Defensiv-Horror im Volkspark
Gegentore leicht gemacht: 1:4 - Nicht nur Glatzel rasiert den Club in Hamburg
19.5.2024, 17:35 UhrDass es nicht primär um Unterhaltung ging nach einer enorm komplizierten Club-Saison, in der der 1. FC Nürnberg bis zum letzten Spiel um den Klassenerhalt hatte bangen müssen? Das hatte Cristian Fiél vor dem wirklich letzten Spiel der Zweitliga-Runde explizit gesagt. "Wir fahren da nicht zum Spaß hin", betonte Fiél in der Pressekonferenz vor Nürnbergs Abschlussfahrt in den Volkspark entsprechend ernst. Er hatte es vermutlich anders gemeint als es kam. Am 34. Spieltag hatte der HSV, wie eigentlich immer in Hamburg gegen den FCN, mit zu naiven Nürnbergern bei deren 1:4 (1:3) dort mächtig Spaß.
Reichert steht beim Club im Tor - Uzuns Abschiedsgeschenk
Im Vergleich zum 3:0 gegen Elversberg tauschte Fiél dreimal Personal. Dass der junge Jan Reichert anstelle von Carl Klaus zwischen den Pfosten stehen würde, hatte Nürnbergs Chefcoach schon auf der PK verraten. Dass man dem talentierten Keeper auch in der kommenden Saison das Club-Tor anvertraut, deutet sich an. Eine Empfehlung dafür? Galt es für den gebürtigen Schweinfurter, von dem sie seit einiger Zeit schon sehr viel am Neuen Zabo halten, bei seinem Profi-Debüt freilich abzugeben.
Weil Nathaniel Brown krankheitsbedingt nicht mitwirken konnte, übernahm Jannik Hofmann, der in Düsseldorf in offensiverer Rolle debütiert hatte, als Rechtsverteidiger. Und war im Volkspark im Anschluss massiv ge- und überfordert. Ivan Marquez, der früh besonders negativ auf sich aufmerksam machen sollte, verteidigte statt Horn zentral. Taylan Duman ersetzte im Mittelfeld den gelbgesperrten Uzun, der mit einem traumhaften Assist und seinem 16. Saisontor wesentlich zu Nürnbergs Klassenverbleib beigetragen hatte. Wie Brown wechselt der im Offensivbereich Hochbegabte nun zu klassenhöheren Frankfurtern.
Vor über 55.000 Zuschauern gestaltete sich die erste halbe Stunde im Hamburger EM-Stadion äußerst unterhaltsam. Für den FCN, der in dieser Zeit den ein oder anderen gefälligen Ansatz auf dem Weg nach vorne zeigte, war das aufgrund erheblicher defensiver Mängel nicht von Vorteil. In der 28. Minute führte der HSV mit 3:1. Am Entertainmentprogramm im Volkspark hatte sich der FCN anfangs jedenfalls rege beteiligt. In Person von Benjamin Goller hatte er in der dritten Minute nach einem von Hofmann couragiert initiierten Angriff auch getroffen. Da der Club-Wiesel, der nach Schleimers Schuss und dem Stressreflex von HSV-Keeper Raab abgestaubt hatte, zuvor im Abseits stand, zählte das Club-Tor aber nicht.
Auf der Gegenseite war das drei Minuten später anders: Nach einem katastrophalen Rückpass von Marquez, der schlecht zum Ball stehend und völlig desorientiert Reichert einbeziehen wollte, hatte HSV-Goalgetter Glatzel, der den Braten gerochen hatte, keine Mühe, um bei seinem 100. Zweitliga-Spiel für die Rothosen seinen 61. Treffer zu markieren. Der Club warf das zunächst noch nicht völlig aus der Spur. Etwas, das ein Stück weit auch damit zusammenhing, dass sich die Hamburger zunächst nicht darum bemühten, das Momentum mit vehementem Nachsetzen für sich zu nutzen.
Das änderte sich jedoch schnell. Immer, wenn der flinke und trickreiche Dompé auf der rechten Club-Seite Hofmann mit energischen Antritten herausforderte, war der gebürtige Bayreuther zweiter Sieger und die Hereingaben des Außenstürmers brandgefährlich. Weil der Club seine eklatanten Probleme im Abwehrverbund mit einem weiterhin mutigen Auftritt zunächst ganz ansehnlich kaschierte, hieß es nach rund einer Viertelstunde 1:1. Hofmann, der defensiv arg gestresste Club-Youngster, nutzte seinen Freiraum auf rechts für eine starke Flanke, die Lukas Schleimer, der Hamburgs Reis enteilt und zum zweiten Pfosten durchgelaufen war, per Kopfballaufsetzer aus der Nahdistanz wuchtig verwertete.
