Zur Gründung vor 75 Jahren

Warum über die DDR noch nicht der Mantel des Schweigens gelegt werden sollte

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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7.10.2024, 10:55 Uhr
Papierfähnchen mit dem Wappen der DDR sind im Perleberger DDR-Geschichtsmuseum ausgestellt. Das im Jahr 2003 gegründete Museum zeigt eine umfangreiche Sammlung von Gegenständen aus dem privaten, gesellschaftlichen und politischen Alltag der DDR.

© Soeren Stache/dpa Papierfähnchen mit dem Wappen der DDR sind im Perleberger DDR-Geschichtsmuseum ausgestellt. Das im Jahr 2003 gegründete Museum zeigt eine umfangreiche Sammlung von Gegenständen aus dem privaten, gesellschaftlichen und politischen Alltag der DDR.

Es gibt Jubiläen, die will niemand feierlich begehen. Die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 ist so ein Tag. 75 Jahre später gibt es denn keine Festakte, sondern bestenfalls gerümpfte Nasen, schließlich scheiterte die DDR bereits im Jahr 1989 und ruht seither auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Halt, so einfach ist das eben nicht! Vielmehr drängt sich 34 Jahre nach dem "Anschluss der neuen Länder", sprich: der offiziellen Wiedervereinigung, ein ganz anderer Eindruck auf. Die DDR feiert fröhliche Urständ. Nicht als Kopie des Unrechtsstaates, den die Sozialistische Einheitspartei, kurz: SED, zielsicher in den Untergang geführt hat, aber eben doch als eine diffuse und zugleich wohlige Erinnerung an vergangene Zeiten, in denen zumindest viele gleich wenig vom großen Ganzen hatten.

Ungleiche Löhne zwischen Ost und West

In der Bundesrepublik, das wurde nach der kurzen Phase des Narrativs der blühenden Landschaften rasch deutlich, wehte diesbezüglich ein rauerer Verteilungswind. Nun mag man als Wessi den Kopf schütteln und sich quasi im Namen der Freiheit fragen, warum dieser Diktatur hinterhergetrauert wird. Wer so denkt, macht es sich zu einfach. Denn das wäre so, als würde ein Niedersachse den Bayern absprechen, sie seien anders.

Der Osten, so pauschal das auch klingen mag, hat seine eigenen Identität – auch oder gerade wieder 35 Jahre nach dem Fall der Mauer. Die Wahlergebnisse zeugen davon, die Haltung zu Putin ebenso. Und dass die Löhne im Osten ebenso wie die Zahl der Wirtschaftsbosse oder der Konzernzentralen und die Einkommen der Spitzenverdienen signifikant niedriger sind als im Westen, ist keine Erfindung der Populisten, sondern bittere Realität.

Die "Ostalgie" ist also nachvollziehbar, gleiches gilt für ein kleines bisschen Sehnsucht nach der DDR – im Westen sollte man darüber nicht überheblich lächeln, sondern sich der Nachbarn erinnern, die die Schallplatte von der "guten alten Zeit" ein ums andere Mal neu auflegen.

Hüben wir drüben sind sie zu finden, die Ewiggestrigen. Statt zu lamentieren, wäre es nun endlich an der Zeit, die Osterfahrungen als Bereicherung zu empfinden, wie es Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, zum Tag der Deutschen Einheit formuliert hat.

Kaum jemand, der bei klarem Verstand ist, wünscht sich die DDR zurück. Doch umso wichtiger wäre es, endlich anzuerkennen, wie schwer es für viele Betroffene und deren Angehörige sein muss, von oben herab betrachtet zu werden. Der Westen sollte sich an den Gründungstag der DDR insofern erinnern, als antidemokratische Entwicklungen gewiss kein Phänomen sind, das auf die Region zwischen Aue und Usedom beschränkt wäre. Vielmehr sollten alle Demokraten aus Ost und West eng zusammenrücken, dann kräht in 25 Jahren kein Hahn mehr nach der DDR.

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