Bewegte Geschichte
"Luitpold-Lichtspiele" Forchheim: Von der Folterkammer zum schicken Kinosaal
11.3.2019, 06:00 Uhr"Kino war nach dem Krieg ein tolles Geschäft. Die Vorstellungen waren oft ausverkauft. Mehrfach wurden die Eingangstüren mitsamt den Aluquerstreben eingedrückt." Selbst nach mehr als fünf Jahrzehnten kann sich Walter Witthüser Junior noch gut an jene Jahre erinnern. Obwohl er inzwischen nach Australien ausgewandert ist und nahe Brisbane lebt.
Alles begann damit, erzählt der Junior, dass sein Vater Walter Witthüser (1904—1975), ein höherer Polizeioffizier aus Weitmar bei Bochum, auf einer Dienstreise durch die Kleinstadt an der Regnitz fuhr. "Er stieß auf eine verwaiste Baustelle, kaufte das Grundstück und vollendete den ein Drittel angefangenen Bau." 1950 flimmerte es dann erstmals im Capitol in der Bamberger Straße. Jetzt ist dort ein Kindergarten.
Den Bau seines zweiten Kinos in der Innenstadt, in den Räumen des heutigen C & A, konnte er aus eigener Tasche nur Dank des wirtschaftlichen Erfolges im Capitol stemmen. Weil die Besucher auch anderswo in die abgedunkelten Säle strömten, betrieben die Witthüsers auch noch weitere Kinos. Darunter die "Schauburg" und das "Atrium" in Erlangen. Dabei hatte das Leinwand-Imperium seinen Ausgang in Mallersdorf genommen, wo im Ortsteil Pfaffenberg Witthüsers erstes Kino kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war.
Ehefrau Augustine (1922—1993) kümmerte sich um das Capitol, das mit vielen Märchenfilmen wie "König Drosselbart" oder "Zehn kleine Negerlein" auch das jüngere Publikum ansprach. Sie scheuten sich 1961 nicht, den in Forchheim gedrehten Spielfilm "Stadt ohne Mitleid" zu zeigen. "Der katholische Stadtpfarrer hat in der Kirche bei der Predigt dagegen gewettert. Man konnte für Sekunden eine Frau ohne BH sehen. Der Film war dann logischerweise ausverkauft", so Witthüser Junior. Dagegen liefen in den Luitpold-Lichtspielen vor allem Operettenfilme wie Lehars "Zarewitsch" oder Heimatfilme wie der in der Fränkischen Schweiz gedrehte "Die schöne Müllerin".
Das Ende des Kinos kam mit dem Fernsehen und dem Wunsch vieler Forchheimer nach einem eigenen TV-Gerät. Dort liefen sportliche Großereignisse und gefeierte Serien über den Bildschirm.
Filmstars zu Gast
In der kurzen Zeit des Filmbooms bis zur Schließung beider Kinos im Mai 1966, waren auch zahlreiche Filmstars zu Gast in Forchheim, die dann bei Witthüsers am Lindenanger übernachteten. Ruth Leuwerik etwa, die in den 50er Jahren mit Dieter Borsche ein legendäres Leinwandpaar bildete. Oder Anita Gutwell, die als "Försterliesel", "Sennerin von St. Kathrein" oder an der Seite des "Försters vom Silberwald" Triumphe feierte. "Mein spezieller Liebling war der Franzose Pierre Brice, der mir als Indianer-Häuptling einen Federkopfschmuck schenkte", sagt der Junior. Witthäuser erinnert sich auch an Besuche des Old Shatterhand-Darstellers Lex Barker und des Weltstars Maria Schell.
Nach dem Tod der Eltern erbte Sohn Walter das Capitol, seine Schwester Ingrid Spribille, die heute in Schwaig bei Nürnberg lebt, das "LuLi". Sein Vater liegt mit seiner Gattin auf dem Alten Friedhof Forchheim. Aus dem Capitol wurde ein Comet-Supermarkt, bis dort 2005 die freikirchliche Emmaus-Gemeinde ihre Zelte aufschlug. Das "LuLi" verwandelte sich zur Tengelmann-Filiale, "der erste Supermarkt der Stadt". Im Jahre 2000 kaufte die Stadt das markante "LuLi"-Gebäude — es ist wie eine Insel von Straßen umgeben. Ziel des Kaufs war es damals, einen Nahversorger anzusiedeln. Heute ist die Konstruktion aus Eisenbeton nach 65 Jahren Dauernutzung sanierungsbedürftig.
