Abkommen droht das Aus

Das Ende von Schengen? Warum Grenzkontrollen kein Grund zur Freude sein können

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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16.9.2024, 12:28 Uhr
Ein Beamter der Bundespolizei steht am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke und überwacht den Einreiseverkehr nach Deutschland.

© Patrick Pleul/dpa Ein Beamter der Bundespolizei steht am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke und überwacht den Einreiseverkehr nach Deutschland.

Die älteren Generationen erinnern sich: Grenzkontrollen und lange Staus in der Ferienzeit an den Übergängen waren etwas ganz Normales, wenn es in den Urlaub ging. Jüngere Menschen kennen diese Kontrollen erst seit kurzem wieder - weil einzelne Bundesländer wie Bayern entlang der Außengrenzen nach Österreich oder Tschechien wieder verstärkt kontrollieren.

Seit Wochenbeginn ist Deutschland de facto wieder ein Land mit einer Zugangshürde, egal ob es um Reisende aus Dänemark, den Niederlanden oder Frankreich geht. Alle Außengrenzen, so lautet der durchaus bemerkenswerte Schritt, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündet hat, werden stichpunktartig kontrolliert. Vorerst für sechs Monate.

1985 wurde in Schengen ein historisches Abkommen geschlossen

Damit wird zuallererst ein Schlussstrich unter einen berechtigterweise als historisch eingestuften Prozess gezogen: 1985 gingen Helmut Kohl und François Mitterrand mutig voran, indem sie im luxemburgischen Schengen ein Abkommen auf den Weg brachten, das eine Abschaffung der Personenkontrollen an den Grenzen vorsah.

Was im Kleinen (neben Frankreich und Deutschland waren Luxemburg und die Niederlande Gründungsunterzeichner) begann, weitete sich rasch zur Erfolgsgeschichte aus: Heute sind 29 Staaten Teil des Schengenraums.

Vielleicht geht der September 2024 als Anfang vom Ende der Freizügigkeit, die mit dem Schengen-Abkommen verbunden war, in die Geschichtsbücher ein. Denn wenn ein politisches Schwergewicht wie Deutschland faktisch aussteigt, könnte Schengen rasch ans Ende kommen.

Es sind mehrere Handlungsstränge, die diese Entwicklung vorangetrieben haben: zuallererst die innerdeutsche Asyldebatte. Zuwanderung, über Jahre hinweg das Topthema der Rechtspopulisten, ist zum parteiübergreifenden Schwerpunkt mutiert. Keine Gruppierung kommt mehr ohne eigene Vorschläge aus, beinahe alle wollen sich gegenseitig an Schärfe überbieten. Die kommende Bundestagswahl dürfte von der Migrationsfrage dominiert werden. Die Grenzkontrollen sind der logische Ausfluss dieser Fokussierung.

Abschottung ist ein globales Phänomen

Es gibt, das ist der zweite Handlungsstrang, ganz generell globale Abschottungstendenzen. Dabei geht es vor allem um Sicherheitsfragen - wie kann die Bevölkerung am wirksamsten vor der Gefahr des (islamistischen) Terrorismus geschützt werden? Eine direkte Verbindung zur Asyldebatte ist gegeben.

Schließlich, das ist der dritte große Paradigmenwechsel, schlägt das Pendel im permanenten Wettstreit zwischen Freiheit und Sicherheit derzeit eindeutig in Richtung Sicherheit aus. Mitte der 80er Jahre, als das Schengen-Abkommen seinen Weg nahm, war dies genau andersherum: Einstige "Erbfeinde" wie Deutschland und Frankreich machten immense Fortschritte bei der Versöhnung, der Eiserne Vorhang, der Ost- von Westeuropa trennte, bekam die ersten Löcher und viele hofften auf eine friedliche Zukunft. Schengen war eine Zukunftswette, eine, die leider verloren ging.

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