Kickl als "Volkskanzler" möglich
Regierung unter Führung der FPÖ wahrscheinlich: Schlägt nun die blaue Stunde in Österreich?
Drei Monate, die sich wie Kaugummi gezogen haben. Und am Ende als ein verlorenes Vierteljahr in die Polit-Geschichte unseres Nachbarlandes eingehen werden. Denn das Ziele, eine von den Rechtspopulisten der FPÖ angeführte Bundesregierung zu verhindern, ist kläglich gescheitert.
Der blasse Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat es nicht geschafft, mit SPÖ und Neos eine Austro-Ampel zu bilden. Sein Rücktritt war unvermeidlich, löst allerdings keines der Probleme in Wien. Im Gegenteil: Nehammer war zumindest Garant für eine Nicht-Kooperation mit den Freiheitlichen, die in Österreich schon vor Jahrzehnten unter dem damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider ihre Feuertaufe samt Regierungserfahrung bestanden hatten.
Im Unterschied zur AfD ist die FPÖ längst salonfähig geworden
Inzwischen, das ist ein großer Unterschied zum Aufstieg der AfD in Deutschland, ist die FPÖ trotz aller Negativ-Schlagzeilen und Skandale (Ibiza-Video) längst salonfähig. Kaum ein Ort, in dem die Blauen nicht im Gemeinderat vertreten wären,. Auch bei den Vereinen und Verbänden sitzen die Freiheitlichen längst mit am Tisch.
In drei Bundesländern regieren die Rechtsaußen-Vertreter mit, in der Steiermark stellen sie mit Mario Kunasek sogar seit kurzem wieder einen Landeshauptmann. Und auch auf nationaler Ebene sind sie stärkste Kraft. Soviel zu den Kräfteverhältnissen. Mag Herbert Kickl in Deutschland ob seiner "Volkskanzler"- und "Remigrations"-Ideen noch belächelt werden, nehmen ihn die Österreich längst ernst.
Der grüne Staatspräsident Alexander van der Bellen kam also gar nicht umhin, jenem Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. Die Frage, die im Hintergrund schwelt: Was wäre das kleinere Übel? Ein Regierung unter Kickls Führung oder Neuwahlen - mit der Perspektive einer noch stärkeren FPÖ, die in Umfragen bereits bei 35 Prozent rangiert?
Nun dürfte es bald eine blau-türkise Regierung in Wien geben, denn die ÖVP scheint sich zusehends mit der Rolle des Juniorpartners anzufreunden. Aus Staatsräson, wie es heißt. Derzeit, da gibt es nichts schönzureden, steckt die Alpenrepublik in einer Staatskrise.
In Berlin sollte das Politdrama in Österreich genau beobachtet werden
Hoch verschuldet, deutlich über die Verhältnisse lebend, stehen die Vorzeichen gut für eine von harter Hand geführte Rechtsregierung. Kickl weiß um diese Chance.
In Berlin sollte dieses Politdrama genau beobachtet werden - denn am Ende war es der mangelnden Kompromissfähigkeit der politischen Mitte zuzuschreiben, dass der Weg für eine Rechtsaußenpartei, in der offen mit Putins Russland sympathisiert wird und Öxit-Fantasien kursieren (also Szenarien, die einen Austritt Österreichs aus der EU durchspielen), nun frei zu sein scheint.
Österreich ist Deutschland um mindestens ein Jahrzehnt voraus, was gesellschaftliche und politische Akzeptanz der Rechtspopulisten anbelangt. Anders formuliert: Es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, um hierzulande Wiener Verhältnisse zu verhindern. In Österreich schlägt wohl bald eine blaue Stunde der besonderen Art.
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