Heilpraktikerin als Rechtsterroristin

Verhandlung beginnt: Das plante die rechtsextreme Heilpraktikerin aus Franken

29.4.2021, 05:54 Uhr
Verhandlung beginnt: Das plante die rechtsextreme Heilpraktikerin aus Franken

© Matthias Balk, dpa

"Es muss uns beschämen und darf uns auch nicht ruhen lassen, dass wir Walter Lübcke nicht schützen konnten" - mit diesen Worten rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach dem Mord an Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) am 6. Juni 2019 zum gemeinsamen Eintreten gegen Hass und Gewalt auf. Man dürfe die Gefahr eines Terrorismus von Rechts niemals wieder unterschätzen.

Unter falschem Namen in Fürther Hotel versteckt

Ein Jahr später, am 7. September 2020, wurde Susanne G. (55) festgenommen. Die Heilpraktikerin aus Leinburg (Kreis Nürnberger Land) hatte sich unter falschem Namen vor den Fahndern in einem Fürther Hotel nahe des Stadtparks versteckt. Im März 2020 war ihre Wohnung durchsucht worden, im August 2020 hatte das Nürnberger Amtsgericht gegen sie einen Haftbefehl erlassen.

Verhandlung beginnt: Das plante die rechtsextreme Heilpraktikerin aus Franken

© Tobias Hase/dpa

Wie real die Bedrohung für zwei Kommunalpolitiker war, wie hoch die Gefahr eines Terroranschlags im Nürnberger Land, wie wahrscheinlich erneute Trauerreden - darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Doch fest steht: Die Justiz hängt die Sache hoch. Gegen Susanne G. wird ab 29. April 2021 im Hochsicherheitsgerichtssaal auf dem Gelände der JVA München-Stadelheim verhandelt.

"Ihr werdet niemals sicher sein!"

Rückblick: Seit Dezember 2019 bis März 2020 wurden der Schwabacher Kripo anonyme Anrufe und Schreiben mit Drohungen gemeldet: "Ihr werdet niemals sicher sein!", stand auf einer Postkarte mit einem Schweinskopf darauf. In einem blauen Umschlag wurde die Karte in den Briefkasten der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Röthenbach am Bahnhofsplatz eingeworfen. Eine Pistolenpatrone Kaliber 6,35 Millimeter lag bei.

Eine ähnliche Postkarte samt Patrone erhielt auch die Flüchtlingsinitiative Eckental: "04.04.20 Wir sehen uns!" war darauf zu lesen - an diesem Tag hatte der Verein ein Fest geplant.

Als "Juden- und Ausländerfreund" wurde Armin Kroder auf der "Terrasse des Kroderhofs" erschossen, stand auf einer Beileidskarte, adressiert an die Familie des Landrats Armin Kroder.

"Eine Anspielung auf den Mord an Walter Lübcke", glaubt Rechtsanwalt Harald Straßner. Der Kassler Regierungspräsident Lübcke war mit einem Kopfschuss auf seiner Terrasse getötet worden. "Herr Kroder lässt sich nicht einschüchtern. Und schon gar nicht wird er es zulassen, dass die Demokratie in Frage gestellt wird", so Straßner, der für Armin Kroder als Anwalt der Nebenklage auftritt.

"Ich will Sicherheit"

Armin Kroder (Freie Wähler) ist seit 2008 Landrat des Landkreises Nürnberger Land, seit 2018 Bezirkstagspräsident von Mittelfranken. Er gilt als Mann der bürgerlichen Mitte, als Kommunalpolitiker, der es versteht, zu integrieren, statt zu spalten. Auch engagiert er sich für das Jüdische Museum Franken, und es sieht so aus, als genügte dies Susanne G. bereits für einen geplanten Terrorakt gegen ihn. "Ich will Sicherheit für Herrn Kroder und dessen Familie", betont Straßner.

Verhandlung beginnt: Das plante die rechtsextreme Heilpraktikerin aus Franken

© Wolfgang Fellner, NNZ

Verhandelt wird vor dem Oberlandesgericht München - jenem Gericht, das auch Beate Zschäpe, Ralf W. und André E. verurteilt hatte. An dieses NSU-Verfahren erinnert der Nürnberger Rechtsanwalt Maximilian Bär: In diesem Prozess saß er zeitweise als Nebenkläger, nun steht er Frank Pitterlein, dem Bürgermeister der Marktgemeinde Schnaittach, bei.

"Gerade die Verbindungen von Susanne G. zu den Helfern des NSU müssen in diesem Strafverfahren einer genauen Überprüfung unterzogen werden", sagt Maximilian Bär. "Denn für die Schuldfrage und Strafzumessung ist ebenso wesentlich, inwieweit die Angeklagte in welche Netzwerke oder gar in eine weiter reichende rechtsterroristische Struktur eingebunden war."

