Ausstellung im Landlmuseum

Wiederentdeckt: Bücher und Handschriften aus jüdischem Besitz kehren nach Sulzbürg zurück

Nicolas Damm

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29.10.2022, 19:05 Uhr
Sie bauen die Ausstellung ''Beten, Lesen, Lernen'' im Landlmuseum Sulzbürg auf (v.li.): Prof Dr. Erich Naab, Dr. Heike Riedel, Prof. Dr. Heide Inhetveen und Oliver Sowa.

© Athina Tsimplostefanaki, NNZ Sie bauen die Ausstellung ''Beten, Lesen, Lernen'' im Landlmuseum Sulzbürg auf (v.li.): Prof Dr. Erich Naab, Dr. Heike Riedel, Prof. Dr. Heide Inhetveen und Oliver Sowa.

Fast vier Jahrzehnte lang stand ein großer Karton in der Eichstätter Universitätsbibliothek. Der Inhalt: vier hebräische Handschriften aus dem 18. Jahrhundert und 52 hebräische Drucke, die höchstwahrscheinlich alle aus Sulzbürg stammen. Vor allem Gebetsbücher, aber auch eine Thora-Rolle. Was bekannt ist: Der katholische Pfarrer Heinrich Meißner, von 1944 bis 1984 Ortsgeistlicher in Sulzbürg, hatte die Bücherkiste 1985 dem Eichstätter Priesterseminar geschenkt.

Leserichtung von rechts nach links: Die hebräische Kursive (Schreibschrift) unterscheidet sich zum Teil erhebliche von der Standardschrift.

Leserichtung von rechts nach links: Die hebräische Kursive (Schreibschrift) unterscheidet sich zum Teil erhebliche von der Standardschrift. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Und noch einmal rund 40 Jahre zurück. Da waren die letzten Mitglieder der jüdischen Gemeinde bereits deportiert, das Jahrhunderte alte jüdische Leben im Landl ausgelöscht. Meißner, eben erst nach Sulzbürg versetzt, kam noch vor Kriegsende in den Besitz der Bücher. Was hingegen nicht bekannt ist: Wie ist der Pfarrer seinerzeit an die Judaica gekommen?

Nicht zu übersehen ist das rote Landlmuseum am Sulzbürger Marktplatz. Hier läuft die Ausstellung vom 30. Oktober bis zum 11. Dezember.

Nicht zu übersehen ist das rote Landlmuseum am Sulzbürger Marktplatz. Hier läuft die Ausstellung vom 30. Oktober bis zum 11. Dezember. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Die Sulzbürgerin Dr. Heide Inhetveen, die seit vielen Jahren den Spuren jüdischen Lebens in ihrem Heimatort, aber auch in Neumarkt folgt, hat da mehrere Vermutungen. Soviel sei verraten: Ihre Thesen stellen Meißner nicht unbedingt in ein günstiges Licht. Auch die Unibibliothek ordnet die alten Bücher in die Kategorie "NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut" ein.

Auch die systematische Ausgrenzung der Juden ab 1933 wird in der Ausstellung mit Schauobjekten thematisiert.

Auch die systematische Ausgrenzung der Juden ab 1933 wird in der Ausstellung mit Schauobjekten thematisiert. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Fast alle sind bereits digitalisiert und im Internet einsehbar, die Namen ihrer einstigen Besitzer, soweit bekannt, google-indiziert. "Wenn jemand nachweisen kann, dass er ein Nachfahre ist, würden wir sie selbstverständlich restituieren", sagt Dr. Heike Riedel, die in der Bibliothek die Abteilung Historische Bestände leitet.

Heide Inhetveen mit dem Foto des Sulzbürgers Karl Regensburger, der im NS-Hetzblatt "Der Stürmer" massiv angegangen wurde.

Heide Inhetveen mit dem Foto des Sulzbürgers Karl Regensburger, der im NS-Hetzblatt "Der Stürmer" massiv angegangen wurde. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Nun kehrt der Bücherschatz für wenige Wochen nach Sulzbürg zurück. Rund um die teils dicken Wälzer und Pergamentrollen bauen Inhetveen und Riedel gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftlern, Professor Erich Naab und Oliver Sowa, dieser Tage eine neue Ausstellung um Landlmuseum auf.

