Zentralstelle als Erfolg
Etwa 2000 Fälle: Extremistenszene in Bayern wird immer gefährlicher
16.3.2022, 16:30 UhrEs ist ein blutiges Terrorjahr in Bayern. In Ansbach explodiert 2016 die Bombe eines IS-Selbstmordattentäters, 15 Menschen werden verletzt. In einem Zug nahe Würzburg greift ein Islamist fünf Menschen mit einem Beil an und fügt ihnen schwerste Wunden zu. In München tötet ein Rechtsextremist neun Menschen und verletzt fünf schwer. In Georgensgmünd im Landkreis Roth ermordet ein Reichsbürger einen Polizisten und verletzt drei seiner Kollegen.
Weitere Aufgaben
Es ist die Geburtsstunde der ZET, der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. 2017 nimmt sie ihre Arbeit auf, zunächst mit fünf Staatsanwälten. Die ziehen „herausgehobene Verfahren“ an sich, insbesondere im Staatsschutzbereich. Inzwischen hat sich die Zahl der Staatsanwälte verdoppelt. Und die der Verfahren, die sie einleiten, hat sich seitdem vervielfacht. Das liegt auch daran, dass der Aufgabenbereich der ZET beständig wächst. Erst dockte der Antisemitismusbeauftragte bei ihr an. Seit vergangenem Jahr ist sie auch für so genanntes Hatespeech zuständig, für strafbare Hassreden vor allem im Internet. Die allein haben den Staatsanwälten auf einen Schlag 500 zusätzliche Verfahren eingehandelt.
Doch auch ohne sie ist das Arbeitspensum enorm, das die Staatsanwälte bewältigen müssen. Allein im vergangenen Jahr ermittelten sie in 87 Fällen mit rechtsextremistischem Hintergrund. 80 Verfahren galten Islamisten, 55 Antisemiten und 17 Linksextremisten. Seit ihrer Gründung sind rund 2000 Verfahren zusammengekommen.
Ein Erfolgsmodell
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) lobt die ZET als Erfolgsmodell. Sie biete mit ihren „schlagkräftigen Strukturen“ die richtige Antwort auf Extremismus jeglicher Couleur. Tatsächlich arbeitet die Zentralstelle mit allen Staatsanwaltschaften in Bayern zusammen, mit sämtlichen Polizeibehörden, auf Landes- wie Bundesebene. Es ist eine komplexe Antwort auf den Terror der vergangenen Jahre. Und darauf, dass sich immer wieder bestätigt hatte, wie schlecht die Sicherheitsbehörden untereinander vernetzt waren.
Georg Freutsmiedl, der die ZET bisher geleitet hat, erinnert an den Fall Anis Amri. Der Tunesier hatte 2016 mit einem Lastzug auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 13 Menschen ermordet und 54 teils schwer verletzt. Amri war lange im Fokus der Ermittler als so genannter Gefährder. Doch Ermittlungspannen und Kompetenzwirrwarr verhinderten, dass Amri noch vor dem Attentat festgenommen werden konnte. Seitdem haben die Sicherheitsbehörden ein so genanntes Gefährder-Management aufgebaut, das alle Erkenntnisse zusammenführen und garantieren soll, dass alle relevanten Stellen stets voll informiert sind.
Im Fokus
Wenn als Gefährder eingestufte Extremisten heute den Wohnort wechseln, sollen die Informationen nun an die jeweils vor Ort zuständigen Sicherheitsbehörden fließen. Sitzen die Extremisten in Haft, bleiben sie im Fokus des Staates. „Wir wissen, dass sie dort andere Häftlinge infiltrieren“; sagt Freutsmiedl. Die enge Kontrolle zeige aber Wirkung.
Freutsmiedl, der die ZET aufgebaut hat, wechselt nach fünf Jahren den Posten. Doch die Herausforderungen werden für seine Nachfolgerin Gabriele Tilmann nicht geringer. Seit einigen Jahren verfolgen die Ermittler besorgt, wie die Szene sich verändert. „Staatsschutz ist komplexer geworden“, sagt Tilmann. Waren früher die Extremisten eingebettet in feste Strukturen und Organisationen, sind sie das heute nicht mehr.
Einsame Wölfe
„Wir sehen immer mehr Extremisten, die sich einsam radikalisieren, über Medien oder virtuelle Netzwerke.“ Diese „einsamen Wölfe“ seien „eine immense Herausforderung für die Sicherheitsbehörden“. Zumal, wie die ZET-Leiterin anfügt, „auch die Motivlage nicht mehr eindeutig ist, sondern ein Gemisch aus politischen und persönlichen Motiven und psychischen Problemen“. Radikale Querdenker oder Verschwörungstheoretiker etwa seien „losgelöst von extremistischen Strömungen“. Begehen sie Straftaten, sind die „nicht extremistisch motiviert, aber trotzdem staatsfeindlich“. Auch deshalb ordnen die Sicherheitsbehörden sie einer eigenen Kategorie beim Staatsschutz zu.
Das gilt auch für Hatespeech, dem neuesten Aufgabenfeld der Staatsanwälte bei der ZET. „Jede Form der Hasskriminalität ist ein Angriff auf unsere Grundordnung“, sagt Gabriele Tilmann. „Hass“, ergänzt Justizminister Georg Eisenreich, „ist eine Gefahr für unsere Demokratie.“ Er stehe zur Meinungsfreiheit, versichert der CSU-Politiker. „Aber sie endet, wo das Strafrecht beginnt.“