Interview mit Ex-Moskau-Korrespondent Grotzky
Ist Putin nun gestärkt? Und was bedeutet Prigoschins Tod für den Krieg gegen die Ukraine?
26.8.2023, 14:45 Uhr
Was für ein Zufall, dieser Absturz… die meisten Experten hatten darauf getippt, dass Prigoschin von einem Balkon oder aus einem Fenster stürzt… Dass er nicht mehr lange leben wird, das war nach seinem Putschversuch schon klar, oder?
Er hat sich gegen Putin gestellt. Und Putin hat als alter KGB-Mann immer folgende Linie vertreten: Gegner werden bekämpft, Verräter werden liquidiert. Diese Grundlinie zieht sich durch seine Amtszeit. Da war der Fall Skripal, der Fall Litwinenko, und viele, viele andere – teilweise vergiftet und einige dadurch regelrecht hingerichtet worden. So geht er mit Verrätern um.
Ein Hauptgegner Putins lebt noch: Alexej Nawalny…
Er hat ja den Giftanschlag überlebt. Man lässt ihn schmachten, wie viele andere politische Häftlinge. Als warnendes Beispiel. Als Abschreckung nutzt er Putin wohl sogar mehr als wenn er ihn töten ließe. Sacharow saß unter Breschnew und seinen Nachfolgern sieben Jahre in der Verbannung – damals ein abschreckendes Exempel für alle Menschenrechtsaktivisten, bis Gorbatschow ihn befreit hat. Unter Putin hat sich das schöne Russland sich leider schrecklich entwickelt.
Und Prigoschin hat Putin ja bloßgestellt – das konnte er nicht hinnehmen.
Ja, er hat Putin öffentlich diskreditiert, indem er Putins Krieg gegen die Ukraine als unnötig bezeichnete und in der Ukraine keine Bedrohung für Russland mehr sah. Und er hat sich dem Befehl des Oberbefehlshabers widersetzt: Er unterstellte seine Truppen nicht der militärischen Führung Russlands. Er machte sich also zu einem eigenen Oberbefehlshaber neben Putin – eine extreme Provokation.
Wird es jemals Klarheit darüber geben, wer hinter dem Absturz oder dem Abschuss steckt?
Momentan wird ermittelt, die Leichen werden untersucht. Eine DNA-Analyse steht noch aus. Aber nun hat ja Putin selbst schon der Familie kondoliert. Wir werden jedoch nicht erfahren, wer für einen möglichen Anschlag – sei es mit Sprengstoff von innen oder mit einem Angriff von außen – verantwortlich war. Es würde mich aber nicht wundern, wenn der Kreml dann plötzlich doch einen Schuldigen präsentiert, zumal in einigen russischen Medien der Verdacht schon auf die Ukraine gelenkt wird.
Einen Sündenbock, der von der Rolle des Kreml ablenkt…
Natürlich muss die Putin-Administration einen Schuldigen finden, wenn die Indizien auf ihre Mitverantwortung hinweisen. Sonst bleibt zu viel an ihr selbst hängen. Das kann nur jemand von außerhalb des Machtzirkels sein. Angebliche ukrainische Agenten – das könnte ich mir vorstellen. Aus diesem Grund hat wahrscheinlich der ukrainische Präsident Selenskyj vorsorglich jede Beteiligung seines Landes an diesem Flugzeugabsturz geleugnet.
Prigoschin war zusammen mit seinem Vize Utkin an Bord – war das nicht leichtsinnig, nun ist die gesamte Wagner-Spitze wohl ausgelöscht?
Prigoschin war ja ein sehr eigenwilliger Mensch. Sein letztes Video wurde angeblich in Afrika aufgenommen. Und aus allen seinen Videos spricht ein unglaubliches Selbstbewusstsein – als könne ihn überhaupt nichts gefährden. Er trat meist alleine auf, ohne Wachen. Womöglich dachte er wirklich: Ihm kann nichts passieren. Er hielt sich für unverwundbar. Das war sein Fehler.
Nehmen wir mal an, es war eine Tötung auf Geheiß Putins: Welches Signal sendet er damit aus?
Ich bin immer noch zurückhaltend, den Absturz direkt mit Putin zu verbinden. Ob es einen direkten, nachweisbaren Befehl von ihm gegeben hat, das wissen wir nicht. Aber natürlich ist jede dieser Tötungen ein Stop-Signal: Wer unseren Machtzirkel verlässt und uns attackiert, der wird liquidiert.
Ein radikales Verhalten…
In der Tat. Ähnlich verhält sich Putin übrigens gegenüber der Ukraine. Sie ist für ihn ein Verräter an der so genannten dreieinigen Nation Russland-Ukraine-Belarus. Deshalb hat er immer wieder das Existenzrecht des vermeintlichen Verräters Ukraine in Frage gestellt. Momentan höre ich Signale, die besagen: Russland wird bis zum Sieg oder bis zur Vernichtung der Ukraine kämpfen. Also auch dort der Gedanke, den abtrünnigen Verräter zu vernichten, das überträgt Putin auch auf Staaten.
