Debatte um Umbenennung
Problematische Straßennamen: Wer war Heinrich Krauß?
20.11.2021, 17:00 UhrIn unserer gestrigen Veröffentlichung haben wir uns den „Heimatblättern“ gewidmet, die erstmals am 19. November 1921 und weiter bis 20. Juli 1923 erschienen waren. Bei der neuen Beilage „Die Heimat“ im Schwabacher Tagblatt ab dem Jahr 1930 hatte Heinrich Krauß die Schriftleitung inne.
Von Romantik zum NS-Jargon
In seinem Geleitwort der Ausgabe Nummer 1 aus dem Jahr 1930 formuliert er den Anspruch: „,Die Heimat‘ soll ein Sammelbecken der geistigen Kräfte unserer engeren Heimat sein.“ Auch hier knüpfte Krauß in seinen Veröffentlichungen der ersten Jahre noch an die Romantik von zuvor an und schrieb wieder über „Alt-Schwabacher Weihnacht“ oder „Neujahrskarten und - wünsche“. Es ging aber auch um die Vogelschutzanlage von Carl Wenglein oder die Goldschläger.
Für uns heutzutage erstmals unangenehm ist eine Veröffentlichung in Ausgabe 16 im Jahr 1932, als erstmals völkische Töne anklingen.
Noch schlimmer wir es mit der Machtübernahme der Nazis 1933. Geht es ihm in Ausgabe 16 erst noch um „Dienst an der Heimat und am Volke“, wird er in Ausgabe 21 zur Hitlerjugend zeitgenössisch und bringt auch Beiträge des Standartenführers der HJ, des Fähnleinführers und der Ortsgruppenführerin des BDM.
Hauptthema „Judenforschung“
Den allergrößten Raum all seiner Veröffentlichungen spiegelt aber seine „Judenforschung“ wider, die später von seinem Neffen, dem Heimatforscher Heinrich Schlüpfinger, verharmlosend als „sachlich“ bezeichnet wurde.
In den Ausgaben von 1937 bis 1939 widmet er sich schon fast ausschließlich dem „Judentum“ und die Artikel sind zu einem Großteil aus der eigenen Feder von Heinrich Krauß. Dass es sich im Tenor um Geschichtsverfälschung und Verächtlichmachung der Juden handelt, wird in jedem seiner Text offensichtlich.
„Hexenmeister von Schwabach“
Ganz hervorragend zusammengefasst hat dieses antisemitische Wirken der Autor des Buches „Der Hexenmeister von Schwabach“, Isak Nethanel Gath. In dem im Auftrag des Historischen Vereins für Mittelfranken von Professor Dr. Georg Seiderer herausgegebenen Buch wird die tragische Verleumdungsgeschichte um den Prozess gegen den Ansbachischen Landesrabbiner Hirsch Fränkel, wie ein Kriminalroman zu lesen, dokumentarisch belegt. Der Schwabacher Oberrabbiner Hirsch Fränkel (1662–1739) wurde zu lebenslänglicher Haft wegen Besitzes kabbalistischer Schriften verurteilt.
Auf diese für Schwabach historisch bedeutsame Geschichte aufmerksam wurde auch Professor Dr. Berger in seiner Recherche zu dem im Februar 2022 erscheinenden Buch über das Schwabacher Wunderkind Jean-Philippe Baratier.
Isak Nethanel Gath hat in seinem Buch aus dem Jahr 2011 zum Hexenmeister die schlimmsten Stellen aus den Veröffentlichungen von Heinrich Krauß in einem sechsseitigen Kapital zusammengefasst. Da Krauß die Veröffentlichungen auch aus der Beilage „Die Heimat“ in sechs von ihm herausgegebenen „Heimat-Handbüchern“ hat einfließen lassen, kann auch auf diese als Belege für seine antisemtische Hetze verwiesen werden.
