Argumente statt Emotionen
Nach dem Crash im Bundestag: Wir müssen dringend emotional abrüsten, auf allen Seiten
Der Eindruck war deprimierend, verheerend, abschreckend. Wer verfolgte, wie sich Parlamentarier am Freitag heftigst beschimpften, den wundert es nicht, wenn viele angesichts dieses Schauspiels abwinken: Geht’s noch? Was machen die da eigentlich?
Antwort: Sie machen Politik. Und die kann heftig, leidenschaftlich, aggressiv, verletzend sein. Rückblick auf 1993: Da wurde monatelang erbittert über den "Asylkompromiss" gestritten - eine massive Einschränkung des Asylrechts als Reaktion auf stark gestiegene Flüchtlingszahlen.
1993 kam ein Kompromiss zustande - trotz ähnlich heftiger Debatten
Am 26. Mai 1993 war der Bundestag belagert von Demonstranten, es flogen Farbbeutel auf Abgeordnete, im Parlament ging es ähnlich zu wie am Freitag. Aber am Ende stand ein Beschluss: der von CDU/CSU und SPD in langen Kontroversen ausgehandelte Kompromiss. Der wurde zu Recht kritisiert - aber: Er kam zustande.
Dazu waren Union, SPD, Grüne und FDP nun nicht in der Lage - und nicht willens. Sie wollten keine Kompromisse. Sie agierten als Gesinnungs-, nicht als Verantwortungspolitiker: Merz wollte unbedingt den starken Entscheider geben, ohne Rücksicht auf absehbare Verluste. SPD und Grüne wollten ihn unbedingt als unzuverlässigen Kantonisten vorführen, der sich mit der AfD einlässt - was er auch tat, ohne Not. Keine Seite rückte von ihren Maximalpositionen ab. Das aber ist das Gegenteil von Politik, deren Kern der Kompromiss ist.
Und nun? Erleben wir einen Wahlkampf-Endspurt voller Aggression. Mit maßlosen Übertreibungen bei etlichen der Demos gegen das Aufweichen der Brandmauer. Merz da in die Nähe von Nazis zu stellen, das ist pure Polemik. Auch der Erlanger Arzt, der die Wortwahl des CDU-Chefs kritisierte, muss sich fragen lassen, wie es denn um seine eigene Wortwahl steht, wenn er ernsthaft behauptet: "Vom Ausgrenzen von Menschen zum Aus-merzen (!) ist es nur ein weiterer Schritt in diese Richtung". Was für ein demagogisches, billiges, plumpes Wortspiel!
Es ist gut, wenn viele Menschen protestieren gegen den misslungenen Versuch, mit Hilfe der AfD Politik zu gestalten. Aber auch Proteste brauchen Maß. Und vor allem: keine Gewalt, keine Morddrohungen. Da werden Grenzen überschritten.
Kein Grund für Schadenfreude, sondern für Sorge
Ob Merz gut beraten war mit seinem gescheiterten Coup im Parlament, das entscheiden die Wähler. Wer nun Häme über ihn ausgießt, sollte vorsichtig sein: Eine starke, werte-basierte Union ist wichtig für unsere Demokratie. Gerät sie ins Schlingern, ist das kein Grund für Schadenfreude, sondern zur Sorge.
Was not tut: verbale und moralische Abrüstung in einer aufgeheizten Debatte. Wir müssen differenzieren - erst recht, wenn es Politiker bis zur Wahl nun nicht mehr tun. Wir müssen andere Demokraten respektieren, nicht beschimpfen. Wir sollten mehr argumentieren: Emotionen raus, Fakten rein. Scherben zusammenkehren, nicht neues Porzellan zerbrechen. Den Kitt der Demokratie anrühren: den Kitt des Kompromisses. Spätestens ab 24. Februar.
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