Stadtarchivar deckt auf
Überraschende Nachricht für Gunzenhausen: Das „Haus des Gastes“ war nie ein Jagdschloss
Das heute als "Haus des Gastes" bekannte Gebäude war in seiner reichhaltigen Geschichte vieles, aber nie ein markgräfliches Jagdschlösschen. Mit dieser jahrzehntelang in und um Gunzenhausen gepflegten Falschinformation räumte Stadtarchivar Werner Mühlhäußer entschieden auf.
"Das heißt natürlich nicht, dass die Räumlichkeiten nichts mit Carl Wilhelm Friedrich zu Brandenburg-Ansbach zu tun hatten", betonte der Historiker. "In erster Linie diente das Anwesen wohl als Gartenhaus, daneben befand sich ein Springbrunnen und ein Wasserbad für seine geliebten Falken auf dem Gelände. Richtigerweise sollten wir vom markgräflichen Hofgarten sprechen. Ein Jagdschlösschen in Gunzenhausen gab’s zwar tatsächlich, es stand jedoch auf Höhe des heutigen Oettinger Parkplatzes unweit des Bärenwirtweihers. Von diesem prunkvollen Gebäude ist nur noch eine Drauf- und Vordersicht erhalten geblieben. Nach dem Tode des Wilden Markgrafen wurde es schon bald abgerissen."
"Ein Jagdschlösschen in Gunzenhausen gab’s zwar tatsächlich, es stand jedoch auf Höhe des heutigen Oettinger Parkplatzes."
Das und noch viel mehr über das Haus des Gastes erfuhren die Besucherinnen und Besucher im Rahmen der Veranstaltung "Ein Haus erzählt seine Geschichte". Stadthistoriker Mühlhäußer hatte Geschichte in spannende Geschichten gepackt, die Stadtführerin Cornelia Röhl zu kleinen, kurzweiligen Theaterszenen umschrieb. Schauspielerinnen und Schauspieler, vorwiegend von der Weißenburger Bühne, setzten die dann in Szene und ließen das Publikum Historie erleben. Musikalisch stilvoll umrahmt wurde das Event von Ruth Tuffentsamer an der Flöte und Sigrid Popp am Keyboard.
Erste Hinweise auf eine Nutzung des Areals am heutigen Martin-Luther-Platz 4 sind bereits für Anfang des 16. Jahrhundert überliefert. Damals hatten die Adelsfamilien Leonrod und Rechenberg ihre Privatgärten dort angelegt, das Grundstück war da noch um einiges größer. Zu diesem Zeitpunkt stand wohl noch kein Gebäude darauf, erst rund 200 Jahre später wurde ein "Häußlein" mit Brunnen gebaut.
1746 erwarb der "Wilde Markgraf" Carl Wilhelm Friedrich (1712 bis 1757) die Liegenschaft. Dem Fürsten, der sich bekanntermaßen häufig und lange in seiner Wahlheimat Gunzenhausen aufhielt, diente das Objekt von nun an als "herrschaftlicher Hofgarten zum ausschließlichem Amusement", wie Mühlhäußer herausgefunden hat. Errichtet wurden unter anderem eine Reitbahn und ein Mäusehäuslein für die Falkenzucht.
Bei einer auflockernden Spielszene diktierte der umtriebige Markgraf einem Schreiber zahlreiche Verbesserungen für eine erfolgreichere Falkenjagd in die Feder. Gestört wurde er dabei von seiner eifersüchtigen Geliebten Elisabeth Wünsch.
Der Hofgarten wurde 1810 zwangsversteigert, und die sogenannte Casinogesellschaft Gunzenhausen griff dankbar zu
Nach dem Tode Carl Wilhelm Friedrichs erwarb die Sattlerstochter Maria Sophia Engelhardt das Grundstück. Heute ist bekannt, dass sie trotz emsiger Bemühungen die Unterhaltskosten nicht aufbringen konnte. Das Areal wurde daher 1810 zwangsversteigert, und die sogenannte Casinogesellschaft Gunzenhausen griff dankbar zu. Die Bezeichnung "Casino" hat hier übrigens nichts mit Glücksspiel zu tun, der Begriff stammt aus dem Italienischen und bezeichnet ein "kleines Haus". Die Gesellschaft war ein gesellschaftlicher Männerverein für die Gunzenhäuser Oberschicht.
