Bauern-Proteste und ihre Folgen

Der Ampel fehlt jedes Gespür für Stimmungen

Alexander Jungkunz

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15.1.2024, 18:55 Uhr
Christian Lindner (FDP), Bundesminister für Finanzen, spricht neben Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, während der Berliner Kundgebung. 

© Monika Skolimowska, dpa Christian Lindner (FDP), Bundesminister für Finanzen, spricht neben Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, während der Berliner Kundgebung. 

Es kommt nicht oft vor, dass ein amtierender Bundespräsident die Regierung und ihren Kanzler kritisiert. Richard von Weizsäcker tat dies, als er den Parteien vorwarf, sie seien vor allem an Macht interessiert und kaum am Gestalten. Das zielte auf seinen Intimfeind Helmut Kohl. Roman Herzog tat es, als er den inzwischen sprichwörtlichen "Ruck" einforderte, der durchs Land gehen müsse.

"Sprachlosigkeit" gegenüber den Bauern

Und nun tat es auch Frank-Walter Steinmeier. "Wenn die Glaubwürdigkeit einer Regierung sinkt, hängt das auch damit zusammen, dass Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert oder akzeptiert worden sind oder von internem Streit, der nach außen dringt, überlagert werden", sagte er und warf der Koalition "Sprachlosigkeit" gegenüber den Protesten der Bauern vor.

Deutliche Worte. Sie treffen die Regierung, vor allem den Kanzler. Es ist ja auch immer schwerer zu fassen, wie wenig Gespür diese Koalition hat. Wie viele handwerkliche Fehler sie sich immer noch leistet. Und wie viele Warnschüsse sie eigentlich noch braucht, um wenigstens zu versuchen, das Ruder herumzureißen.

So wird Autorität ausgehöhlt

Der Umgang mit den Bauern ist nur das jüngste Beispiel für mindestens unkluge Politik. Erst knallt man ohne Vorankündigung einer Berufsgruppe Kürzungen auf den Tisch, erschrickt dann über den Protest - und rudert rasch zurück. SPD-Ministerpräsidenten gehen öffentlich auf Distanz zum Kanzler, der die Pläne (noch) verteidigt: So wird Autorität ausgehöhlt, Vertrauen zerstört.

Die Landwirte agieren teils unter der Gürtellinie. Dass Bauern-Präsident Rukwied der Regierung vorwarf, sie würde beraten von Menschen, die "noch nie gearbeitet, noch nie geschwitzt haben" - so eine Tonlage befördert keinen Austausch. Und wer Redner nicht zu Wort kommen lässt, sondern ausbuht, wie es nun die Bauern in Berlin mit Finanzminister Lindner taten, verletzt demokratische Spielregeln. Dabei war Lindners Rede bemerkenswert - bemerkenswert blamabel. Er biederte sich bei den Bauern an und teilte gegen andere Gruppen aus - Bürgergeldempfänger, Migranten, Klima-Aktivisten. Das ist billig, durchschaubar und garantiert nicht mutig.

Tierwohlabgabe: eine neue Subvention?

Nun wollen die Koalitionäre den Bauern-Unmut offenbar durch die Tierwohlabgabe dämpfen: eine Steuer auf Agrarprodukte, deren Erlös gezielt in den tierfreundlicheren Umbau von Ställen fließen soll. Da entsteht dann zwar paradoxerweise die nächste Subvention und vermutlich auch neue Bürokratie - aber das Vorhaben wäre immerhin zukunftstauglicher als das Subventionieren von Diesel.

Offen ist, ob die Landwirte so ein Angebot überhaupt noch akzeptieren. Ihre Vertreter haben sich, befeuert von Politikern der Union, der Ampel selbst und der Freien Wähler (Aiwanger), sehr klar darauf festgelegt, keine Kompromisse zu akzeptieren - auch das ist alles andere als hilfreich. So erleben wir das nächste Trauerspiel verfehlter Ampel-Politik.

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