Juden als „Giftspinnen“
In den „Bausteinen zur Geschichte des Judentums in Franken“ im Heimatbuch Band 5 wird seine judenfeindliche Gesinnung mehr als deutlich. Unter anderem rechtfertigt er die Zerstörung der Synagoge in Nürnberg und die Anwendung von Gewalt. Er übernimmt und unterstreicht die antisemitischen Positionen von Julius Streicher und vergleicht Juden mit Giftspinnen.
Dem NSDAP-Gauleiter von Franken und Herausgeber des fürchterlichen „Stürmer“, Julius Streicher, überreichte er zum Geburtstag einen Vorabdruck dieses Bandes.
Weitere Autoren
Unter der Schriftleitung von Krauß bekamen auch weitere Autoren den Raum, um Juden zu diskreditieren. So veröffentlichte unter anderem der Oberlehrer Eduard Dechant in der Nummer 21 von „Die Heimat“ im Jahr 1938 und dann im Heimatbuch Band 5 im Jahr 1940 auch nochmals zu „Judentum in Abenberg“. Hier postulierte er unter anderem die „Feinde der Juden“ aus früherer Zeit als „nachahmungswerte Vorbilder“.
Und zusammen mit Heinrich Krauß veröffentlichte der Oberlehrer, Ortsgruppenleiter und stellvertretende Bürgermeister von Thalmässing, Fritz Spang, im prächtigen Ledereinband „Das Judentum im Kreisgebiet Hilpoltstein. Ein Halbjahrtausend Abwehrkampf gegen die jüdische Giftschlange“.
Wieso ausgeblendet?
Weshalb all dies im Todesjahr von Heinrich Krauß 1959 ausgeblendet und zu seinen Ehren eine Straße nach ihm benannt wurde, ist heute nicht verständlich.
Einigen in der Kommunalpolitik Aktiven waren die Belege zu Heinrich Krauß schon länger bekannt. So hatte im Nachgang zu einer Veranstaltung am Rathaus zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht im November 2013 der damalige FDP-Kreisvorsitzende Erik M. Schmauser die Umbenennung der Heinrich-Krauß-Straße gefordert. Die SPD hatte schon 2009 einen ähnlichen Antrag gestellt.
Straße umbenennen?
Wie umgehen mit Heinrich Krauß? Diese Frage wurde aber niemals intensiver und mit einem Ergebnis im Stadtrat und auch in der Bürgerschaft behandelt. Zur Zeit des damaligen Kulturbürgermeisters Dr. Roland Oeser von Bündnis 90/Die Grünen wurde Ende 2014 beschlossen, über einen Historiker eine Einschätzung der Belastung von Heinrich Krauß begutachten zu lassen. Erst auf dieser sachlichen Grundlage, ließe sich objektiv beurteilen, wie weiter zu verfahren ist.
Wissenschaftliche Arbeit
Eine Zulassungsarbeit einer Studentin der Fränkischen Landesgeschichte bei Professor Dr. Georg Seiderer in der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg aus dem Jahr 2017/2018 hatte sich dann auch mit „Heinrich Krauß - Ein Schwabacher Heimatforscher im Dienst des Nationalsozialismus?“ befasst. Dass Georg Seiderer viele Jahre in Schwabach gelebt hat und der Stadt weiterhin verbunden ist, sollte dabei nicht von Nachteil sein. Seiderer war spätestens über das von ihm herausgegebene Buch „Der Hexenmeister von Schwabach“ die Rolle von Krauß auch bekannt.
Das Jubiläum „100 Jahre Heimatblätter“ und die Verantwortung der Schriftleitung von Heinrich Krauß in der Zeit des Nationalsozialismus gaben Anlass, das Feld der Erinnerungskultur im Bildungs- und Kulturausschuss der Stadt am vergangenen Montag anzudiskutieren.
Neuer Arbeitskreis
Es wurde entschieden, dass ein Arbeitskreis hierzu Lösungen erarbeiten möge. Im Gespräch waren neben der Heinrich-Krauß-Straße auch die Hindenburgstraße und die Dr.-Georg-Betz-Straße.
