Nach Söder-Entscheidung

Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Zwischen Erleichterung und Wut

9.2.2022, 15:30 Uhr
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt ab Mitte März. Allerdings soll sie bei Nichtbeachtung zunächst nicht verfolgt und sanktioniert werden. Bei den Verantwortlichen in der Pflege sorgt Markus Söders Ankündigung für Erleichterung. Bei manchen niedergelassenen Ärzten allerdings auch für Fassungslosigkeit.   

© Sven Hoppe/dpa, NN Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt ab Mitte März. Allerdings soll sie bei Nichtbeachtung zunächst nicht verfolgt und sanktioniert werden. Bei den Verantwortlichen in der Pflege sorgt Markus Söders Ankündigung für Erleichterung. Bei manchen niedergelassenen Ärzten allerdings auch für Fassungslosigkeit.   

Rainer Mosandl, Vorstand Pflege und Psychiatrie beim Awo-Kreisverband Mittelfranken Süd, ist erleichtert. Der Ministerpräsident habe aus veränderten Rahmenbedingungen die passenden Schlüsse gezogen. Die beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht vorerst auszusetzen, sei "der richtige Weg".

Die Awo hatte schon im Januar in einem offenen Brief an das Bayerische Gesundheitsministerium gewarnt, dass durch die Einführung einer partiellen Impfpflicht viele Leistungsträger der Pflege den Rücken kehren würden. Und das in einer Branche, die ohnehin schon unter Personalmangel leidet.

Die Impfquote der rund 1800 Beschäftigten bei der Awo liegt zwar weit über 90 Prozent. Doch rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten sich zuletzt gegen die Immunisierung entschieden. Ihnen hätte ab Mitte März zunächst ein Betretungsverbot in den Awo-Einrichtungen gedroht und am Ende vielleicht ein Beschäftigungsverbot.

Planungssicherheit. Für ein paar Monate.

Nun ist das Gesetz zur Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zwar nicht vom Tisch. "Aber zumindest haben wir für die nächsten Monate noch Planungssicherheit", sagt Andrea Schmidt, Geschäftsführerin der Schwabacher Familien- und Altenhilfe (FAH).

Wenigstens die Dienstpläne für März und April könne man jetzt schreiben. 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt die FAH, vor allem im ambulanten Bereich. Hätte für diese ab Mitte März tatsächlich die Impfpflicht gegolten, wäre möglicherweise der eine oder andere Beschäftigte weggefallen. "Und dann wäre ich mir nicht sicher gewesen, ob wir das bisherige Leistungsspektrum noch aufrecht hätten erhalten können", so Schmidt.

Ganz entspannt ist die FAH-Gechäftsführerin allerdings nicht. "Das Damoklesschwert hängt nach wie vor. Die Sache ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben."

Langwierige Umsetzung

Schon vor Markus Söders Machtwort am Dienstag hatte das Gesundheitsamt Roth-Schwabach in einem Gespräch mit unserer Zeitung angedeutet, dass die Umsetzung der partiellen Impfpflicht eine große Herausforderung wäre. Die Prüfung der mutmaßlich vielen hundert Fälle werde sich über Monate hinziehen, so Andrea Rotter-Neubert, die stellvertretende Leiterin der Behörde. "Mitte März wird da zunächst einmal gar nichts passieren."

Die Klagen aus den Gesundheitsämtern, die schon mit der Kontaktnachverfolgung heillos überlastet sind, hat sicher auch der Bayerische Ministerpräsident mitbekommen.

Gründe für das Umdenken

Ob das für ihn der ausschlaggebende Grund war, um die Notbremse zu ziehen? Öffentlich gesagt hat er das nicht, es wäre ja auch ein Eingeständnis, dass die bayerischen Verwaltungen es schlicht nicht schaffen, ein Bundesgesetz umzusetzen.

Stattdessen machte der Ministerpräsident die Omikron-Variante des Corona-Virus hauptsächlich für den Stimmungsumschwung verantwortlich. Die sorgt zwar für einen Rekordstand bei den Infektionen, aber in aller Regel für mildere Verläufe. "Und sie sorgt dafür, dass die Impfung nach wie vor eine hohe Sicherheit bietet, nicht schwer zu erkranken. Aber das bei der Verabschiedung des Gesetzes stichhaltige und nachvollziehbares Argument, dass man durch die Impfung auch andere schütze, ist nicht mehr ganz so stichhaltig", findet Awo-Vorstand Rainer Mosandl.

Es seien ja inzwischen alle fast gleichermaßen betroffen: Ungeimpfte, Grundimmunisierte, Geboosterte. "Selbst wenn ich mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für ein paar Prozentpunkte mehr Sicherheit sorge, hilft mir das wenig, wenn ich lebensnotwendige Pflege nicht mehr gewährleisten kann."

Eichingers Wutbrief

Viel Verständnis also bei den Verantwortlichen in der stationären und der ambulanten Pflege. Doch es gibt auch andere Stimmen. Der als "Auhof-Doc" bekannte Hilpoltsteiner Art Dr. Rolf Eichinger hat in einem Wutbrief an das bayerische Gesundheitsministerium seinem Frust Luft gemacht. Söders Alleingang sei "ein Signal an die Querdenkerszene" und ein Genickschlag für all jene, die sich seit zwei Jahren mit enormem Einsatz und unzähligen Überstunden gegen die Pandemie stemmen. Die Impfung sei das einzig wirkungsvolle Mittel der Pandemie.

Eichinger räumt auf Nachfrage unserer Zeitung zwar ein, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Pflege - mehr noch als bei den niedergelassenen Ärzten - zu personellen Aderlässen hätte führen können. "Aber man wusste doch schon vorher, dass hier Personalnot herrscht."

"Heilloser Opportunist"

Eichinger bezeichnet den bayerischen Ministerpräsidenten als "heillosen Opportunisten mit einem großmäuligen Hang zum Populismus". Mit seiner Entscheidung habe er die Arbeit von zahllosen Redlichen im Medizinwesen konterkariert. Das Aussetzen der partiellen Impfpflicht sei eine "unglaubliche Dummheit".

Allerdings muss man sagen: Die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen gilt natürlich weiterhin, auch in Bayern. Sie ist Bundesgesetz. Nur umgesetzt wird sie hier halt vor allem nicht.

Das ist schon ein Unterschied

Zudem könnte es im Frühjahr ja noch die allgemeine Impfpflicht für alle Erwachsenen geben, über die im Bundestag derzeit gerungen wird. Die würde selbstverständlich auch für die Beschäftigten in den Gesundheitsberufen gelten. Allerdings drohen dann im Falle von Verweigerung wahrscheinlich "nur" Bußgelder. Aber keine Beschäftigungsverbote mehr. Das ist qualitativ schon ein gewaltiger Unterschied.

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