Halloween kontra Reformationstag

Süßes oder Moralinsaures: Die Talfahrt der Kirchen lässt sich nicht nur an den Feiertagen ablesen

Alexander Jungkunz

Chefpublizist

E-Mail zur Autorenseite

31.10.2024, 07:50 Uhr
Auf den 31. Oktober fallen der Reformationstag und Halloween. In Nürnberg-Ziegelstein findet in der Melanchthonkirche unter dem Motto Gruselkirche ein Familiengottesdienst statt, der beides zusammenbringen will.

© epd-bild/privat Auf den 31. Oktober fallen der Reformationstag und Halloween. In Nürnberg-Ziegelstein findet in der Melanchthonkirche unter dem Motto Gruselkirche ein Familiengottesdienst statt, der beides zusammenbringen will.

Sie liegt wohl richtig, die Nürnberger Pfarrerin Tia Pelz. Sie holt nämlich Halloween in die Kirche, am protestantischen Reformationstag. Denn, so Pelz: "Wir können diesen Kampf nur verlieren. Gegen Verkleidung und Süßes kommt eigentlich nichts an."

Da wird es heftig grummeln bei einigen Kollegen und bei Christen, die etwa auf Facebook etwas moralinsauer ihren Anti-Halloween-Unmut posten oder, ziemlich protestantisch, mit sehr viel Text penibel erklären, warum der "Reformationstag cooler als Halloween" sei.

Es treffen sich immer die gleichen Unentwegten

Ist er aber nicht. Sicher nicht für Kinder. Und für Erwachsene auch nicht unbedingt: Bei Reformationsgottesdiensten treffen sich die immer gleichen Unentwegten, die niemand mehr für die Kirche gewinnen muss.

Eine Kirche, deren Bedeutung - egal, ob protestantisch oder katholisch - schneller schrumpft als viele erwarteten. Das geht mit den nun anstehenden Feiertagen los: Wer kann im Detail erklären, was sie bedeuten? Da treibt es viele mehr um, wann denn nun die Läden offen sind.

Es sind nicht nur die Missbrauchsskandale und ihre mühsame Aufarbeitung, die den beiden großen Kirchen zu schaffen machen. Sie beschleunigen aber den Mitgliederschwund. Vor zehn Jahren zählte die Kirche noch gut 46 Millionen Köpfe, deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Vor kurzem sank die Zahl unter die 50-Prozent-Marke, nur noch knapp 39 Millionen gehören dazu. Geht die Kurve so weiter nach unten, dann sind in zehn Jahren gut 30 Millionen Menschen in der Kirche – ihr Anteil nähert sich einem Drittel. Die Christen werden zur Minderheit.

Viele erwägen einen Austritt

Laut Umfragen wollen drei Viertel aller Katholiken und zwei Drittel aller Protestanten einen Austritt nicht ausschließen. Viele, auch das zeigen die diversen Studien, empfinden Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Kirche; sie lässt sie offenbar kalt - gibt es Schlimmeres für eine Kirche?

Dort aber, so hat es den Eindruck, verschanzen sich viele hinter organisatorischen Umbauten, die als Reformen verkauft, meist aber - notgedrungen - Schrumpfungsprozesse sind. Die braucht es, ganz klar: Die Kirchen haben bald viel zu viele Räume für zu wenige Gläubige, sie werden da kooperieren und sich öffnen müssen. Nicht überall wird die sprichwörtliche Kirche im Dorf bleiben können.

Und was wird in den verbleibenden Gemeinden gelebt, verkündet, gepredigt? Bewegen, erreichen sie die Menschen? Die Reformation war Luthers radikale Reaktion auf eine erstarrte, abgehobene Kirche. Und es dürfte nicht reichen, den Reformationstag nur zum Erinnern an diesen Kraftakt eines Mannes zu nutzen, der nicht nur Erneuerer war, sondern auch ein judenfeindlicher Wutbürger.

Da bräuchte es eigene Kraft zur Erneuerung, für eine insgesamt lebendigere Kirche. Ihr Glaube müsste neugierig machen, ansteckend, Gesprächsstoff sein. Zumindest Letzteres hat die Nürnberger Pfarrerin geschafft, die nun Halloween und Reformation zusammenpackt zum Gruselgottesdienst.

2 Kommentare