Üble Drohungen an den "Juden- und Ausländerfreund"

Auch Bürgermeister Frank Pitterlein (CSU) hat als "Juden- und Ausländerfreund" üble Drohschreiben samt Pistolenpatronen erhalten, mutmaßlich abgeschickt von der Heilpraktikerin Susanne G. aus Leinburg.

Anwalt Bär: "Für meinen Mandanten ist klar: Als Mensch, der der Demokratie hauptberuflich durch Wählervertrauen verpflichtet ist, muss man sich wehren, wenn man auf diese hinterhältige und perfide Weise angegriffen wird."

Susanne G. ist die einzige Angeklagte in diesem Verfahren, doch Jurist Bär fällt es schwer, an eine Einzeltäterin zu glauben: Susanne G. ist gut vernetzt. Sie bewegte sich im Rockermilieu des Gremium MC, einzelnen Mitgliedern werden Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgesagt. Sie gehörte zur Neonazi-Partei "III. Weg" und weil sie sich für die Gefangenenhilfe der rechten Szene stark machte, pflegte sie regen Briefkontakt mit den verurteilten Helfern der Terrorzelle NSU, Ralf W. und André E.

((Platzhalter) In dieser Hauptverhandlung stehen ausgerechnet jene Strafverteidiger, die im NSU-Verfahren bereits Ralf W. verteidigten, Susanne G. bei. Anwältin Nicole Schneiders ist ehemalige NPD-Funktionärin und gilt als Szene-Verteidigerin. Und Anwalt Wolfram Nahrath war Vorsitzender der inzwischen verbotenen rechtsextremen Wiking-Jugend.

Allein der Umstand, dass die Nebenklage-Anwälte zugelassen worden sind, belegt, wie ernst die Vorwürfe gegen Susanne G. genommen werden. Denn Drohungen alleine sehen die Beiordnung der Anwälte für Geschädigte im Strafverfahren nicht zwingend vor. Die Anklageschrift stammt vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, und er ist überzeugt davon, dass Susanne G. den Worten auf ihren Postkarten einen Terrorakt folgen lassen wollte.

Schwabacher Kripo gründete Soko "Karte"

Um die Drohanrufe und Drohschreiben aufzuklären, gründete die Kripo Schwabach die Sonderkommission "Karte". Die Ermittlungen führten zu Susanne G., einer Frau, die bereits früher wegen möglicher Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und rechtsextremistischer Äußerungen gegenüber Polizisten aufgefallen war.


Werden bald Straßen nach den NSU-Opfern benannt?

In ihrem Haus und in der Praxis der Heilpraktikerin stießen die Ermittler auf eine Frau, die sich ihre rechtsextreme Gesinnung als Tätowierungen unter die Haut ritzen ließ, unter einer Hakenkreuzfahne schlief und im Bücherregal Sachbücher über den Gebrauch von Sprengstoff und Schusswaffen stapelte. Sie hatte zu den Taten von Amokläufern recherchiert und Fotos von den Gebäuden der Polizeiinspektion Lauf a. d. Pegnitz, von örtlichen Flüchtlingsunterkünften, dem Röthenbacher Moscheeverein und dem Jüdischen Museum in Schnaittach aufgenommen.

Das Auto der Beschuldigten glich einer Waffenkammer

Hatte die Schwabacher Kripo die Wohnung einer rechtsextremen Terroristin ausgehoben? Es wurde ermittelt, und als Susanne G. plötzlich untertauchte, holten sich die Ermittler einen Haftbefehl. Wie sehr sich die Frau radikalisiert hatte, zeigte sich am 7. September auf dem Parkplatz des Fürther Hotels: Ihr Jeep Cherokee glich einer Waffenkammer. Gefunden wurden Gaskartuschen, Elektroschocker und eine kugelsichere Weste, dazu gefüllte Benzinkanister und Zündschnüre, Feuerwerkskörper und Nägel - genügend Material, um Brandsätze zu bauen.

Stahlschleuder, Schlagring und mehrere Messer

Sie hatte eine Stahlschleuder, einen Schlagring und mehrere Messer, eines davon war in ihre Jacke eingenäht. Treffen die Anklagevorwürfe zu, hatte die Frau aus Leinburg im Nürnberger Land einen Anschlag vorbereitet – ein Attentat, das die staatliche Sicherheit angreifen und schwer wiegend stören sollte. Sie plante einen Akt des Terrors, der die Sicherheit Deutschlands beeinträchtigen sollte. Die Anklage des Generalbundesanwalts geht von der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat aus, dazu Bedrohung, Störung des öffentlichen Friedens und Verstößen gegen das Waffengesetz.

Konnte sie ihre Taten ohne unmittelbare Unterstützer planen? Laut Anklage war sie in ihrem Handeln allein, doch als Kämpferin folgte sie der Hassideologie des rechten Milieus. Eine einzelne Frau in Mittelfranken kann sehr weit von anderen Extremisten entfernt im Internet chatten, doch in der Gesinnung ganz nah sein.

Das Gericht rechnet derzeit mit mindestens 20 Verhandlungstagen.

Verwandte Themen