Stephanie Doetzer am Herder Gymnasium Forchheim: "Journalisten müssen auswählen, was sie berichten und wie sie berichten. Wo fängt man an, eine Geschichte zu erzählen?"
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Stephanie Doetzer am Herder Gymnasium Forchheim: "Journalisten müssen auswählen, was sie berichten und wie sie berichten. Wo fängt man an, eine Geschichte zu erzählen?"

Stephanie Doetzer am HGF

Was ehemalige Schülerin und Al-Jazeera-Reporterin am Herder-Gymnasium Forchheim berichtet

Internationale Politik und ein Pausenhof haben womöglich mehr gemeinsam als man denkt: "Wenn zwei Schülergruppen auf dem Schulhof streiten und die einen sich danach im Direktorat beschweren und die anderen bei der Klassenlehrerin, dann werden mit Sicherheit zwei verschiedene Versionen der Geschichte erzählt. Aber beide Seiten werden sagen: Die Anderen haben angefangen!", meint die Journalistin Stephanie Doetzer. "In Politik und Medien ist es nicht anders. Auch eine Regierung wird immer versuchen, möglichst gut dazustehen. So, dass sie nicht die Aggressoren sind, sondern nur die Reagierenden."

Doetzer spricht aus Erfahrung: Nach dem Abitur am Herder Gymnasium Forchheim (HGF) 1999 führte ihr beruflicher Weg in den politischen Journalismus und vor allem in den Nahen Osten: Als Redakteurin beim Nachrichtensender Al Jazeera, aber auch als Reporterin beim SWR und anderen deutschen Medien, konnte sie in immer wieder erleben, wie journalistische Entscheidungen eben auch politische Entscheidungen sind.

Stephanie Doetzer berichtet von den Schattenseiten des Berufs

"Journalisten müssen auswählen, was sie berichten und wie sie berichten. Wo fängt man an, eine Geschichte zu erzählen? Beginnt sie wirklich an einem bestimmten Datum oder schon Jahrzehnte oder Jahrhunderte vorher? Ob man will oder nicht: Auch ein Krieg wird nun mal als eine Art Geschichte aufbereitet. Nachrichten sind nicht einfach ein Abbild der Wirklichkeit."

Als Doetzer vor den 14- bis 18-Jährigen in der Aula des HGF zu sprechen beginnt, merkt man sofort ihre Leidenschaft für diesen Beruf. Nicht umsonst würden die Medien oft als "Vierte Gewalt" im Staat bezeichnet, weil sie enormen Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Geschehen nehmen. Gerade deshalb hat Doetzer den Mut, auch die Schattenseiten ihres Berufs zu beleuchten. Ihre Botschaft ist klar: "Journalisten sind Menschen. Sie können sich täuschen, sie haben ihre Sympathien und Antipathien." Und: Sie wollen Erfolg und Aufmerksamkeit, die sie eher erhielten, wenn sie das "Spektakuläre" auswählen, wenn sie Emotionen berühren, statt sich um größtmögliche Sachlichkeit zu bemühen.

Journalisten haben die Verantwortung, wahrheitsgemäß zu berichten

Die Wirklichkeit aber sei meist vielschichtiger als sich in einem kurzen Fernsehbeitrag oder einem einzelnen Artikel erzählen lässt. Selbstkritisch erzählt sie davon, wie sie für einen Nachrichtensender über Orte berichten sollte, an denen sie nie war, mit den Meldungen der Nachrichtenagenturen als einzige Quelle.

Journalisten (und auch ihre Leser) müssten sich daher immer wieder fragen: "Wie bin ich zu meiner Sichtweise gekommen? Weiß ich das wirklich - oder habe ich es nur so oft gelesen, dass es mir so vorkommt?"

Journalisten hätten die Verantwortung, wahrheitsgemäß zu berichten. Sie verweist auf das, was der amerikanische Journalist und Dozent Jonathan Foster als Auftrag an Medienschaffende formulierte: "Wenn jemand sagt, dass es regnet, und ein anderer, dass es trocken ist, ist es nicht Ihre Aufgabe, beide zu zitieren. Es ist Ihre Aufgabe, aus dem Fenster zu schauen."

Redaktionen würden Geld sparen, Journalisten stünden unter enormem Zeitdruck und lange Recherchen seien selten geworden

Genau das aber sei in den letzten Jahren immer seltener geworden: Redaktionen würden Geld sparen, Journalisten stünden unter enormem Zeitdruck und lange Recherchen seien selten geworden. Dazu käme die immer häufiger werdende Vermischung von Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Einflussnahme von Regierungen und Lobbygruppen - nicht nur in Ländern ohne Pressefreiheit, sondern weltweit.

"Wer mitbestimmen kann, wie eine Geschichte erzählt wird, der hat Deutungsmacht. Wer politische Macht haben möchte, der braucht die Unterstützung von Journalisten. In einer Demokratie umso mehr, weil Zugang zu den Gedanken und Gefühlen der Menschen sich in Unterstützung und Wählerstimmen verwandeln lässt."

Die Schüler hatten viele Fragen an die Journalistin.

Die Schüler hatten viele Fragen an die Journalistin. © Herder Gymnasium Forchheim

In einer abschließenden Fragerunde mit den Schülern wird die Journalistin nach ihrem Lieblingsthema gefragt, nach ihrem Verdienst, nach ihrem Privatleben. "Was kann ich denn jetzt noch glauben, wenn ich Zeitung lese?", fragt jemand. Doetzer hat kein Patentrezept, aber ein paar Tipps: "Lasst euch nicht sagen, welches Blatt ‚das Richtige‘ ist, es braucht immer einen kritischen Blick. Seid euch bewusst, dass jeder Konflikt eine Vorgeschichte hat, die in der Berichterstattung womöglich kaum auftaucht. Und seid vor allem skeptisch, wenn euch ein Text Angst machen will – gute Artikel eröffnen Handlungsmöglichkeiten und manipulieren nicht durch Furcht."

Sie rät außerdem, immer dann besonders gut hinzuschauen, wenn es allzu starre Kategorien "gut" und "böse" gibt, von "Wir" und "den Anderen". "Alle Menschenleben sind gleich viel wert", sagt sie. "Sonst müsste ich alles über Bord werfen, was ich hier am Herder-Gymnasium gelernt habe."

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