Streitbarer Geist

Eigenwillig, selbstherrlich, kritisch: Otto Schily wird 90

20.7.2022, 18:00 Uhr
Gudrun Ensslin mit ihremVerteidiger Otto Schily im Frankfurter Landgericht während des Kaufhaus-Brandstifter-Prozesses. Zu drei Jahren Zuchthaus wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung ist die 28jährige Germanistikstudentin am 31.10.1968 im Kaufhaus-Brandstifter-Prozeß vom Frankfurter Landgericht verurteilt worden. 

© Manfred Rehm, dpa Gudrun Ensslin mit ihremVerteidiger Otto Schily im Frankfurter Landgericht während des Kaufhaus-Brandstifter-Prozesses. Zu drei Jahren Zuchthaus wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung ist die 28jährige Germanistikstudentin am 31.10.1968 im Kaufhaus-Brandstifter-Prozeß vom Frankfurter Landgericht verurteilt worden. 

Er war RAF-Anwalt und Bundesinnenminister während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD). Nun wird Otto Schily 90 Jahre alt - und im Interview blickt er kritisch auf die aktuelle Politik in Deutschland. So werde zu wenig darüber nachgedacht, wie der Krieg in der Ukraine enden könne. Und den Abschied von der Atomkraft kritisiert Schily als "töricht". Was treibt den einstigen Hüter über Recht und Ordnung heute um?

"Ich bin in einem Alter angelangt, in dem man vielleicht sagen sollte: Was kümmert mich das alles noch?", sagt Schily. "Sollte ich mich nicht lieber zurücklehnen und mit meinen Enkeln Schach spielen?" Er beantwortet die Frage so: "Aber man verliert nicht sein Verantwortungsbewusstsein – gerade auch gegenüber der Generation der Enkel."

Gerhard Schröder (re.) im Gespräch mit Franz Müntefering (li.) und Otto Schily auf dem Außerordentlichen Bundesparteitag der SPD in Berlin.

Gerhard Schröder (re.) im Gespräch mit Franz Müntefering (li.) und Otto Schily auf dem Außerordentlichen Bundesparteitag der SPD in Berlin. © a-imago-20220621_103904-6.jpg, imago/Hoffmann

Von sich überzeugt, rhetorisch brillant, belesen und klug - so kannte man Otto Schily. Schröder, der grüne Außenminister Joschka Fischer und Schily - das waren die drei prägenden Köpfe der rot-grünen Regierungszeit 1998 bis 2005. Sie kannten sich schon aus einer Bonner Kneipe, wo sie politische Zukunftspläne schmiedeten. Als Minister brachte Schily, einst Mitbegründer der Grünen, die "Otto-Kataloge" auf den Weg, also strengere Sicherheitsgesetze nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

"Ich bin froh, dass ich einen Beitrag leisten konnte, dass die Europäische Union ein Raum mit Sicherheit, Rechten und Freiheit ist", sagt Schily. "Freiheit hat dabei zur Voraussetzung, dass die Rechte der Menschen gewahrt sind und es Sicherheit gibt." Das sei keine Selbstverständlichkeit.

Schily, im Jahr 2004.

Schily, im Jahr 2004. © imago stock&people, imago stock&people

Rückblickend lobt Schily die "konstruktive Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik" in der rot-grünen Regierung. Auch die FDP habe hier eine positive Rolle gespielt. "Auf diese Weise haben wir ein neues Staatsangehörigkeitsrecht auf den Weg gebracht und den Versuch eines modernen Einwanderungsrechts unternommen", sagt Schily. Er betont "Versuch". Es sei damals nicht vollständig geglückt. Heute wird das Einwanderungsrecht wieder reformiert. "Und wir haben eine Sicherheitsarchitektur geschaffen, mit deren Hilfe wir uns gegen terroristische Attacken zur Wehr setzen können."

Als SPD-Innenminister ließ Schily der oppositionellen Union wenig Raum zur Profilierung - für politisch Linke war er oft provozierend. Dass er als Anwalt früher ebenso wie Hans-Christian Ströbele von den Grünen Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) verteidigte, passt für ihn rückblickend zusammen. Ihm sei es um die Verteidigung des Rechtsstaates gegangen. Auch anzuecken gehörte für Schily dazu.

Heute mahnt Schily, die westlichen Staaten sollten sich in der Ukraine-Politik vor Doppelzüngigkeit hüten. Der russische Angriffskrieg sei ohne Abstriche zu verurteilen. Aber: "Hat es der Westen mit der Einhaltung der Menschenrechte immer so genau genommen?" Schily sagt mit Blick auf zurückliegende Misshandlungen von Gefangenen durch US-Kräfte: "Ich habe Abu Ghraib und Guantanamo nicht vergessen." Viele Staaten in Afrika, Asien oder Lateinamerika hätten eine genaue Wahrnehmung für westliche Doppelmoral.

Zu Schröder, gegen den wegen seiner Nähe zu Russland in der SPD ein Verfahren zum Parteiausschluss läuft, habe er noch Kontakt, sagt Schily. "Wenn ein Freund in Schwierigkeiten kommt, wende ich mich nicht von ihm ab." Auch mit anderen Weggefährten und aktiven Politikern tausche er sich aus. Zum Beispiel habe er Kontakt zu SPD-Chef Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich oder auch der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries. Besonders freue ihn, dass auch die Beziehung zu ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiter bestehe, etwa zu seinen Staatssekretären.

Schily feiert an diesem Mittwoch nicht im heimischen Berlin, sondern in der Toskana, wo er ein Domizil hat. Er habe ein paar Freunde eingeladen. "Ich freue mich, dass mein alter Freund Joschka Fischer kommt", berichtet Schily. Aber etwa auch der frühere RWE-Chef Jürgen Großmann, der ehemalige Politiker und Manager Fritz Vahrenholt oder der Künstler Markus Lüpertz. Besonders wichtig: "Meine zwei Töchter und meine fünf Enkel sind dabei."

 Bundesinnenminister Otto Schily li., GER/SPD und Bundesaußenminister Joschka Fischer GER/Bündnis90/Die Grünen während einer Bundestagssitzung in Berlin

 Bundesinnenminister Otto Schily li., GER/SPD und Bundesaußenminister Joschka Fischer GER/Bündnis90/Die Grünen während einer Bundestagssitzung in Berlin © via www.imago-images.de, imago images/Hans-Günther Oed

Die aktuellen Krisen treiben Schily um - und trotzdem ist er voller Hoffnung. "Ich kenne so viele wunderbare jüngere Menschen, dass ich trotz der großen Krisen, mit denen wir heute umgehen müssen, eine große Zuversicht habe", sagt Schily. "Wichtig finde ich, dass man bereit ist, sich an Vernunftgründen zu orientieren und nicht starr an seinen überkommenen Meinungen festzuhalten."

Immer wieder die eigene Position zu überdenken - das ist Schily zum 90. besonders wichtig. Er selbst nehme für sich in Anspruch, das immer wieder getan zu haben. "Wenn man sich festklammert an einer Sichtweise, kommt man im Leben nicht weiter." Enttäuscht sei er, wenn er merke, "dass Menschen nicht bereit sind, die andere Seite zu sehen, sondern sich ideologisch einkerkern". Dabei hat sich eins bei ihm verändert, wie er erzählt: "Ich versuche, gelassener auf die Dinge zu blicken."

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