Blutiger Palmsonntag

Was ist beim Pogrom in Gunzenhausen eigentlich passiert? Die Stadt erinnert mit einem Gedenk-Gang

Jürgen Eisenbrand

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22.3.2024, 11:00 Uhr
Menschenverachtend: Nazis stellten nach dem Blutigen Palmsonntag Tafeln auf, mit denen sie die Opfer Max Rosenau und Jakob Rosenfelder noch nach deren Tod verhöhnten.

© Stadtarchiv Gunzenhausen, NN Menschenverachtend: Nazis stellten nach dem Blutigen Palmsonntag Tafeln auf, mit denen sie die Opfer Max Rosenau und Jakob Rosenfelder noch nach deren Tod verhöhnten.

Der wütende Mob drang in die Häuser der jüdischen Bürgerschaft ein und jagte Bewohner durch die Straßen. Dutzende jüdische Männer wurden ins Gefängnis gebracht, zwei fanden am Ende sogar den Tod: der 64 Jahre alte Kaufmann Max Rosenau, wohnhaft Burgstallstraße 7, und der 30-jährige Jakob Rosenfelder, Konditor in der Bahnhofstraße 12. Der Blutige Palmsonntag in Gunzenhausen war einer der ersten Pogrome überhaupt im "Deutschen Reich".

"Weil er sein Bier beim Juden trank"

Am Sonntagnachmittag, gegen 17 Uhr, leitete der 21-jährige SA-Obersturmbannführer Kurt Bär eine Besprechung im Hotel "Post". Im Anschluss gingen Bär und seine Begleiter an der Gastwirtschaft des Juden Simon Strauß, Nürnberger Straße 4, vorbei. Sie betraten den Gastraum, entdeckten dort den ehemaligen Gundelsheimer Bürgermeister Leonhard Baumgärtner, versetzten ihm eine Ohrfeige und vertrieben ihn aus dem Lokal, "weil er sein Bier beim Juden trank".

Später kehrten die SA-Schergen zurück. Kurt Bär schlug Simon Strauß und dessen Frau Sofie, bedrohte das Ehepaar mit einer Pistole und gab dabei Schüsse in die Wand ab. Im Hausflur prügelten SA-Männer währenddessen den 27-jährigen Gastwirtssohn Julius Strauß bis zur Bewusstlosigkeit, demolierten dann die Einrichtung der Wirtschaft und brachten schließlich die Familie Strauß ins Gefängnis.

In Windeseile versammelte sich vor dem Gasthaus Strauß eine große Anzahl Schaulustiger, die sich eine Hetzrede von Kurt Bär anhörten. Er und weitere 23 SA-Leute führten anschließend Trupps zwischen 50 und mehreren 100 Gunzenhäusern an und zogen durch die nächtlichen Straßen der Kernstadt.

Eines der ersten Häuser, das gestürmt wurde, war das Anwesen Bahnhofstraße 12. Dort lebte Jakob Rosenfelder mit seiner Schwester Fanny Rosenfelder. Er war den Gunzenhäuser Nazis schon lange ein Dorn im Auge. Jakob Rosenfelder flüchtete mit einem Sprung aus dem ersten Stockwerk. Seine Leiche fand sich, hängend an einer Stange, im Schuppen des Anwesens Bahnhofstraße 16. Mutmaßungen über Selbsttötung oder Mord wurden schon damals heftig diskutiert. Fanny Rosenfelder gab zu Protokoll, dass sie nicht glaube, ihr Bruder habe sich selbst das Leben genommen. Auch das Gutachten eines Gerichtsmediziners im Jahr 2005 tendiert in Richtung Mord.

"Ich bin schon tot!"

Das zweite Todesopfer jener Nacht wohnte in der Burgstallstraße 7. In höchster Todesangst vor den randalierenden Menschen in seinem Haus stieß sich Max Rosenau fünf Mal ein langes Messer in die Brust. Unmittelbar darauf drangen sechs bis acht Leute in das Wohnzimmer ein, und der sterbende Rosenau rief ihnen mit letzter Kraft zu: "Ich bin schon tot, mir braucht ihr nichts mehr zu tun."

Gemeinsam mit der deutsch-jüdischen Dialoggruppe wird die Stadt im Rahmen einer zweigeteilten Gedenkveranstaltung am Sonntag, 24. März, an diese unrühmliche Vergangenheit erinnern.

Gedenk-Gang entlang der damaligen Tatorte

Um 17 Uhr wird zu einem gemeinsamen Gedenk-Gang eingeladen, dessen Weg vorbei an Gebäuden der damaligen Geschehnisse führen wird. Daran wird mit der aus den USA angereisten Rachel Tamari (Teitelbaum) eine Nachfahrin einer ehemals hier lebenden jüdischen Familie teilnehmen.

Der Weg beginnt in der Nürnberger Straße 4 (Gasthof Zur Linde/Arnold). Von dort führt er bis vor das Lutherhaus in der Hensoltstraße 27A, in dem der zweite Teil der Veranstaltung stattfinden wird. Zum Gedenk-Gang können gerne Kerzen mitgebracht werden, an den Tatorten werden Aufsteller mit Informationen zu sehen sein.

Auschwitz-Überlebender berichtet

Das Gedenken im Lutherhaus beginnt um 18.30 Uhr. Bürgermeister Karl-Heinz Fitz wird die Besucher begrüßen, Werner Hirte und Rachel Tamari werden zu ihnen sprechen. Nach einem musikalischen Beitrag wird Stadtarchivar Werner Mühlhäußer die schändlichen Ereignisse des Blutigen Palmsonntags in Erinnerung rufen. Die Veranstaltung beschließen wird der Auschwitz-Überlebende Nathan Großmann, der trotz seiner 96 Jahre nach Gunzenhausen kommen wird, um an diesem schicksalshaften Tag über seine Erlebnisse zu sprechen.

Auch online kann man mitgehen

Wer nicht persönlich teilnehmen kann, hat die Möglichkeit, dem Gedenken online beizuwohnen: dem Gedenk-Gang unter https://youtube.com/live/iNY62JNIzoY, der Veranstaltung im Lutherhaus unter https://youtube.com/live/_9brgIU383E.

Bereits am Freitag, 22. März (19.30 Uhr), und am Samstag, 23. März (17.30 Uhr), wird im Gunzenhäuser Kino Movieworld der Dokumentarfilm "Das Zelig" von Tanja Cummings gezeigt. Er begleitet Holocaust-Überlebende ins Café Zelig in München. Die Regisseurin ist selbst vor Ort und lädt zur Diskussion ein.


Infos: www.daszelig-film.de, www.jl-gunzenhausen.de

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