Vorbild Düsseldorf?
Andere Städte, wie jüngst Düsseldorf, haben einen wissenschaftlichen Fachbeirat dazu eingerichtet, der nach dem „Freiburger Modell“ eine Kategorisierung von Straßennamen vorgenommen hat. Es geht dabei um Personen, die nach dem Jahr 1870 verstorben waren und wie damit zur Namensgebung umzugehen ist.
Drei Kategorien
In einer Kategorie A werden schwer belastete, nicht haltbare Namen geführt.
Kategorie B sind diskussionswürdige, teilweise belastete Namen. Hier wäre ein Abwägungsprozess notwendig und auch erläuternde Informationen, wie etwa Ergänzungstafeln zu Straßenschildern.
Die Kategorie C listet unbelastete Namen auf, die weiter als Vorbilder gelten sollten oder zumindest akzeptabel sind, auch wenn diese Benennungen heute nicht mehr durchgeführt würden.
In Düsseldorf wurde im Stadtrat über alle Parteien von CDU, Grünen, SPD, FDP beschlossen, elf Straßennamen von Antisemiten, Nazi-Sympathisanten und Kolonialisten umzubenennen. Danach wird auch der Komponist Hans Erich Pfitzner sowie der Unternehmer Ferdinand Porsche als so belastet eingestuft, dass sie die Namensgebung zu ihren Straßen verlieren werden.
Mehrere Straßennamen fraglich
Für Schwabach könnte dies bedeuten, dass sich der Arbeitskreis mit einigen Straßen intensiver auseinandersetzen dürfte. Dazu gehört neben dem schwer belasteten Heinrich Krauß nach den Kriterien von Freiburg oder Düsseldorf auch die Hindenburgstraße (Hindenburg verstorben 1934) und zu weiteren Verstorbenen nach 1945 die Hans-Meiser-Straße, die Wilhelm-Dümmler-Straße, die Dr.-Georg-Betz-Straße und die Ina-Seidel-Straße.
Aus den Jahren von vor 1870 wäre es auch angebracht, die Jahnstraße, Kantstraße und Fichtestraße einzubeziehen. In diesen drei letzten Fällen sicher nicht, um hier Umbenennungen ernsthaft zu erwägen, aber durchaus um in ergänzenden Erläuterungen zum Straßenschild überhaupt bekannt zu machen, worin die Leistungen der Männer lagen - mit kleinerem aber durchaus auch nicht zu unterschlagendem Hinweis auf deren Makel.
So äußerte sich „Turnvater“ Johann Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) auch betont völkisch-nationalistisch und anitjudaistisch.
Immanuel Kant (1724-1804) hatte als sein philosophisches Hauptwerk die „Kritik der reinen Vernunft“ verfasst. Dass Kants These der gleichen Menschenwürde ihn inkonsequenterweise nicht hindern konnte, dass er einem üblen Rassismus verhaftet war, ist weniger bekannt.
Die Fichtestraße hat ihren Namen vom Erzieher, Philosophen und Vertreter des Deutschen Idealismus, Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Leider stach Fichte wiederholt mit judenfeindlichen Ausfällen hervor, die sein hohes Ansehen trüben.
Aber sicher werden im Mittelpunkt der Arbeitskreisfälle, die nach 1870 verstorbenen Personen stehen. Hierzu gehört der Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934), der Adolf Hitler zum Reichskanzler im Jahr 1933 berief. Die ehemalige Ziegelgasse wurde durch die Nazis zum Dank zur Hindenburgstraße umbenannt.
Viele Städte in Deutschland haben ihrer Hindenburgstraße einen neuen Namen gegeben oder die Anbringung einer erklärenden Tafel beschlossen. Damit soll zu einer dauerhaften Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit angeregt und ein Zeichen gegen politischen Extremismus gesetzt werden.
