Richter entscheiden über Söders Erlass
Warum bald keine Kreuze mehr in Bayerns Behörden hängen könnten
25.5.2022, 17:54 UhrEs waren düstere Bilder und von Markus Söder gewiss so nicht beabsichtigt. Mit großer Geste hängte er ein Kreuz im Eingangsbereich der Staatskanzlei auf, doch als die Fotografen abdrückten, gab ihm das Licht fast etwas Diabolisches.
Selbst Kirchen kritisierten den Erlass
Es sollte Söders Kniefall vor der Kirche werden, sein Bekenntnis zu ihr. Und ein Wahlkampfschlager für die konservativen Anhänger der Christlich-Sozialen Union. Erreicht hat er das Gegenteil: Selbst die Kirchen lehnten sich gegen Söders Kreuzerlass auf, weil sie sich von Söder im Wahlkampf missbraucht fühlten. Söder war im April 2018 gerade ins Amt des Ministerpräsidenten gekommen. Der Kreuzerlass war eine seiner ersten Amtshandlungen.
Gezündet hat der schon, wenn auch anders. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx beispielsweise ging den Nürnberger frontal an. Söder löse "Spaltung, Unruhe und Gegeneinander" aus, er habe "die Bedeutung des Kreuzes nicht verstanden". Es dauerte Monate, bis Söder und die Kirchen ihr Verhältnis wieder stabilisieren konnten.
Etliche schlossen sich Klage an
Vier Jahre ist das nun her, doch Ruhe ist bisher nicht eingekehrt. Inzwischen hängt zwar im Eingangsbereich jeder Behörde wie von Söder gefordert ein Kreuz. Die juristische Aufarbeitung des Kreuzerlasses aber läuft beharrlich weiter. Erst klagte der Bund für Geistesfreiheit (bfg) vor dem Verwaltungsgericht gegen den Erlass. Dann schlossen sich 25 Privatleute, Politiker, Kulturschaffende und Unternehmer an, unter ihnen auch der Liedermacher Konstantin Wecker.
Jetzt müssen Bayerns höchste Verwaltungsrichter entscheiden. Die unteren Instanzen reichten das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof weiter, es sei ein Normenkontrollverfahren. Die obersten Richter sind sich da nicht so sicher. Trotzdem prüfen sie, ob der Erlass überhaupt mit dem geltenden Recht vereinbar ist. Die untere Instanz hatte das offen gelassen, zwar erklärt, der Erlass stelle einen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Religions- und Weltanschauungsfreiheit dar und sei "gezielt darauf gerichtet, jeden Behördenbesucher mit dem Kreuz zu konfrontieren". Das bedeute aber noch nicht zwingend, dass er auch unrechtmäßig sei.
Wofür steht das Kreuz?
Der bfg hatte das als Teilerfolg gewertet. Doch ob die obersten Richter das auch so sehen, bleibt vorerst offen. Es sind etliche formaljuristische Fragen, die sie mit dem Anwalt des bfg und dem Oberlandesanwalt diskutieren, für das Verfahren wichtige Fragen zwar, die in der Sache aber wenig Einblick gewähren.
Eher nebenbei geht es auch um die Frage, wofür das Kreuz eigentlich steht. Oberlandesanwalt Marcus Niese bestreitet, dass Erlass und Kreuz im Eingangsbereich eine Außenwirkung entfalteten. Und er stellt die These auf, niemand sehe im Kreuz "ein rein christliches Symbol", es sei vielmehr "das Symbol der geschichtlichen Überlieferung" Bayerns. Und so habe es die Regierung mit ihrem Erlass auch bezweckt.
Der Anwalt der Gegenseite kann das nicht nachvollziehen. Für Herbert Heinhold ist das Kreuz definitiv das Symbol des Christentums schlechthin. Wer das anders verstanden haben wissen wolle, müsse schon eine Tafel mit entsprechenden Erklärungen daneben hängen, sagt er. Hängt sie aber natürlich nicht.
Es ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, mit der sich immer wieder auch das Bundesverfassungsgericht befasst hat. 1995 etwa, als es mit seinem so genannten Kruzifix-Urteil die bayerische Regel aufgehoben hatte, nach der in jedem Grundschulklassenzimmer ein Kreuz hängen müsse. Das tun sie freilich bis heute, der Freistaat lässt sie nur in speziell begründeten, "atypischen Ausnahmefällen" abhängen.
Debatte um die Neutralitätsfrage
Im Kern geht es um die Neutralitätspflicht des Staates. Für den Oberlandesanwalt bleibt sie gewahrt, trotz der Kreuze. Für die Vertreter des Bundes für Geistesfreiheit bleibt sie das nicht. Immerhin: Die Vorsitzende zitiert aus einem anderen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach der das Kreuz sehr wohl der Ausdruck einer religiösen Überzeugung sei, "das Glaubenssymbol schlechthin". Die Richter, sagt die Vorsitzende Andrea Breit, hätten festgestellt, es "rein auf die abendländische Kultur zu reduzieren", sei "nicht zulässig".
Dreieinhalb Stunden lang hören sich die drei Richter die Argumente beider Seiten an. Dann vertagen sie sich. Ein Urteil kommt wohl erst in zwei Wochen, die obersten Gerichte entscheiden nie schnell angesichts der komplexen Rechtsfragen. In welche Richtung sie tendieren, lassen sich Breit und ihre beiden Kollegen nicht anmerken. Und so bleiben zumindest vorerst in den 1100 staatlichen Dienststellen die Kreuze hängen "als gut sichtbarer Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns", wie es die Verordnung verlangt.
Und Markus Söder? Bereut inzwischen, dass er den Erlass für seinen Wahlkampf erfunden hat. "Manches würde ich heute anders machen, gerade auch in der Form." Aufgehoben hat er den Erlass aber bis heute nicht.
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