Heimatzeit-Portrait
Jörg Häusler: Im Spannungsfeld zwischen Heimat und Horizont
21.10.2022, 11:15 UhrDenn Ziele hat der 50-Jährige schon seit Kindesbeinen an vehement verfolgt. Der kleine Jörg, aufgewachsen in Vorra als Sohn eines Bankers und einer Hauswirtschafterin, wusste schon mit sechs Jahren, dass er zur Feuerwehr will. „Warum, das weiß ich eigentlich gar nicht“, grübelt er kurz nach. Als es wenige Jahre später in der Schule um den Berufswunsch ging und Häusler selbstbewusst sagte, er will Feuerwehrmann werden, lachte die Klasse; sogar der Lehrer. Vielleicht hat das eine tiefe Spur in seinem Inneren hinterlassen, denn von nun an ließ er sich nicht davon abbringen.
Als sich die Zugangsvoraussetzungen für die Berufsfeuerwehr änderten und kein Realschulabschluss mehr nötig war, schmiss Häusler die Schule. „Für meinen Papa, den seriösen Chef der Raiffeisenbank in Vorra, eine Katastrophe!“ Häusler störte das nicht. Da man mit einer Kfz-Lehre gute Chancen hatte, genommen zu werden, begann er diese Ausbildung; Schrauben interessierte ihn dabei eher weniger.
Langsam kam er seinem Traumberuf näher. Als er kurz vor der Bewerbung stand, stellte sich heraus, dass er kurzsichtig ist. Hat er das vorher nicht gemerkt? „Schon irgendwie, aber ich dachte, das ist nicht so wild.“ Auch dieser Umstand hielt Häusler nicht auf; er fackelte nicht lange und ließ sich die Augen lasern. „Wenn ich mir was einbilde, dann ziehe ich das bis in den roten Bereich durch.“ Dann steckt er Leidenschaft und schlaflose Nächte in ein Projekt. „Das bin ich.“ Häusler beißt sich gern in Dinge rein und dann entwickelt sich der Rest. „Bei mir gibt es nichts Halbes.“ Kein Wunder, dass manchmal ein ganzes Blech Pflaumenkuchen von der Mama auf einmal dran glauben muss …
Ab unter den Laser
Endlich – mit 24 Jahren startete er seine Ausbildung bei der Berufsfeuerwehr Zwickau, weil dort die Bestimmungen in Sachen Sehkraft nicht so rigoros waren wie in Bayern. „Von Zwickau aus konnte man immer gut nach Hause fahren.“ Für dieses Ziel verließ Häusler die bis dato geliebte Heimat Vorra. „Ich war dort Feuerwehr-Kommandant, im Dorf, in der Kirwa, in den Traditionen tief verwurzelt.“ Und dennoch wollte er stets seinen Horizont erweitern. „Dieses Spannungsfeld zieht sich bis heute durch“, wird ihm beim Nachdenken bewusst. Jetzt ist die Heimat Schwangau, von wo aus es ihn regelmäßig in die Welt zieht.
Vorher führte ihn der Weg 2007 von Sachsen über Umwege nach Nürnberg zur Berufsfeuerwehr; elf Jahre blieb er dort. Den Horizont viel weiter ausdehnen, das konnte er mit 12 Jahren schon mit dem Wildwasserkajakfahren. „Das war für mich der Weg raus aus dem Dorf in eine andere Welt.“ Letztlich brachte es ihn zu den Bergen. Die Pegnitz im Dorf, paddelten die Jungs öfter drauf herum. Der Papa wollte, dass er es richtig lernte. „Und ich wollte darin perfekt werden.“
Anekdote am Rande: Auf einem Schiff wird Häusler seekrank. Als er einmal mit Kollegen zu einer Übung auf ein Schiff auf die Ostsee musste, da hätten sie gedacht: „Hier kommen die Helden aus Bayern.“ Doch der eine hing rasch über der Reling und auch Häusler ging es nicht gut. „Und das geht bei mir auch nach ein paar Tagen nicht weg“, verrät er über sich selbst schmunzelnd.
Vielleicht ist das Wasser deshalb nicht mehr sein bevorzugtes Element, auch wenn er den Forggensee direkt hinter dem alten Haus am Dorfeck in Schwangau hat, an dem viele vorbeikommen. „Wenn ich da morgens am Bankl sitze und Kaffee trinke, kommt immer einer zum Ratschen.“ Das und dass er sich da mit seiner offenen Art, Menschen zu begegnen, bewusst hingesetzt hat, ließ ihn, den Fremden schnell in der Dorfgemeinschaft ankommen.
Typische allgäuerische Ausdrücke haben sich in Häuslers Wortschatz eingeschlichen. So sagt er „luag a mal“ statt „schau mal“. Wo er herkommt, kann er aber dennoch nicht verhehlen: „Den Franken am Funk, den kennt jeder“, sagt er und lacht, was er gerne und viel tut. Kein Wunder, denn er hat da seine Heimat gefunden, wo die Berge sind. „So lange ich denken kann, habe ich diese Liebe zu Bergen und ursprünglichem Leben.“ Obwohl er mit den Eltern selten im Wanderurlaub war. Wasser, Berge, Luft – Freiheit ist da die verbindende Linie, ist Häusler bewusst: „Ich versuche, in meiner Seifenblase die Wände wegzuhalten.“
Doch woher kommt diese Bergliebe bei einem Flachlandtiroler, wie er die Bewohner der Hersbrucker Schweiz liebevoll-scherzhaft nennt? Vom Häusler‘schen Haus am Ortsrand von Vorra war der Weg als Kind für ihn und Bruder Peter in die Wälder und Felsen nicht weit. „Wir haben da Bergsteiger gespielt und Dinge getrieben, die darf meine Mama heute noch nicht erfahren.“ Seine alpinen Wurzeln lägen eben am fränkischen Fels und im Hirschbachtal.
