Weihnachtsmärkte auf der Kippe
Jetzt äußern sich die Schausteller zu Corona: "Es dreht einem den Magen um"
16.11.2021, 05:55 UhrUm seine Situation zu beschreiben, wählt Johannes Braun am Telefon deutliche Worte. "Mein Kopf raucht, ich habe schlaflose Nächte", sagt der 41-Jährige.
Er ist Schausteller in achter Generation. Seine Großeltern schafften im Frühjahr 1949 ihre erste Autoskooter-Bahn an. Der Zweite Weltkrieg hatte die Hochseilartisten aus dem Saargebiet nach Nürnberg verschlagen, dort brauchten sie ein neues Geschäft.
Seither hat die Familie kein Volksfest ausgelassen, war im Winter auf den Weihnachtsmärkten präsent - bis Corona kam und damit das vorübergehende Ende dieser Veranstaltungen.
Immense Verluste
"Das ist unser Leben, da geht es nicht drum, mal schnell einen Laden hinzustellen, wir machen das mit Herzblut", sagt Braun.
Die Verluste durch die abgesagten Feste waren immens. Umso größer war die Hoffnung, dass wenigstens die Weihnachtsmärkte 2021 wieder stattfinden können. Braun ist gerade in Bremerhaven, dort laufen die Aufbauarbeiten für ein "Winterdorf". Gleichzeitig hat die Familie einen Süßigkeitenstand auf der Nürnberger Kinderweihnacht, auf dem Hauptmarkt sollen bald Waffeln gebacken werden.
"Fünf nach Zwölf"
Lothar Wieler, der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), erklärte vor wenigen Tagen mit Blick auf die rasante Zunahme der Neuinfektionen, es sei "Fünf nach Zwölf". In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief er dazu auf, die Personenzahl bei Großveranstaltungen zu reduzieren oder ein Verbot zu erwägen.
Kurz darauf machte sich mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ein erster ranghoher Politiker dafür stark, alle Weihnachtsmärkte in diesem Jahr abzusagen.
Überlebenswichtiges Geschäft
Seither wird die Debatte geführt, was Braun verstehen kann. Menschenleben gingen natürlich vor, sagt er. Aber eine Absage wäre "eine Katastrophe".
Das Geschäft sei überlebenswichtig, die Einnahmen "brauchen wir, um bis Ostern zu kommen." Erschwerend hinzu kommen die hohen Ausgaben im Vorfeld. Die Lieferanten hätten im Vorfeld Druck aufgebaut, würden nichts zurücknehmen. Kakao, Glühwein, Würste: Alles muss abgenommen und bezahlt werden, das Personal will und braucht seinen Lohn.
Drei Kinder
Er habe drei Kinder zu ernähren, sagt Braun. Beim Gedanken daran, dass es erneut keine Weihnachtsmärkte gibt, "dreht sich mir der Magen um."
Lorenz Kalb kennt diese Nöte nur zugut. "Stellen Sie sich vor, Sie hätten seit 2019 keine Arbeit mehr", sagt der Vorsitzende des Süddeutschen Schaustellerverbands und versteht die Diskussion nicht.
"Man hört immer nur Weihnachtsmarkt", sagt er. Dabei hätten gerade die Schausteller wie zuletzt beispielsweise mit dem "Nürnbärland" oder den Nürnberger Sommertagen bewiesen, das Hygienekonzepte funktionieren. "Wir haben die Leute geschult und alles getan, was man tun kann", sagt Kalb.
Wie ein Damoklesschwert
Nun hänge erneut ein Damoklesschwert über der Branche, nach Monaten, die ohnehin von Planungsunsicherheit geprägt gewesen seien. "Schausteller, das ist auch eine Berufung. Alles, was man sich in Generationen erarbeitet hat, steht jetzt auf der Kippe", so Kalb.
Auch Karl-Heinz Hartnagel ist hörbar verzweifelt. "Ich bin Schausteller in der sechsten Generation, mein Lebensmittelpunkt ist seit gefühlt 100 Jahren Nürnberg", sagt er. Seit 1992 verdient er sein Geld auf Volksfesten, den Brezen-Stand auf der Erlanger Bergkirchweih kennen viele. Mit Corona sei es de facto zu einem Berufsverbot für ihn und seine Kollegen gekommen, so Hartnagel.
Weiterlaufende Kosten
Längst gehe es auch für ihn um die Existenz, die Altersvorsorge, alle Kosten bis hin "zu meinem Butterbrot mit Schnittlauch" seien über 18 Monate hinweg weitergelaufen und mussten ohne Umsätze und Einnahmen gestemmt werden.
Nachdem nun mit der Diskussion um die Weihnachtsmärkte "unberechtigterweise" erneut die Schausteller in den Fokus gerückt seien, fühlt er sich "getreten", versteht nicht, warum auch in Innenräumen große Veranstaltungen möglich gewesen sind und nun über Märkte im Freien mit einer von vielen Virologen attestierten, deutlich niedrigeren Ansteckungsgefahr geredet wird.
Bitte um einheitliche Rahmenbedingungen
"Die aktuellen Inzidenzen kommen nicht von uns", sagt er. Und am Ende werde auch ja auch niemand gezwungen, auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen, wie er meint.
"Die Ungewissheit ist das Schlimmste", so Hartnagel, der die Politik deshalb "höflichst darum bittet, dass man uns die Rahmenbedingungen gibt", damit die Märkte stattfinden können - und auch daran erinnert, dass die Schausteller das Image von Deutschland in der Vergangenheit entscheidend mit geprägt haben.
Kein touristischer Werbefilm komme ohne Bilder von Volksfesten aus, die schließlich von der Unesco auch zum immateriellen Kulturerbe erklärt worden sind, so Hartnagel.
Robert Förster spricht ebenfalls von "schlaflosen Nächten." Er ist mit einem Glühweinstand auf der Nürnberger Kinderweihnacht vertreten, gleichzeitig soll in Heidelberg bereits von diesem Donnerstag an Feuerzangenbowle und Pommes über die Tresen gereicht werden.
Große Unsicherheit
"Wahrscheinlich machen wir einen Tag auf und dann gleich wieder zu", sagt er mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz, die an diesem Tag stattfinden soll.
"Man kann sich auf nichts verlassen", sagt Förster und hat den Eindruck, dass die Regierung die letzten Monate "im Schlafwagen" verbracht und aus dem ersten Corona-Jahr nichts gelernt habe.
Auch er erzählt von hohen Investitionen im Vorfeld, den notwendigen Reparaturen, dem Einkauf. Unkosten, die ohne das Geschäft auf den Märkten erneut ohne Ausgleich und damit existenzgefährdend zu Buche schlagen würde. "Wir sind verzweifelt", so Förster.