Vordenker sind dafür
Ein evangelischer Papst? Warum die Christenheit über diese Idee dringend nachdenken sollte
Könnte der Papst zu einer Art "Ehrenoberhaupt" der Christenheit auf der Welt werden? Im ersten Moment klingt dieser Vorschlag des Vatikans wie der Versuch einer schleichenden Machtübernahme. Nach dem Motto: Erst mal akzeptieren sie uns lediglich protokollarisch als die bestimmende Kraft der christlichen Gemeinschaft, der Rest wird sich dann im Laufe der Jahre schon noch ergeben.
Man sollte diese Idee aus dem katholischen Raum trotz manch berechtigter Verdachtsmomente nicht einfach vom Tisch wischen. Denn leider werden die christlichen Kirchen, zersplittert in Dutzende, bei genauer Betrachtung sogar Hunderte einzelner Gemeinschaften, schon lange nicht mehr als eine gewichtige Stimme wahrgenommen.
Kirchen haben viel zu sagen - werden aber nicht gehört
Egal, ob es um die Bekämpfung der Armut oder um die Kriegslüsternheit etlicher Autokraten geht - die Kirchen können sich kaum noch Gehör verschaffen, obwohl sie so viel zu sagen hätten. Das ist wenig überraschend, weil sie nicht geschlossen auftreten und nicht in der Lage sind, die Kraft ihrer 2,5 Milliarden Mitglieder einzubringen. Jeder dritte Mensch auf der Welt ist Christ.
Natürlich spricht derzeit viel gegen eine vollständige Einheit. Protestanten können nicht einverstanden sein damit, welche Rolle Frauen in der katholischen Kirche spielen, um nur ein Beispiel zu nennen. Ganz zu schweigen von Differenzen bei grundlegenden Fragen der Lehre. Doch darum geht es beim Vorschlag des Vatikans auch nicht. Es soll zunächst mal nicht mehr als ein "Dach" gefunden werden, unter dem die vielen Kirchen zumindest bei einigen Fragen gemeinsam auftreten können.
Selbstverständlich dürften die einzelnen Gemeinschaften weiterhin ihre Besonderheiten pflegen. Diese Idee ist übrigens nicht neu. Schon 1974 machte es im evangelischen Bereich die Leuenberger Konkordie vor, wie sich rund 100 Kirchen wechselseitig die volle Anerkennung zusichern und dennoch selbstständig bleiben können. Erst vor zwei Jahren wurde die evangelische Kirche der Ukraine in diese Gemeinschaft aufgenommen.
Führende Protestanten signalisieren ihre Bereitschaft. Heinrich Bedford-Strohm (ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender und evangelischer Landesbischof von Bayern) sagte, er könne sich den Papst als "Ehrenoberhaupt" der Christenheit gut vorstellen. Schon Johannes Friedrich, einer seiner Vorgänger, hatte sich in den 90er Jahren ähnlich geäußert.
Katholiken müssen sich bewegen
Die Kirchen täten gut daran, den Vorschlag nicht sofort zu verwerfen. Sie brauchen die mediale Aufmerksamkeit in einer Zeit, in der die weltweiten Kommunikationsströme oft von Lügnern, Fälschern und Hetzern dominiert werden.
Außerdem ist ja nicht gesagt, dass sich auf dem Weg zur Einheit nur die anderen Gemeinschaften dem Katholizismus nähern und nicht auch umgekehrt. Es wäre erst mal auszuforschen, welchen Preis die katholische Kirche zu zahlen bereit ist - dafür, dass ihr Papst zum Gesicht der weltweiten Christenheit wird.
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