Digitaler Unterricht: Wie kommen die Grundschüler zurecht?
Isabel Eichmüller beugt sich über ihr Tablet und drückt den roten Knopf – die Aufnahme läuft. Mit ruhiger, klarer Stimme erklärt sie Schritt für Schritt ein Arbeitsblatt, das für nächste Woche im Stundenplan ihrer Viertklässler steht. Das richtige Auf- und Abrunden von Zehntausender-Zahlen, die Kinder werden es virtuell lernen müssen.
Ein bisschen Schauspiel gehört dazu
Die Grundschullehrerin ist während dieser ersten Schulwoche im neuen Jahr schon mit dem Kopf in der nächsten. Permanent arbeitet sie vor, arbeitet ab, arbeitet nach. An jedem Freitag bringen die Eltern die Arbeitsblätter der Kinder zur Schule und legen sie kontaktlos in ein Fach. An den Wochenenden korrigiert Isabel Eichmüller diese und bespricht am Montag mit den Kindern, was ihr dabei aufgefallen ist.
Vor einer Stunde stand Eichmüller mit zwei Kolleginnen, die ebenfalls die vierte Jahrgangsstufe unterrichten, in der Teeküche vor der Kamera. In einem Kochtopf filmten sie für die Kinder, wie Wasser verdampft, wenn es heiß wird.
Ungleichheit im Kinderzimmer?
Gewissermaßen ist jede der Grundschullehrerinnen dieser Tage auch Schauspielerin. Ziel ihrer Bemühungen ist es, anschaulich zu erklären und nicht nur abarbeiten zu lassen. Denn nur so funktioniere Lernen. Es ist ein Versuch, den Kindern eine Begleitung und Betreuung zu bieten, die auf Distanz nur begrenzt möglich ist. Schulleiter Herbert Brumm ist deshalb kein Befürworter der Bezeichnung "digitaler Unterricht". Für ihn liegt die Essenz einer Unterrichtsstunde in der Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülern.
Seit Frühjahr vergangenen Jahres hat die Treuchtlinger Grundschule Konzepte erarbeitet, wie die Corona-bedingte Distanz, die diese Beziehung erschwert, überwunden werden kann. Regelmäßig informieren die Klassenlehrer alle Eltern per E-Mail über das Wesentliche. Sie wissen auch, wie die Haushalte technisch aufgestellt sind. "Es gibt Familien mit zwei Kindern und nur zwei Handys, aber das eine Handy hat der Vater auf der Arbeit dabei", erklärt eine Lehrerin der vierten Klasse.
In solchen Fällen habe die Grundschule auch schon Tablet-Computer ausgegeben. Und wenn es im Haushalt eines Schulkinds keinen Drucker gibt, sendet die Schule die Arbeitsblätter postalisch zu.
Treuchtlinger Grundschule: So lief der Präsenzunterricht mit Abstand
"Wir müssen allen Kindern eine passgenaue Teilnahme ermöglichen", sagt Herbert Brumm. Bei Kindern mit eigenem Zimmer, elterlicher Betreuung und Laptop klappt der Unterricht unter Umständen reibungslos. Andere brauchen mangels technischer Ausstattung eine analoge Variante.
Untertags wird Brumm häufig angerufen, weil es technische Probleme gibt. Ein Laptop, der noch nicht eingerichtet ist, eine organisatorische Frage zum richtigen Programm für die Videokonferenzen der Lehrer. Treuchtlingens Grundschulleiter ist in wenigen Monaten zum Technikprofi geworden. "Notgedrungen ist vieles sehr schnell vorangegangen", resümiert er.
Die Lehrkräfte leisten nun all das, was sie vorher schon leisten mussten, hinzu gekommen sind aber ein enormer technischer Aufwand sowie die ausufernde Vor- und Nachbereitung der digitalen Unterrichtsstunden. Zuweilen wirken die Lehrer in ihren selbstgedrehten Filmbeiträgen wie waschechte "YouTuber".
