Bis zu 5000 Eicheln pro Tier
Fliegender Waldumbau: Ohne den Eichelhäher sähe der Forst alt aus
5.11.2020, 07:00 UhrViel war in den vergangenen, besonders trockenen und heißen Jahren die Rede von Wäldern, die angesichts der immer gnadenloseren Bedingungen die Grätsche machen. Vom dringend notwendigen Waldumbau, von Versuchen, die Kiefern- und Fichten-Monotonie mit immer mehr Eichen, Buchen, Esskastanien, Elsbeeren und Flatterulmen zu durchbrechen.
Wenig die Rede war dagegen vom wichtigsten Helfer beim Waldumbau: dem Eichelhäher. Denn so fleißig die Forstarbeiter auch pflanzen und säen mögen, solche Massen wie die bayerische Eichelhäher-Population bekommen sie nicht in den Boden.
4000 bis 5000 Eicheln pro Tier
Momentan sind die Rabenvögel mit den auffälligen blau-schwarzen Federn wieder unterwegs in den Wäldern, um Vorräte für den Winter anzulegen. 4000 bis 5000 Eicheln vergräbt jeder einzelne Eichelhäher im Boden, bei mehreren Hunderttausend Tieren in Bayern kommt da eine gewaltige Menge zusammen.
„Etwa die Hälfte der vergrabenen Eicheln findet er wieder. Das ist eine gewaltige Gedächtnisleistung“, meint Bernd Stimm, der am Lehrstuhl für Waldbau der TU München zum Eichelhäher geforscht hat. Das ist umso bemerkenswerter, als die Vögel die Samen einzeln vergraben.
Die Vögel suchen sich bewusst wiederauffindbare Strukturen im Wald. „Man kann Eichelhäher beobachten, wie sie zum Beispiel um einen Baum herum in gleichbleibenden Abständen die Eicheln verbuddeln“, erläutert Stimm. Jedes Tier habe da sein eigenes Muster, an dem man letztlich auch erkennen könne, dass verschiedene Individuen in einem Waldstück aktiv waren.
Eicheln werden kilometerweit transportiert
„Andere Vögel fressen nicht so große Samen. Die kleineren Samen würden diese nicht wiederfinden, deswegen legen sie auch keine Vorräte an wie der Eichelhäher“, erklärt Miriam Hansbauer, Artenschutzreferentin des Landesbundes für Vogelschutz (LBV).
Erst Klimawandel, dann Corona: Bayerns Holzberge wachsen immer höher
„Wenn Eicheln einfach so zu Boden fallen, kommen sie höchstens im zweifachem Baumkronenradius zum Liegen. Durch den Eichelhäher werden sie aber Hunderte Meter oder sogar einige Kilometer weit getragen – auch dorthin, wo es vorher noch gar keine Eichen gab. Das ist unvergleichlich“, meint Stimm. Der Vogel sei auch der Grund dafür, dass die Eiche nach der Eiszeit sehr schnell wieder zurückkehrt sei und sich verbreitet habe.
Zu Zeiten von Karl-Friedrich Sinner in den 1980er und 1990ern hat man Tonnen mit Eicheln im Reichswald aufgestellt, damit der Eichelhäher sie im Forst verbreitet. „Jetzt machen wir so etwas wieder am Geiersberg, gleich beim Gehege der Przewalski-Urwildpferde bei Tennenlohe, wo wir wegen der Munitionsbelastung des Bodens nicht pflanzen können“, erzählt Johannes Wurm, Leiter des Forstbetriebs Nürnberg der Staatsforsten.
„Der Eichelhäher ist ein wesentlicher, nicht zu verachtender Faktor. Das sieht man auch deutlich im Wald, wenn zum Beispiel einzelne Eichen in den Kiefernbeständen stehen“, sagt Wurm. Trotzdem komme man nicht umhin, selbst zu säen oder zu pflanzen, wenn man Eiche am Block auf einer bestimmten Fläche hochbringen möchte.
500 Kilo Eicheln werden pro Hektar gesät
Auf acht Hektar sollen in diesem Jahr Eichen im Reichswald gesät werden. Etwa 500 Kilo Eicheln pro Hektar werden von einem kleinen Weinbauschlepper in den Boden eingebracht. Die Eicheln hat man von qualitativ besonders hochwertigen Beständen im Spessart und im Steigerwald, einen kleineren Teil haben auch Rechtler im Reichswald gesammelt.
Private Waldbesitzer in Bayern sind zunehmend überfordert
Die Bedeutung des Eichelhähers wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass gerade die Eiche als tief wurzelnder Baum als besonders gut geeignet für den vom Klimawandel gestressten Wald gilt. Die Rabenvögel wählen zwar weit überwiegend Eicheln, vergraben aber auch Walnüsse oder Bucheckern.
Erst jüngst gab es im Bayerischen Wald eine Untersuchung zu einem Fall, bei dem eine Gutsbesitzerin um das Jahr 1900 zwei Edelkastanien gepflanzt hatte. „Da sind jetzt schon bis zu einer Entfernung von 800 Metern Kastanienbäume zu finden. Das wäre ohne den Eichelhäher nie möglich gewesen ist“, sagt Stimm.
20.000 Eichelhäher werden pro Jahr geschossen
Obwohl der Eichelhäher so nützlich für den Wald ist, darf er von Mitte Juli bis Mitte März bejagt werden. Etwa 20.000 Tiere werden pro Jahr geschossen. „Die Population ist dadurch nicht gefährdet. Aber es ist wohl eher eine moralische Frage: Muss man so ein Tier wirklich töten?“, fragt Stimm.
„Der Eichelhäher frisst Jungvögel und Eier. Und im Wald gibt es eben Vogelarten, die Schutz brauchen. Deshalb muss der Eichelhäher unter Kontrolle gehalten werden“, erklärt Gertrud Helm, Sprecherin des Bayerischen Jagdverbandes. Laut Bayerischem Forstministerium haben Singvögel allerdings nur einen sehr geringen Anteil an der Nahrung des Eichelhähers.
„Der Eichelhäher stört aber auch sehr den Jagdbetrieb“, führt Helm als zweiten Grund an. Nicht umsonst gelte er als „Waldpolizei“ und warne durch sein lautes Rufen die anderen Tiere vor Jägern. „Und in Regionen, in denen der Eichelhäher sehr häufig ist, muss man ihn deswegen eben auch mal entnehmen. Schließlich ist auch die Jagd auf Schwarzwild sehr wichtig, gerade wenn sich die Afrikanische Schweinepest ausbreitet“, verdeutlicht Helm.
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