Nobelkomitee ehrt Hibakusha

Friedensnobelpreis für Nihon Hidankyo: Warum der Einsatz von Atombomben leider kein Hirngespinst ist

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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11.10.2024, 12:06 Uhr
Eine riesige Rauchsäule steht über der japanischen Hafenstadt Nagasaki, verursacht von einem Atombombenangriff der US-Amerikaner. Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an die japanische Organisation Nihon Hidankyo. Die auch als Hibakusha bekannte Organisation wird damit für ihre Bemühungen um eine Welt frei von Atomwaffen geehrt.

© Uncredited/dpa Eine riesige Rauchsäule steht über der japanischen Hafenstadt Nagasaki, verursacht von einem Atombombenangriff der US-Amerikaner. Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an die japanische Organisation Nihon Hidankyo. Die auch als Hibakusha bekannte Organisation wird damit für ihre Bemühungen um eine Welt frei von Atomwaffen geehrt.

Man könnte die Entscheidung des Nobelkomitees auf den ersten Blick als wenig mutig einstufen. Denn um all die aktuellen Konfliktherde dieser Tage macht der Friedensnobelpreis scheinbar einen großen Bogen. Kein direkter Bezug zum Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, keine Berührungspunkte mit dem Nahen Osten, keine Bezüge zu den Konflikten im Sudan, in Burkina Faso oder in Myanmar.

Wer so urteilt, verkennt zweierlei. Erstens ist das Nobelkomitee keine Aktivistentruppe, die dem Zeitgeist um jeden Preis hinterherhecheln muss. Regelmäßig fußen die Entscheidungen auch auf langjährigem, nachhaltigem Engagement für eine Sache. Und es gibt einen Wechsel zwischen Menschenrechtlern und Friedensorganisationen. Vergangenes Jahr, daran sei erinnert, ging der Preis an die iranische Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadin, die gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran kämpft.

Nobelpreis für Nihon Hidankyo: Es geht eben doch um ein aktuelles Thema

Heuer war wieder eine Organisation an der Reihe. Und da - das ist der zentrale und zweite Punkt, den sich Kritiker der Entscheidung vor Augen führen sollten - geht es eben doch um ein brandaktuelles Thema. Denn die japanische Friedensorganisation Nihon Hidankyo, die in diesem Jahr geehrt wurde, setzt sich für eine Welt frei von Atomwaffen ein - dieses scheinbar selbstverständliche Ziele in den Fokus zu rücken, ist 2024 leider dringend nötig.

Denn wenn wir auf die medial am meisten beachteten Konfliktherde blicken, droht durchaus ein Atomwaffeneinsatz. Wladimir Putin, der als Kriegstreiber über eines der größten Atomwaffenarsenale weltweit verfügt, kokettiert immer wieder damit, diese unkontrollierbaren Waffen auch zum Einsatz zu bringen. Und Putin, darin sind sich alle Beobachter einige, ist vieles zuzutrauen. Nicht auszudenken, welche Folgen ein Atombombenabwurf über der Ukraine hätte.

Und auch im Nahen Osten sind Atomwaffen eine reale Bedrohung. Längst hat sich der durch den brutalen Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober 2023 ausgelöste Militärschlag Israels im Gazastreifen zu einem Regionalkonflikt ausgeweitet. Und spätestens seit der Iran Raketen gen Israel fliegen hat lassen, ist das Atombombenszenario kein Hirngespinst von Pessimisten - auch in diesem Konflikt liegt die Bedrohung buchstäblich in der Luft.

Es gab also gute Gründe für das Nobelkomitee, Nihon Hidankyo auszuzeichnen. Denn diese Organisation hat durch das Sammeln von Zeitzeugenaussagen dokumentiert, welche grausame Wirkung Atombomben entfalten können - in Hiroshima und Nagasaki wurden diese furchtbaren Waffen 1945 erst- und bislang einmalig eingesetzt.

Dass trotz allen Abrüstungsbemühungen, trotz allen Berichten über die verheerenden Langzeitfolgen dieser Bomben und trotz der Unkontrollierbarkeit von Atomwaffen immer noch zigtausende Atomsprengköpfe in den Arsenalen diverser Militärmächte schlummern, ist unverständlich. Die Debatte über die Abschaffung regt dieser Friedensnobelpreis an - und das ist dringend nötig.

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