42 Schüler in der Notbetreuung
Der Modernisierungsschub in den Schulen, er kann auch eine Chance sein. Doch der Rektor und die Lehrkräfte fürchten, dass die Leistungen bei einem Teil der Schüler langfristig unter der aktuellen Form des Unterrichtens leiden werden. Brumm hofft daher, dass vor allem die ersten und die vierten Klassen im Februar wieder zum Präsenz- oder zumindest zum Wechselunterricht zurückkehren dürfen.
Homeschooling in Bayern: Lernplattform Mebis läuft vorerst ohne Probleme
Aktuell läuft in den Grundschul-Standorten in Treuchtlingen, Wettelsheim und Schambach für 42 der 461 Schüler eine Notbetreuung. Im Laufe des Schultags werden die Kinder innerhalb ihrer Jahrgangsstufe von einer Lehrkraft beaufsichtigt und begleitet, während sie ihre Lerninhalte selbstständig abarbeiten.
So ist das beispielsweise in der Aula, in der gerade drei Viertklässler einen Kurzfilm ansehen, der ihnen erklärt, warum der Ozean blau ist. Sie sind alle drei froh darüber, ihre Aufgaben im Schulgebäude erledigen zu können. "Dann ist in der Schule Schule, und zu Hause habe ich Freizeit", erklärt eine Zehnjährige.
Die Eltern müssen viel leisten
Eine Mutter, die für ihre Tochter ein Schulheft abholt, sagt, dass sie bislang zufrieden sei. Mit der Betreuung ihrer Tochter, die die dritte Klasse besucht, sowie mit einem weiteren Kleinkind habe sie zu Hause aber allerhand zu tun. "Meist mache ich im Zimmer nebenan etwas, damit ich ihr wenn nötig mit dem Tablet helfen kann."
In der Treuchtlinger Grundschule sind sich alle darüber im Klaren, unter welch großer Belastung die Eltern derzeit stehen. Viele der Lehrerinnen und Lehrer haben selbst Kinder, denen sie täglich beim "Homeschooling" zur Seite stehen. Mit der Notbetreuung kann die Schule lediglich versuchen, die Eltern zu entlasten und ihnen als Ansprechpartner zur Seite zu stehen.
"Die gesamte Schule ist in den vergangenen Monaten zusammengerückt", beobachtet Rektor Herbert Brumm. Dass die Faschingsferien auf Geheiß des Kultusministeriums heuer ausfallen sollen, findet er jedoch problematisch. "Denn diese Woche wäre ein Durchatmen für alle gewesen." Gemeint sind damit längst nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch die Kinder und deren Eltern, die in dieser sich laufend ändernden Unterrichtssituation seit Monaten einen erheblichen Teil der Last mittragen.
Zum Thema:
Welche Rolle spielt die Lernplattform Mebis?
Das Internetportal des bayerischen Kultusministeriums spielt an der Treuchtlinger Grundschule keine tragende Rolle. Stattdessen arbeitete die Schule schon vor der Corona-Pandemie mit dem Schulmanager, den auch die Senefelder-Schule nutzt. Die Inhalte, die sich die Kinder erarbeiten sollen, sind darin in einem Wochenplan dargestellt.
Zum Schulstart viele neue Gesichter unter den Masken
An jeden Schultag haben die Schüler auch ein ausgedrucktes Blatt, auf dem der Lernstoff des Tages chronologisch steht. Im Schulmanager finden die Kinder die zugehörigen Videos. Die Filme sind teilweise von den Lehrkräften selbst gedreht, stammen aber auch von Wissensendungen, wie etwa der „Sendung mit der Maus“.
Mebis wird von den Lehrern genutzt, um einzelne Lernvideos des Kultusministeriums herunterzuladen und für die Kinder im Schulmanager wieder hochzuladen. Zudem tauschen die Lehrkräfte Inhalte untereinander aus. Laut Schulleiter Herbert Brumm treten technische Probleme, für die vor allem Mebis in der Kritik stand, durch diese dezentrale Lösung bislang kaum auf.
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