Der fortgesetzte Schlagabtausch schlug angesichts der an diesem Tag schwerwiegenden Club-Defizite nur sechs Minuten später allerdings erneut ins Nürnberger Kontor. Immer wenn der HSV Wiese vor sich hatte, konsequent aufs Gaspedal drückte und mit Zug auf die letzte Reihe zulief, schwamm die Club-Abwehr besonders. Nachdem Benes sich nach einem entsprechenden Schnellangriff gegen dreieinhalb Gegenspieler behauptet und den Ball zu Glatzel gespielt hatte, durfte sich Jan Reichert immerhin erstmals reaktionsschnell auszeichnen. (19.).
Club-Coach Fiel hatte den Torwart ins kalte Wasser geschmissen und zum Schwimmen aufgefordert. Da alles in Rot und Schwarz um Reichert herum anfing, zu schwimmen? Konnte einem der Debütant vor 57.000 Zuschauern im ausverkauften Volkspark aber leidtun. Spätestens in der 22. Minute war das mit Blick auf den Keeper klar so zu konstatieren. Hofmann hatte Dompé flanken lassen, Glatzel sich im Zentrum in Mittelstürmermanier gegen einen im Zweikampf zu braven Schleimer behauptet und Lukas Poreba den herunterfallenden Ball problemlos ins Nürnberger Netz geknallt.
Überfahren in Hamburg: Muheim rennt Jeltsch davon
Es änderte sich nichts. Der FCN wagte sich weiter nach vorne und erarbeitete sich Halbchancen, verlor darüber aber seine Kompaktheit in der Rückwärtsbewegung. Als Muheim im Vollsprint seinen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem eigentlich nicht langsamen Finn Jeltsch genutzt und mit einer präzisen Hereingabe ergänzt hatte, war in der Mitte der Rest für Glatzel Routine und das 1:3 aus Nürnberger Sicht unangenehme Realität (28.).
Dass es bis zur Pause hüben wie drüben noch die ein oder andere Möglichkeit gab, auf Club-Seite etwa durch Lohkemper? War im Anschluss nicht mehr relevant. Mit einem zu naiven Vortrag hatten im Defensivverbund überforderte Nürnberger das Spiel nach nicht einmal 30 Minuten verloren.
Nach der Pause flimmerte das Offensivprogramm der Hausherren, die zu einer Tempoverschärfung und klaren Angriffsaktion aber jederzeit in der Lage blieben, nur noch. Ein Benes-Kopfball sauste über den Kasten. Ansonsten orientierte sich der HSV, der sich am Spieltag zuvor durch ein 0:1 in Paderborn auch der letzten Aufstiegschance beraubt hatte, so langsam Richtung Urlaub.
Die rasante Show war vorbei. Ein zwischenzeitlich sehr starker Regen blieb das Auffälligste, was die Zuschauer im Volkspark zwischenzeitlich wahrnahmen. Der Club probierte noch das ein oder andere nach vorne. Hinten stand er kompakter, was man ihm auch dringend empfehlen konnte angesichts der Erfahrungen der ersten halben Stunde.
Wichtig auch: Der Club gestattete schnellen Hamburgern nun weniger Anlauf. Vorne zielte er durch Goller selbst deutlich links am Gehäuse der Gastgeber vorbei (65.). Am Ende häuften sich sogar die Club-Chancen: Ein Hinterkopfball von Marquez, eine Spezialität des Blackout-Spaniers, senkte sich aufs Tordach (76.), ein abgefälschter Versuch des eingewechselten Hungbo verfehlte die Kiste der Rautenträger knapp, Castrop traf mit einem strammen Flachschuss den linken Pfosten (90. +2).
Castrop trifft den Pfosten, Glatzel trifft zum dritten Mal
Das Schlusswort in einem Durchgang, der bis auf diese Szenen aus Nürnberger Sicht erfreulicherweise weniger unterhaltsam war? Hatte jedoch Glatzel. Vom plump heranrauschenden Jeltsch zuvor im Strafraum ungeschickt zu Fall gebracht, schnappte sich der Torjäger die Kugel selbst und verlud beim nicht unberechtigten Foulelfmeter den bemitleidenswerten Jan Reichert bei seinem Profi-Debüt (90. +5). Spaß hatte Nürnbergs Nachmittag im Volkspark nicht gemacht.
Hamburger SV: Raab; Reis, Ramos, Ambrosius (76. Heyer), Muheim (85. Katterbach) – Poreba (58. Pherai), Meffert, Benes – Königsdörffer (58. Jatta), Glatzel, Dompé (76. Suhonen).
1. FC Nürnberg: Reichert; Hofmann, Marquez, Jeltsch, Gyamerah (70. Valentini) - Flick - Castrop, Duman (60. Wekesser) – Goller (70. Hungbo), Schleimer – Lohkemper (Andersson 70., 85. Geis).
Schiedsrichter: Aarnik (Bochum). Tore: 1:0 Glatzel (6.), 1:1 Schleimer (16.), 2:1 Poreba (22.), 3:1 Glatzel (28.), 4:1 Glatzel (90. + 5, Foulelfmeter). Gelbe Karten: Poreba, Muheim / Flick, Wekesser.
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