Immer mehr Pflegebefürftige
Mobiler Pflegedienst in der Pandemie: "Die Pflege ist anstrengender geworden"
16.1.2022, 16:59 UhrBirgit Süß macht einen erschöpften Eindruck beim Gespräch Die 59-jährige Chefin des gleichnamigen Pegnitzer mobilen Pflegedienstes hat einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich. Am Vorabend ist eine ihrer Palliativpatientinnen gestorben. Das hat sie ziemlich mitgenommen, sie hat die Frau bis zuletzt begleitet.
Anfangs hat Birgit Süß als medizinisch-technische Assistentin in der Radiologie eines Krankenhauses gearbeitet, dann eine Umschulung zur Pflegefachkraft gemacht, ehe sie sich 2007 mit dem mobilen Pflegedienst selbstständig gemacht hat. "Ich wollte es anders, besser machen", sagt Süß, "vor allem was den Umgang mit den Mitarbeitern angeht." Flache Hierarchien, mehr Miteinander, jeder soll etwas sagen können. "Pflege so, wie du selbst gepflegt werden willst", sei das Credo, ergänzt ihre Bürokraft Franziska Rasch.
Rund 130 Patienten betreut sie mit ihren 27 Mitarbeitern, davon 20 in der Pflege. Die Patienten wohnen in Pegnitz, Pottenstein, Plech, Creußen, Obertrubach und Trockau, einem Umkreis von etwa 20 Kilometern. "Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt", resümiert Süß. Sie können nicht alle Anfragen annehmen, sagt Rasch, müssten viele ablehnen – auch solche, die nicht von anderen Hilfsdiensten wegen Personalmangels betreut werden können. Der Dienst hat ältere Demenzpatienten, aber auch jüngere Krebs- und Insulinpatienten als Kunden.
Und die Situation sei in der Corona-Zeit noch schlechter geworden. Viele Patienten hätten ihren Vertrag aus Angst vor Ansteckung niedergelegt. Nicht Angst, sich bei ihr und ihren Mitarbeitern anzustecken, sondern grundsätzlich. Viele zögen sich zurück, igelten sich ein, meideten grundsätzlich Kontakte. Das habe schon vergangenes Jahr begonnen, als das mit der Impfung noch nicht so präsent war, sagt Süß. Es herrsche eine allgemeine Unsicherheit, hat sie beobachtet. "Wir wollen nicht an Corona sterben", würden vor allem ältere Patienten sagen. Sie hätten Angst vor dem Virus.
Sind sie und ihre Mitarbeiter alle geimpft? Bis auf zwei und die beiden würden sich aus Überzeugung nicht impfen lassen. "Ich will sie nicht dazu zwingen, das muss jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt", sagt Süß. Sie seien skeptisch wegen der ständig neu geforderten Impfungen, zweifeln an, ob die Impfung sicher ist. Ob sie auch infizierte Patienten haben? "Ja, da sind welche dabei", sagt Süß. Zwei ihrer Patienten seien im Krankenhaus an der Infektion gestorben, aber es seien auch welche daheim, die von ihrem Pflegedienst betreut würden. Ob sie selber Angst hat, sich dort anzustecken? "Nein", sagt Süß. "Ich blende eine mögliche Ansteckung aus."
Wenn sie zu Corona-Patienten gehen, dann trügen sie die erforderliche Schutzkleidung, Maske sowieso. Bei der Station des Pflegedienstes in der Schlossstraße gibt es getrennte Eingänge für die Pflegekräfte und vorne zum Bürobereich. Die Übergaben erfolgten telefonisch, um eine Ansteckung unter den Kollegen möglichst zu verhindern. "Die Pflege ist anstrengender geworden mit der Maske und dann mit der Schutzkleidung natürlich erst recht", resümiert Süß.
Es brauche etwa die doppelte Zeit, um einen Patienten zu versorgen. Abgerechnet werde aber nur der übliche Satz. Extra Ausgaben hätten sie wegen der Schutzkleidung und der zusätzlichen Desinfektionsmittel. Große Sorge hat Birgit Süß, wenn im März tatsächlich die Impfpflicht kommt. Dann entscheide das Gesundheitsamt, wie mit den ungeimpften Mitarbeitern verfahren werde. "Das gibt einen Pflegenotstand", ist sie sich sicher. "Das wird für beide Seiten – Patienten und Mitarbeiter – schlimm." Wenn sie keine ungeimpften Mitarbeiter mehr beschäftigen dürfe, müsse sie Patienten den Vertrag kündigen. "Die Pflegedienste kommen langsam an ihr Limit."
Wie oft müssen sie sich für die Arbeit testen? "Wir machen das dreimal die Woche und auf Wunsch auch extra, haben einen separaten Raum dafür", erklärt Süß. Die beiden ungeimpften Kollegen müssten sich alle 24 Stunden testen lassen.
Großer Gesprächsbedarf
Geändert seit Corona habe sich auch, dass die Patienten jetzt nach Gesprächspartnern suchten, ihre persönlichen, sozialen Schicksale mitteilen wollten, berichtet Süß. Oft hätten die Patienten zum Beispiel Zukunftsängste vor anstehenden Operationen. Aber auch bei ihren Mitarbeitern habe die psychische Belastung zugenommen, der Krankenstand sei höher, es müssten öfter Krankheitsfälle aufgefangen werden.
Oft setzt sich Süß mit ihren Mitarbeitern zusammen, spricht mit ihnen, damit sie sich "entladen" können. Der Job sei schon ohne Corona anstrengend. Um sechs Uhr ist der erste Patient dran, rund 30 bis 45 Minuten sind bei der Grundpflege mit Waschen, Anziehen, Medikamentengabe und hauswirtschaftlichen Leistungen eingeplant. Etwa zehn Patienten betreue jeder auf seiner Tour. Besonders wichtig ist Süß die Palliativpflege. "Das kann nicht jeder", sagt sie. Aber ihr liegt diese Tätigkeit besonders am Herzen, der würdige Abschied von den Betreffenden dann. "Das ist keine Routine", weiß sie. "Und das muss man sich manchmal von der Seele reden."
Birgit Süß ist 24/7 erreichbar, wird oft auch nachts rausgeklingelt, wenn zum Beispiel ein Demenzpatient etwas nicht findet. "Die haben oft das Gefühl für die Tageszeit verloren." Und auch wenn ihr Privatleben stark eingeschränkt ist, könne sie sich keine andere Tätigkeit vorstellen, mache es immer wieder gerne. Aber oft wünsche sie mehr Anerkennung – sowohl von den Menschen, vor allem aber von der Politik. Und Süß schiebt nach: "Die angedachte Impfpflicht ist eine Geringschätzung der Pflege."
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