Für Mörder und Vergewaltiger
Zuvor stand an dieser Stelle ein historisches Ensemble, bis dieses am 6. Oktober 1953 abgerissen wurde. In der Frohn-Veste sperrten die Handlanger des Bamberger Fürstbischofs ab 1698 all diejenigen ein, die sich schlimmer Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung oder schweren Diebstahls schuldig gemacht hatten. Die "Malefikanten" hatten Zwangsarbeit zu leisten, mussten die Bastionsfestung instand halten, so sie nicht sowieso zum Tode am Galgen verurteilt waren. Der wartete nur wenige Meter weiter jenseits des Nürnberger Tores auf ihre Hälse. Freilich gab es neben den unterirdischen Gefängniszellen auch Räume, in denen Geständnisse durch Folter erpresst wurden, bis diese Praxis 1806 mit Gründung des Königreiches Bayern abgeschafft wurde.
In das "Centhaus" zogen ab 1844 die Bewohnerinnen des hinteren Nonnenhauses ein, ab 1856 die Kleinkinder-Bewahranstalt. Auch eine vagabundierende Musikantenfamilie, die 1869 aus Ebermannstadt ins preußische Staatsgebiet abgeschoben werden sollte, wurde hier kurzzeitig interniert. Ab 1889 nutzte es die Stadt als Wohnhaus für städtische Bedienstete wie Kämmerer Wilhelm Leo, weshalb es im Volksmund "Leo-Haus" hieß. 20 000 D-Mark hat Walter Witthüser Senior für das Grundstück bezahlt.
Das "LuLi" war, als es am 28. Januar 1954 öffnete, "ein sehr nobles und exklusives Haus", so Stadtarchivar Rainer Kestler. "Und doch war es das Vergnügen des kleinen Mannes." Dafür hatte der Forchheimer Architekt Wilhelm Köllner gesorgt. Im Inneren des ovalen Saales überraschten eine Klimaanlage, 30 Lautsprecher und eine indirekte Vouten-Beleuchtung für die 570 Besucher. Die konnten sich für eine Mark ganz vorne auf den billigen Plätzen den Hals verrenken, oder es sich für zwei Mark in roten Lederpolstern in der Loge gemütlich machen. Werner Baier erlebte hier "die erste Liebe, die ersten Küsse". Alle Sitze waren gepolstert.
Modernste Technik von Beginn an
Von Beginn an setzte Witthüser im 26 Meter mal 17,5 Meter großen Saal auf modernste Technik wie das Cinemascope-Breitbildformat. Außerdem gab es einen Vorläufer des 3D-Filmes, den man "Plastorama-Film" nannte, und den man ohne besondere Brille sehen konnte. Zuvor hatte es diese Projektionstechnik nur in Frankfurt am Main gegeben.
Als erster Film lief auf der 11,5 Meter mal vier Meter großen Leinwand "Sterne über Colombo", ein Abenteuerfilm des umstrittenen NS-Regisseurs Veit Harlan. Darin spielte mit dem Sohn des Steuersekretärs Johann Schramm auch ein Einheimischer an der Seite Adrian Hovens mit. Vielen Forchheimern wie Wolfgang Schmidt sind aber besonders die Karl-May-Verfilmungen in Erinnerung geblieben. Weil damals Lizenzen wochenweise vergeben wurden, liefen "Der Schatz im Silbersee" oder die Winnetou-Reihe täglich.
"Am Wochenende gab es Vorstellungen um 15.30, 18 und 20Uhr, wochentags nur um 20 Uhr", so Rainer Kestler. Als mit dem "Luli" Schluss war, lebte es noch einige Jahre weiter. Die technischen Anlagen wanderten in ein französisches, die Klappsitze in ein schwäbisches Kino, und die Inneneinrichtung in das heutige Kino-Center in der Wiesentstraße.
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