Bei den Streifzügen beobachteten sie immer wieder die Bergwacht bei Einsätzen und Übungen. „Das hat mich schon damals fasziniert.“ Vor allem die Luftrettung. Dieses Kindheitsbild des Typen am Seil unterm Hubschrauber hat sich Häusler eingebrannt. Heute sagt er: „Es ist affengeil, wenn du da unten dranhängst und jemand aus der Wand rausfischst.“ Das Zeichen der Bergwacht fand der Junge cool. „Berge und Retten, das ist das Geilste, was es gibt.“ Auf andere Art und Weise beeindruckend war es wohl, als die Bergwachtler den jungen, unerfahrenen Mann mit zu einer Wanderung in die Alpen nahm – auf den Jubiläumsgrat. „Nach der Hälfte der Strecke war ich völlig am Ende“, erzählt er lebhaft, „die haben meinen Rucksack getragen und mich am Seil gar drübergezogen“. Seitdem ist Häusler bei der Bergwacht.
Das Ehrenamt war ihm nie fremd, es wurde ihm zuhause vorgelebt. „Helfen ist mein roter Faden“, analysiert er selbst, „ich habe nie was anderes machen wollen und können“. Acht Stunden nur im Büro, ein Graus für Häusler. „Ich glaube schon, dass ich ab und an bewusst mein Leben riskiere.“
Wie wichtig Hilfe ist, wurde ihm durch einen Schicksalsschlag vor Augen geführt: Sein Papa erlitt einen Herzinfarkt und verstarb – weil der Rettungswagen nicht schnell genug in Vorra sein konnte. Der Auslöser für seinen Einsatz, eine First Responder-Gruppe in Vorra unter der Obhut der Feuerwehr zu forcieren. „Vor rund 20 Jahren stieß das auf wenig Begeisterung“, formuliert es Häusler vorsichtig. Viel politischer Gegenwind wehte ihm und seinen Mitstreitern entgegen. Am Ende stand eine Helfer vor Ort-Einheit unter dem Dach des ASB. Typisch sei das gewesen: „Da hab ich wieder meinen Kopf durchgesetzt.“
Teamgedanke motiviert
Schon damals war Häusler klar, dass es nur im Zusammenspiel geht – in dem Fall von Helfern vor Ort und Rettungsdienst. Wahrscheinlich passt er deshalb so gut zur Bergwacht; er ist einer von diesem ganz eigenen Menschenschlag. „Jeder liebt seine Aufgabe und weiß, was er kann“, erläutert er, „aber keiner denkt: Den Hubschrauber zum Beispiel, den brauchen wir nicht. Wir schaffen das alleine.“ Und das, obwohl Häusler und seine Kollegen oft am Berg bei Einsätzen Ungewissheit aushalten müssen, was von innerer Stärke und Selbstvertrauen zeugt, die herausfordernden Situationen gut und fokussiert lösen zu können. „Es geht nicht darum, sich selbst etwas zu beweisen, sondern sich mit seinen Fähigkeiten ins Team einzubringen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.“ Aus diesem Gemeinschaftsgedanken hole er sich die Motivation. Auch für seine vielfältigen Aufgaben im Hauptamt bei der Bergwacht Bayern.
Doch wie kam er dazu? „Das hat sich so entwickelt.“ Verletzungsbedingt musste er sich eine Auszeit von der Feuerwehr nehmen. „Ich habe da alles erlebt, was man erleben kann, und hatte das Gefühl, nichts mehr bewegen zu können.“ Über die Skiwacht gelangte er zu einem Projekt zum Thema Vegetationsbrand. Zudem wollte sich die Bergwacht beim Katastrophenschutz neu aufstellen. Alles echte Steckenpferde von Häusler. Und so gab er den ruhigen Job als Feuerwehrbeamter für die neuen Herausforderungen auf. „Ich bin niemand, der den einfachen Weg nimmt.“
Das tut er auch jetzt in der Bergwacht Bayern als Fachreferent für den Lehrbereich Einsatz und Landesbeauftragter für Katastrophenschutz nicht. Wie damals bei den First Respondern war er auch hier seiner Zeit voraus, äußerte Szenarien von Flut und Waldbränden, für die ihn andere für verrückt erklärten. Sie wurden wahr. „Wenn mir jemand Hürden in den Weg legt, dann bekomme ich richtig Biss.“ Er gehe jedoch dabei nicht blind, sondern mit Kopf und Herz vor, betont Häusler.
Vielleicht macht genau das – neben dem absoluten Brennen für die Sache voller Euphorie – seine Stärke aus. Jörg Häusler weiß, woher er seine Kraft schöpft – aus den Bergen – und wo seine Grenze ist: „Das ist die lebensbewahrende Angst“, gibt er nach einigem Grübeln offen zu.
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