Was wird nun aus der Wagner-Truppe? Putin braucht sie ja, gerade in Afrika… Wird er sie enger an die Kandare nehmen?
Erst kurz vor dem Absturz ließ Prigoschin auf Karten in seinen Medien zeigen, wo überall in Afrika er für Russland im Einsatz ist – in sehr vielen Staaten. Damit zeigte er: Wir sind unentbehrlich für die russischen Positionen in Afrika. Das veröffentlichte er zeitgleich zur Tagung der BRICS-Staaten – und demonstrierte so, dass Russland ohne seine Truppen seine Afrika-Politik nicht fortsetzen kann. Und diese Privatarmee unter Kontrolle zu bringen, das dürfte sehr schwer sein. Denn die trauert nun erst mal um ihren Chef, sehr emotional. Und bei Prigoschins Aufstands-Versuch haben die Leute ihm ja zugejubelt, das wird Putin nie vergessen. Landesweit werden jetzt Gedenkplätze für Prigoschin errichtet, mit Blumen, Kerzen und weinenden Menschen. Die russischen sozialen Medien sind voll mit Fotos und Videos davon. Das reicht von Petersburg bis Nowosibirsk, von Moskau bis Rostow am Don. Viele Russen dachten damals: Endlich einer, der die Wahrheit sagt: Dieser Krieg bringt uns nichts. Prigoschin hat ja den Kriegsgrund in Abrede gestellt. Und gleichzeitig sehen viele in ihm den eigentlichen Beschützer ihres Vaterlandes.
Hat der Fall Prigoschin Auswirkungen auf den Krieg Putins gegen die Ukraine?
Nein, im Moment nicht. Die Prigoschin-Leute nahmen ihm auch in der Ukraine viel Drecksarbeit ab. Sie brüsten sich in schrecklichen Videos damit, dass sie Gegner gleich liquidieren. Ich schätze, dass Putin nun auf einen langen, sehr langen Stellungskrieg setzt. Er hat noch sehr viele Menschen, die er da reinwerfen kann. Da hat er keine Skrupel.
Welche Signale kommen aus Belarus, wo Prigoschin angeblich unterkam?
Erstaunliche. Diktator Lukaschenko hat am Donnerstag der Ukraine offiziell zum Nationalfeiertag gratuliert und betont nun auffällig die Gemeinsamkeiten mit Kiew. Und er sagte kürzlich: Es gibt keinen Grund, den Krieg weiterzuführen, Russland hat seine Ziele erreicht, man könne da einen Schlussstrich machen. Er spielt eine Rolle, die Putin nicht gefallen kann, es ist ein Affront gegen ihn.
Ist Putin ohne Prigoschin stärker?
Putin hat zwei Seiten: eine persönliche, da wirkt er sympathisch und spricht nett im Plauderton. Dann wechselt er die Rolle und ist der ganz harte Mann, der exekutiert. Man weiß nie, welche Rolle er gerade einnimmt. Interessant, dass es in der russischen Geschichte eine Figur gab, die auch so war – Iwan IV., besser bekannt als Iwan der Schreckliche. Der hatte auch ganz weiche Seiten, konnte liebevoll sein und dann seine eigene Frau und engste Vertraute umbringen lassen. Das ist die Schizophrenie der Macht. Und das ist gefährlich.
Welche Rolle spielen die BRICS-Staaten für Russland und für den Westen, die sich nun ja zahlenmäßig verdoppelt haben?
Wir hatten dieses Bündnis nie genug im Blick. Russland hat unter Putin schon lange auf eine Außenpolitik mit neuen Koalitionen gesetzt, mit einem klaren Ziel: eine neue Weltordnung. Weg von der amerikanischen Dominanz, weg von der Vorherrschaft des Dollars. Das mit der neuen Leitwährung wird sehr schwierig. Da wird man um den Dollar kaum herumkommen. Aber je mehr Staaten dabei sind, desto eindrucksvoller wird das. Und nun sind sogar zwei verfeindete Staaten dabei: Saudi-Arabien und der Iran. Wenn die zusammenrücken, ist das ein Verdienst nicht von Russland, sondern von China, das die Annäherung angebahnt hatte. Das ist eine echte Herausforderung für den Westen. Und ein weiterer Beleg für die These: Das amerikanische Zeitalter geht zu Ende, das asiatische beginnt. Der Westen unter amerikanischer Führung – der bröckelt. Gleichzeitig baut China damit seine Vormacht aus und ist dabei, Russland zu einem Juniorpartner zu degradieren.