
Kommentar
Vergesst das Billionen-Paket in Berlin - das hier ist wichtiger
Fast alle blicken in dieser Woche nach Berlin, wo es um eine Billion Euro geht, und fast niemand blickt nach Hamm, wo es um 20.000 Euro geht. Klingt logisch, könnte aber ein Fehler sein. Denn in der Stadt im Westen Deutschlands ereignet sich mindestens Erstaunliches, womöglich sogar Historisches.
Dabei erscheint die Geschichte erstmal sehr kurios: Ein Kleinbauer aus Peru hat den deutschen Energiekonzern RWE verklagt. Seine Argumentation vor dem Oberlandesgericht Hamm ist in ihrer Einfachheit von erstaunlicher Logik: Der Kohlegigant RWE trägt einen Anteil am Klimawandel - konkret ist der Konzern für 0,38 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. So haben es die Anwälte des Bauern errechnet. Ob dieses Anteils habe sich RWE auch an den Schutzmaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels am Wohnort des Bauern in Peru zu beteiligen, und zwar mit 20.000 Euro. Denn dort droht eine Flutwelle infolge der Gletscherschmelze.
Bauer aus Peru gegen RWE: Verfeuerung fossiler Brennstoffe als Akt der Gewalt?
Muss ein deutsches Unternehmen für die Folgen des Klimawandels am anderen Ende der Erde haften? Aktivisten beantworten diese Frage seit langem mit Ja. Ihr umstrittener Vordenker Andreas Malm, dessen Buch "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt" in den Kanon der Klimaliteratur eingegangen ist, führt an, die Verfeuerung fossiler Brennstoffe stelle einen Akt der Gewalt dar, eine Gewalt, die Menschen gerade im globalen Süden in Gestalt von Dürren und Überschwemmungen die Lebensgrundlagen und manchmal das Leben selbst raubt.
Das Erstaunliche: Das Oberlandesgericht Hamm hielt diese Argumentation für plausibel genug, um 2017 die Klage des peruanischen Bauern anzunehmen. Fällt auch das Urteil eines Tages zu dessen Gunsten aus, würde dieses Urteil Rechtsgeschichte schreiben - und das nicht nur in Deutschland.
Es wäre an der Zeit. Denn eine Antwort auf die vielleicht zentrale Frage der Klimakrise - warum sämtliche Fakten auf dem Tisch liegen und wir doch nicht handeln - liegt darin, dass wahlweise wir alle für diese Krise verantwortlich sein sollen oder irgendwie niemand. Was auf dasselbe herauskommt.
Und was wiederum durchaus im Interesse derer liegt, die mit fossilen Energien noch immer gut verdienen und die nichts mehr fürchten, als für das zur Verantwortung gezogen zu werden, was in ihrer Verantwortung liegt. Die jetzt aufschreien, wie es denn sein könne, dass ausgerechnet RWE (Die machen doch auch Windräder!) und ausgerechnet Deutschland (nur zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes!) am Pranger stünden, wo doch andere (China!) viel schlimmer seien.
Es ist seit jeher das schwächste aller Argumente. Denn wer ins Feld führt, dass andere ja noch schlimmer seien, sagt wenig über diese anderen aus - und sehr viel über sich selbst. Nicht nur im Kampf gegen die Klimakrise.
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