wolfsburg den Job für sie erledigt hatte. In Augsburg aber hat er eine Rede rausgehauen, so emotional, so gut. Wilson hat vom Privileg gesprochen, Eishockey spielen zu dürfen, und davon, was das bei den Menschen außerhalb der Kabine auslöst, bei unseren Familien und Freunden, und wie intensiv die Fans das alles leben. Daran habe ich immer wieder zurückdenken müssen – gerade in der letzten Woche.

Welche Emotionen Eishockey bei mir ausgelöst hat, das kann meine Frau Anja am besten beurteilen. Sie musste meine Launen ertragen, mein Schimpfen. Sie weiß von meinen schlaflosen Nächten. Aber was das Spiel auch abseits des Eises auslöst, das ist schon verrückt. Da bauen Menschen Beziehungen zueinander auf, die sich nicht kennen und die sich doch so gut kennen. Das haben auch meine Freunde aus Mindelheim mitbekommen. In der Heimat bin ich ja nie als Eishockeyspieler wahrgenommen worden, deshalb war ich ja auch immer so gerne zu Hause. Da wird man geerdet, von den Eltern, von meiner Frau, von meinen Freunden – die sagen mir schon, wenn ich ein Depp bin. Das mit dem Eishockey haben viele nur aus der Ferne mitbekommen. Und nach einem der letzten Spiele hat mich einer gefragt: „Du, die schreien ja alle deinen Namen. Warum?“

Mir war das am Ende oft zu viel Aufmerksamkeit und sehr emotional. Ich wusste nicht, dass mein Sohn Toni und sein Opa den Puck aufs Eis bringen, aber dann habe ich direkt vor dem Spiel die Anja schon im Gang stehen sehen, mit Tränen in den Augen. Da musste ich dann direkt in eine andere Richtung schauen, sonst wäre es bei mir auch losgegangen. Das war schon fies, ich musste ja noch Eishockey spielen. Auch in Bremerhaven war es emotional, da wusste ich ja auch nicht, dass die den Weg aus Mindelheim hochgefahren waren. Die T-Shirts, die Bärte, die Fans alles einfach. Aber ich wusste, danach kommen die Playoffs, „nur“ noch die Playoffs.

"Die das Spiel so lieben wie ich"

Mit der Niederlage in Bremerhaven hatte man rechnen können. Das war unglücklich, aber ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass wir zu Hause gewinnen. Aber nach dem 2:3 musste ich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass es vorbei sein könnte. Dass die Leute noch während des Spiels meinen Namen gerufen haben, habe ich mitbekommen. Ich wollte es aber nicht wahrhaben, wir hatten doch noch eine Auszeit! Alles war noch möglich.

Und dann war es doch vorbei.

In den Playoffs auszuscheiden, ist, Pardon, immer Scheiße. Ich war traurig, aber diesmal nicht so verbittert. In der Kabine wollte ich mich bedanken. Nach zwei, drei Sätzen aber habe ich abgebrochen und bin durchgelaufen und habe jeden einzelnen umarmt. Draußen auf dem Eis war es gut, es hat Spaß gemacht. Es war nur schade, dass der Mannschaft dieser Moment genommen wurde, weil immer nur nach Patrick Reimer gerufen wurde.

Supermann? In Nürnberg wurde und wird Reimer so wahrgenommen.

Supermann? In Nürnberg wurde und wird Reimer so wahrgenommen. © Thomas Hahn, Sportfoto Zink

War es das jetzt? Nein. Ich komme wieder, mit großen Buchstaben auf einem Zettel, zurück in eine Stadt, in der die Menschen einen Dialekt sprechen, den ich als schwierig empfunden hatte, den ich aber lieben gelernt habe, zurück zu Freunden, zurück an einen Ort, an dem ich so viel erlebt habe, so viel Spaß hatte, jeden Tag. Danke, Nürnberg.

Danke natürlich auch an meine Eltern, an meine Brüder, an meine Frau Anja, meine Mitspieler, meine Trainer, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle, die mir so viel abgenommen haben, und an alle Fans, die das Spiel so lieben wie ich.

Ich hatte nie eine Lieblingsmannschaft, nie einen Lieblingsspieler. Meinem Bruder Jochen war das immer wichtig, mir nicht. Aber wenn es im Spätsommer wieder losgeht, dann werde ich mir anschauen, was die Ice Tigers machen, vielleicht nicht zweimal am Wochenende, aber ich werde auf unserem Sofa über Schiedsrichterentscheidungen schimpfen, mich über Niederlagen ärgern und Tore bejubeln. Und ich werde mich an eine wunderschöne Zeit zurückerinnern.

Danke, Ice Tigers.

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