 52 Bücher aus dem Besitz der jüdischen Gemeinde schlummerte in der Eichstätter Unibibliothek jahrzehntelangin einem Karton. 

 52 Bücher aus dem Besitz der jüdischen Gemeinde schlummerte in der Eichstätter Unibibliothek jahrzehntelangin einem Karton.  © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Nur die wenigsten Besucher werden die hebräischen Druckbuchstaben in den vergilbten Bänden lesen können und schon gar nicht die noch rätselhaftere hebräische Schreibschrift. Schon eher die hinein gekritzelten Besitzeinträge und Kommentare an den Seitenrändern, Schreib- und Rechenübungen auch in den Gebetsbüchern. "Damit haben sich offenbar viele die Zeit während der oft langatmigen jüdischen Gottesdienste vertrieben", vermutet Heide Inhetveen.

Museumsleiter Ludwig Schiller schneidet die lange "Opferliste" für die Vitrine zurecht. 

Museumsleiter Ludwig Schiller schneidet die lange "Opferliste" für die Vitrine zurecht.  © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Die emeritierte Soziologie-Professorin steuert selbst noch zahlreiche Gegenstände und Dokumente aus dem Alltag der ehemaligen israelitischen Gemeinde bei, die deutlich machen, wie die tief diese in Sulzbürg verwurzelt, in die christlichen Umwelt integriert war. Auch in den Vereinen: Die drei jüdischen Wohltätigkeitsvereine unterstützten alle Armen, egal welcher Religion; und in den Gesangvereinen sangen selbstverständlich auch Juden mit. Einer von ihnen, Wolf Grünebaum, hat sogar den Text des "Sulzbürger Sängergruß" geschrieben, den der örtliche Männergesangverein heute noch zum Besten gibt.

Mit Ausnahme eines einzigen Bandes, dessen Erhaltungszustand das nicht zuließ, wurden alle Bücher und zwei Handschriften des Konvoluts komplett digitalisiert.

Mit Ausnahme eines einzigen Bandes, dessen Erhaltungszustand das nicht zuließ, wurden alle Bücher und zwei Handschriften des Konvoluts komplett digitalisiert. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Erschütternd wird die Ausstellung, wenn es auf das schreckliche Ende zugeht, auf die Hetze des "Stürmers" und schließlich die Schicksale der letzten jüdischen Einwohner des einstigen Marktfleckens. Die ganze Katastrophe auf einen Blick erfasst die "erste gesammelte Opferliste", zusammengeschrieben von Heide Inhetveen auf einem fast mannshohen Plakat. In der langen Reihe der Ermordeten und in der Isolation Gestorbenen sind Karoline Regensburger und Lazarus Weil die einzigen, die den Holocaust überlebt haben.

Die Bücher sind nur ein kleiner Teil der Ausstellung, die mit Dokumenten und Original-Objekten einen guten Eindruck von der tiefen Verwurzelung der jüdischen Gemeinde in Sulzbürg gibt.

Die Bücher sind nur ein kleiner Teil der Ausstellung, die mit Dokumenten und Original-Objekten einen guten Eindruck von der tiefen Verwurzelung der jüdischen Gemeinde in Sulzbürg gibt. © Athina Tsimplostefanaki, NNZ

Zur Vernissage am Sonntag, 30. Oktober, werden Bürgermeister Dr. Martin Hundsdorfer, Dr. Antje Yael Deusel, die Rabbinerin der liberalen Gemeinde Bamberg, und Michael Wohner, Regens des Bischöflichen Seminars in Eichstätt und damit derzeit Besitzer der Sammlung, erwartet. Am Nachmittag findet eine Führung über den jüdischen Friedhof Sulzbürg statt.

Die Ausstellung "Beten - Lesen - Lernen. Wiederentdeckte Bücher der jüdischen Gemeinde Sulzbürg" läuft vom 30. Oktober bis 11. Dezember im Landlmuseum Sulzbürg, Marktplatz 5; samstags und sonntags von 14 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung. Weiter Infos unter www.ku.de. Beschreibung der Bücher im Internet: http://digital.bib-bvb.de/collections/KUEI/#/collection/DTL-6056

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