Vergegenwärtigen statt Verdrängen und Vergessen ist nach diesem Selbstverständnis eine bleibende Aufgabe. Wo hier die Grenze zu ziehen ist, was umbenannt werden soll, was erklärt und was passiv belassen bleiben soll, wird die Aufgabe des Arbeitskreises werden.
Auch wie mit der Hans-Meiser-Straße umzugehen ist, wird Thema werden müssen. Hans Meiser (1881-1956) war Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zwischen 1933 bis 1955. Ihm wird vorgehalten, zu kompromisswillig gegenüber dem NS-Staat gewesen zu sein.
2007 haben Nürnberg (mit Stimmen von CSU, SPD und Grünen) und München ihre Hans-Meiser-Straße umbenannt. In Nürnberg wurde aus ihr die Spitalgasse, da sie nahe am Heilig-Geist-Spital liegt. München hat sie nach der Ehefrau von Martin Luther benannt: Katharina-von-Bora-Straße. Dieser Namensvorschlag kam vom evangelisch-lutherischen Dekanat in München. Ärgerlicherweise zeichnete sich Katharina von Bora als Scharfmacherin gegen die Juden aus.
Was ist erträglich?
Die Frage ist also: Um wie viel wird Judenfeindschaft geschichtspolitisch erträglicher, wenn sie 500 Jahre zurückliegt? Denn nur mit dieser Milde der Zeit bleibt auch der Martin-Luther-Platz in Schwabach aus der Diskussion.
Bei der Wilhelm-Dümmler-Straße im Eichwasen wird es sicher auch nicht leicht, zu einer Lösung zu kommen. Wilhelm Dümmler (1867-1947) war um die Jahrhundertwende Bürgermeister, was auch auf einer kleinen Erläuterungstafel beim jetzigen Straßenschild vermerkt ist.
Was aber bislang fehlt, ist eine Auseinandersetzung über seinen Einsatz als Unterführer des nationalistisch-militaristischen „Stahlhelm“, Mitglied der „Reichsflagge“, Sturmführer SA-Reserve und NSDAP-Mitglied. Was seine Gesinnung ausdrückt, ist, dass er sich freiwillig mit 74 Jahren im Jahr 1941 noch als Wehrbezirksoffizier für das Regime starkgemacht hat.
Auch dem späteren Bürgermeister Dr. Georg Betz (1884-1966) ist im Eichwasen eine Straße gewidmet. Betz trat 1920 die Stelle als 1. Rechtskundiger Bürgermeister in Schwabach an. Er wurde 1929 wiedergewählt und im April 1933 NSDAP-Mitglied. Im Oktober 1933 hat er im Heimathandbuch Band III von Krauß ein Geleitwort geschrieben und dem Heimathandbuch bescheinigt „dass es den heutigen Verhältnissen gerecht wird“. Aber im Amt halten konnte er sich nicht, sondern wurde im Januar 1934 durch den NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Engelhardt ersetzt.
Schwierig auch die Ina-Seidel-Straße in Wolkersdorf: So erfreulich es ist, eine der wenigen den Frauen gewidmete Straße zu haben, umso problematischer ist es, dass Ina Seidel (1885-1974) 1933 zu den 88 Schriftstellern gehörte, die Adolf Hitler das Gelöbnis treuester Gefolgschaft geschworen hatten und von ihm persönlich 1944 als eine von nur sechs wichtigsten zeitgenössischen deutschen Schriftstellern in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen wurde. Nach 1945 hatte sie sich vom Nationalsozialismus distanziert. Auch dies wird der Arbeitskreis sicher abwägen.
Es ist auf jeden Fall bemerkenswert und zu begrüßen, dass der Bildungs- und Kulturausschuss sich nun, wenn auch spät, aber nie zu spät, den Namensgebern unserer Straßen zuwendet. Denn aus der Geschichte lernen, erfordert erst einmal, die Geschichte zu kennen. Und Straßennamen sollen dann die Erinnerung wach halten.
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