![Die Justiz geht mit aller Härte gegen Hassposter im Internet vor. Die Justiz geht mit aller Härte gegen Hassposter im Internet vor.](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.10307035:1647002618/image/a-dpa-20200719_060059-1.jpg?f=16%3A9&h=816&m=FIT&w=1680&$p$f$h$m$w=187cf59)
Trügerische Anonymität
Nicht so anonym wie gedacht: Justiz ermittelt in Tausenden Fällen von Hatespeech
Mordaufrufe, Verleumdungen, wüste Beleidigungen, antisemitische Hetze, blanker Rassismus, frauenfeindliche Statements auf unterstem Niveau - was Menschen im Internet und auf den sozialen Plattformen treiben, ist oft abgründig. Und justiziabel. Sie tun es trotzdem, weil sie sich sicher fühlen in der Anonymität des Netzes. Doch die ist ein Irrtum.
Nicht machtlos
Weit mehr als 2300 Poster haben das im vergangenen Jahr am eigenen Leib erfahren. Sie bekamen Besuch von der Polizei, Post vom Staatsanwalt, sie mussten vor Gericht, mussten hohe Geldstrafen zahlen und ihre elektronischen Geräte abgeben. "Wir lassen uns natürlich nicht in die Karten schauen", sagt Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Hartleb. Aber so anonym, wie die meisten glauben, sei das Internet nicht. Und die Ermittlungsbehörden sind weit weniger machtlos, als die Täter erwarten.
Hate Speech ist das neue Wort für die verbalen Attacken im Internet. Seit zwei Jahren ermittelt eine Spezialeinheit der Staatsanwaltschaft. Inzwischen hat sie mehrere Portale freigeschaltet, auf denen etwa Medien oder Kommunal- wie Landespolitiker unkompliziert und kostenfrei alle Postings überprüfen lassen können, die strafbar sein könnten.
Kriminelle Vereinigungen
Für Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle wächst im Internet eine enorme Gefahr heran. Die Menschen, sagt er, bewegten sich dort "in Echokammern und Filterblasen. Sie stacheln sich gegenseitig auf." Der Mord etwa am hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke etwa gehe darauf zurück. Oder der Mord an einem 20-jährigen Studenten, der als Kassierer in einer Tankstelle den späteren Täter lediglich auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht hatte.
Die meisten Hassposter unterschätzten, wie riskant ihr Verhalten ist. "Der Schritt zur kriminellen Vereinigung ist in solchen Chatgruppen nicht weit", sagt Röttle. Schließlich sammeln sich in solchen Chatgruppen dutzende, manchmal tausende Gleichgesinnte, die sich gegenseitig bestärken und voranpeitschen.
Hohe Geldstrafen
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) lässt deshalb eine so harte Linie fahren, wie es vertretbar ist. Bei Hasspostings besteht "grundsätzlich ein öffentliches Interesse" an der Strafverfolgung. Das hebt sie über so genannte Antragsdelikte, bei denen die Betroffenen Anzeige erstatten müssen, bevor die Staatsanwälte aktiv werden können.
![Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit dominieren die Hassposts. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit dominieren die Hassposts.](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.11917862:1649669424/image/a-dpa-20220309_130504-2.jpg?f=16%3A9&h=480&m=FIT&w=900&$p$f$h$m$w=c261ee6)
Mit weit reichenden Folgen. Ein Gericht verurteilte eine Landsbergerin zu 60 Tagessätzen, weil sie zum Mord an Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Virologen Christian Drosten aufgerufen hatte. Für die beiden sei "ein Kügelchen zu schade", hatte sie im Internet öffentlich verbreitet. "Rein in Sack und mit einem Knüppel drauf." Einem anderen Bayern brummten sie 120 Tagessätze auf, weil er üble rassistische Fotos weiter verbreitet hatte. Der Mann ist jetzt vorbestraft und um drei Monatsgehälter ärmer.
Drastische Zunahme
Corona, darin sind sich die Fachleute einig, hat das Problem deutlich verschärft. Ermittelten die Staatsanwälte 2020 noch in 1648 Fällen, waren es im Jahr darauf bereits 2317. Ein Plus von 41 Prozent. Was die meisten Täter unterschätzten: In fünf von sechs Fällen konnten die Fahnder ihre Identität ermitteln.
Nicht immer reicht es danach für eine Verurteilung. "Das ist teilweise nicht einfach", sagt auch Justizminister Georg Eisenreich. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird von den obersten Gerichten als Verfassungsgut sehr weit ausgelegt; vieles von dem, was auch Eisenreich "als völlig daneben, unmöglich oder widerwärtig" einstuft, ist demnach "noch nicht zwingend strafrechtlich relevant".
Nur die Ausnahme
Manchmal stellen die Gerichte die Verfahren ein, etwa bei Jugendlichen gegen Auflagen wie soziale Stunden. "Die wissen oft nicht, wie schnell sie die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten", sagt Eisenreich. Doch das ist die Ausnahme und soll es laut Eisenreich auch bleiben. "Das ist uns wichtig", sagt er, auch der Abschreckung wegen.
Auf der Hitliste der Widerwärtigkeiten stehen fremdenfeindliche Posts ganz oben, dicht gefolgt von antisemitischen Tiraden. Die Plätze drei und vier teilen sich Hasskommentare gegen die sexuelle Orientierung und solche mit tief frauenfeindlichen Inhalten. Fast immer sind es Männer, die solche Dingen posten, fast immer sind sie deutsche Staatsbürger.
Angriff auf die Demokratie
Dass es zunehmend auch Mandatsträger und vor allem Mandatsträgerinnen trifft, beunruhigt Eisenreich wie die Vertreter der Justiz. Sie nennen es "einen Angriff auf die Demokratie", gegen den sie mit aller Intensität vorgehen wollten. Denn er zeigt Wirkung: 37 Prozent der kommunalen Amtsträger verzichten auf soziale Medien, ein Drittel meidet bestimmte Themen. Und jeder Fünfte erwägt sogar einen Mandatsverzicht. Das will der Staat nicht hinnehmen.
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