Die Casinogesellschaft renovierte Haus und Garten umfangreich, auf dem Grundstück entstanden nach und nach unter anderem ein Kegelplatz und ein hölzernes Sommerhäuschen. Der barocke Markgrafengarten gehörte damit endgültig der Vergangenheit an, installiert wurde ein der damaligen Mode entsprechender Landschaftsgarten nach englischem Vorbild.
Trotz elitärem Klientel wurde schlecht gewirtschaftet, und Teile des Grundstücks mussten verkauft werden. Heute stehen entlang der Hensolt- beziehungsweise Burgstallstraße zahlreiche Häuser auf den damals abgegebenen Flächen.
Teil der Casinogesellschaft konnten Männer werden, die laut Satzung "selbstständig, gebildet und unbescholten" waren. Dekan und Schulreformer Heinrich Stephani war darunter, außerdem der spätere Ministerialrat Wilhelm Christoph Gustav Kahr sowie Stadtschreiber Johann Heinrich Frauenknecht. Nicht zu vergessen der Arzt und Heimatforscher Dr. Heinrich Eidam, der lange Zeit auch Vorstand des Vereins war. Die dazugehörige Spielszene drehte sich daher auch um den berühmten Limes-Experten. Er berichtete einer Putzfrau aus der Jetztzeit stolz von seinen Wohltaten für die Stadt.
Am 24. April 1939 verkaufte die sich in der Auflösung befindliche Casinogesellschaft Grundstück plus Gebäude an den Heilpraktiker Johann Reichardt. Der kam damit der NS-Ortsgruppe zuvor, die an dieser Stelle ein "braunes Haus" errichten wollten. Sein Privatzoo ist bis heute legendär, er hielt dort Affen, Flamingos und Papageien. Selbst einen ausgewachsenen Bären soll er besessen haben, doch sein Liebling war offenbar ein Löwe. Der durfte sogar mit zum Männerstammtisch in die Gastwirtschaft "Altes Rathaus" - und saß dort am Tisch.
In erster Linie fasziniert bei der Person Johann Reichardt der Mythos ums Goldmachen. Zur Erinnerung: Aus einem mittelalterlichen Stadtmauerstück wurde ein Glasgefäß geborgen, das eine geheimnisvolle Anleitung zum Goldmachen enthielt. Reichhardt übersetzte die Hinweise und stellte in einem Felsenkeller tatsächlich das Edelmetall her, bestätigt von mehreren Zeugen.
Ob es diese Zeugen tatsächlich gab, weiß heute niemand mehr, doch Reichardt liebte die Selbstinszenierung: In die Wände des Kellers waren mystische Symbole geritzt, schwach beleuchtet von wenigen Kerzen. Nur ausgewählte Gäste durften einen Blick ins schaurige Labor werfen. Fotos davon existieren und zeigen einen geheimnisumwitterten Raum, von dem etwas Verbotenes ausgeht.
Bei der Spielszene wurde der Wunderheiler von einer Reporterin interviewt. Neben bekannten Reichardt-Redewendungen wie "Vorbeugen ist besser als Heilen! Und kostet auch weniger!" erfuhr das Publikum vieles weitere aus seinem Leben im Haus des Gastes.
"Ein Haus erzählt seine Geschichte" begeisterte das Publikum mit vielen interessanten und erzählenswerten Details zur Historie des Gebäudes. Das Areal gehört zu den bedeutendsten Orten in der Region Gunzenhausen, heute ist es eine "Stätte der Begegnung, des Verweilens, der Unterhaltung und Erholung".
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