Millionen-Betrug in der Pflege:  Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Hauptverhandlung gegen eine angeblich betrügerische Familie begonnen.
© Ulrike Löw, NNZ
Millionen-Betrug in der Pflege:  Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Hauptverhandlung gegen eine angeblich betrügerische Familie begonnen.

Trio in Fuß- und Handfesseln

Pflegebetrug in Millionenhöhe: Ehepaar und Sohn stehen in Nürnberg vor Gericht

Ende September 2022 rückten Polizei und Staatsanwaltschaft an: Die Gebäude eines ambulanten Pflegedienstes in Würzburg und Kitzingen wurden durchsucht, es ergingen Haftbefehle, drei Menschen landeten in U-Haft.

Trifft zu, was Oberstaatsanwalt Philip Engl im Landgericht Nürnberg-Fürth als Ankläger vorträgt, wurde in Unterfranken ein kriminelles Familienunternehmen ausgehoben. Ein Ehepaar (56 und 47 Jahre) und deren Sohn (26) haben zwischen Januar 2018 und September 2022 die Krankenkassen nach Strich und Fragen betrogen. Es geht um banden- und gewerbsmäßigen Betrug in 1022 Fällen und zu Unrecht abgerechneten Leistungen gegenüber Krankenkassen. Betroffen ist vor allem die AOK Bayern, der Schaden beläuft sich auf knapp 3,5 Millionen Euro. Hinzu kommen weitere 1,2 Millionen, doch dieser Schaden soll verjährt sein.

Sicherheit: Vorgeführt in Fuß- und Handfesseln

Mit Fuß- und Handfesseln - Sicherheit wird seit der Flucht des verurteilten Mörders im Januar 2023 aus dem Regensburger Amtsgericht ganz groß geschrieben - betreten die Angeklagten den Gerichtssaal. Mehrere TV-Teams sind anwesend. Korruption im Gesundheitswesen empört die Öffentlichkeit, und dies nicht erst seit unsaubere Masken-Deals und zu Unrecht abgerechnete Corona-Tests in der Pandemie für enorme Schäden gesorgt haben.

Im Gesundheitswesen steckt viel Geld, dies lockt Betrüger an. Doch es geht nicht nur um lukrative Geschäfte - nachlässige Pflege kann für hilflose Patienten gefährlich werden, der enge Zusammenhang von Betrug und Gesundheitsschäden durch pflegerische Vernachlässigung liegt auf der Hand. Deshalb ermittelt in diesem Fall die Staatsanwaltschaft Würzburg parallel zu Körperverletzungsvorwürfen.

Pflegequalität gering, die Rechnung eine Luftnummer

In der Hauptverhandlung die im Landgericht Nürnberg-Fürth vor der 18. Strafkammer begonnen hat, hat Ankläger Engl allein den finanziellen Schaden im Fokus. Er gehört zur Spezialstaatsanwaltschaft, die seit September 2020 gezielt Betrüger in ganz Bayern im Gesundheitswesen ins Visier nimmt. Angesiedelt ist die Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption (ZKG) im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.

Die Vorwürfe zeichnen sich schon ab, als die Personalien der Angeklagten zu Protokoll genommen werden. Der 56-jährige Angeklagte ist gelernter Schneider, seine Frau Friseurin, der Sohn wurde zur Bürokraft ausgebildet. Er stieg ab September 2017 als Bürokraft in das Familienunternehmen "Theresa" ein. Weder die Betreiber des Pflegedienstes noch irgendeiner der angestellten Mitarbeiter hat angeblich jemals eine Ausbildung im Pflegebereich absolviert.

Staatsanwaltschaft hat Vermögen beschlagnahmt

Ein Pflegedienst, der Patienten ambulant und zu Hause versorgt, muss qualifizierte Kräfte haben - doch dieses betrügerische Trio soll die Qualität der Pflege auf ein Minimum reduziert haben und für Leistungen kassiert haben, die nie erbracht wurden. Auch bei der Dokumentation wurde angeblich getrickst.

Wie luxuriös lebte die Familie auf Kosten der Patienten? Die Staatsanwaltschaft hat, um an das Vermögen zu kommen, bereits Hypotheken in sieben bebaute Grundstücke eingetragen, dazu wurden Vermögenswerte von über 1,6 Millionen gesichert.

Auch die Verteidigung rasselt zum Prozessauftakt mit den Säbeln: Anwalt Barrera Gonzáles Simón wirft der Staatsanwaltschaft einen "Schnellschuss" vor.

Steckten Patienten und Pflegedienst unter einer Decke?

Die Anklagebehörde habe sich von dem Verdacht eines betrügerischen Abrechnungssystems leiten lassen und zu Beginn unterstellt, dass alle unter einer Decke steckten, auch die Patienten von Luftrechnungen des Dienstes wussten - und sich ihr Wissen bezahlen ließen. Doch diese Vorwürfe seien viel zu pauschal. Iñigo Schmitt-Reinholtz rügt die Zuständigkeit der Richter, statt vor einer allgemeinen Strafkammer solle vor einer Wirtschaftsstrafkammer getagt werden. Auch ein Rechtsgespräch nach dem Motto "schnelles Geständnis gegen Strafrabatt" steht im Raum.

In Gang gekommen waren die Ermittlungen aufgrund eines Tippgebers. Die Spezialstaatsanwaltschaft der ZKG nimmt über ein anonymes System Hinweise entgegen.

Derzeit sind bis Ende September 26 Verhandlungstage vorgesehen.