Vertrag mit dem Nachbarn?

Atomstrom aus Tschechien: Söders Pläne sind ein Wahlkampfmanöver - und unsolidarisch dazu

Roland Englisch

München-Korrespondent

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13.12.2024, 11:37 Uhr
Die Atommeiler im tschechischen Temelin gelten als risikoanfällig, weil sie auf sowjetischer Technik basieren. Trotzdem will Ministerpräsident Markus Söder ausgerechnet ihren Strom nach Bayern holen.

© IMAGO/Harald Dostal Die Atommeiler im tschechischen Temelin gelten als risikoanfällig, weil sie auf sowjetischer Technik basieren. Trotzdem will Ministerpräsident Markus Söder ausgerechnet ihren Strom nach Bayern holen.

Eigenwillig, was Bayerns Ministerpräsident ausgeheckt hat. Der Freistaat soll mit Tschechien einen exklusiven Vertrag über Stromlieferungen abschließen, damit das eigene Netz stabilisieren und zuhause den Preis drücken. Das sei eine "strategische Partnerschaft" durch eine "privilegierte Stromabnahme".

Offensichtlich hat sich auch bei Markus Söder die Erkenntnis durchgesetzt, dass er in Deutschland weder stillgelegte Mailer hochfahren, noch, dass er neue bauen könnte. Das scheitert nicht nur am Widerstand der Menschen vor Ort, sondern an den gigantischen Kosten. Länder wie etwa Großbritannien erleben gerade, dass lange vor der Kernspaltung die Finanzschmelze einsetzt.

Atomstrom aus Tschechien: Die Menschen in Ostbayern haben Angst

Dass sich die Union derzeit an der Atomkraft berauscht, verwundert. Denn sie, und insbesondere Markus Söder, hat nach Fukushima vehement den Atomausstieg vorangetrieben. Noch vor dem japanischen Trauma hat übrigens mit Horst Seehofer ein bayerischer Ministerpräsident die Tschechen heftig für ihr Atomkraftwerk in Temelin gerügt. Dessen Meiler gelten wegen ihrer sowjetischen Bauart bis heute als extrem störanfällig.

Söder will davon nichts mehr wissen. Anders als Seehofer protestiert er nicht gegen die Ausbaupläne dort, sondern begrüßt sie ausdrücklich. Den Menschen im Osten Bayerns wird das kaum gefallen. Sie leben in Sichtweite der Meiler, die das Nachbarland gezielt an die Grenze gesetzt hat. Die Angst vor einer Katastrophe ist dort so groß, dass selbst Abgeordnete aus dem bayerischen Regierungsbündnis sich gegen Söders Pläne stellen.

Fachleute halten die Idee allerdings nicht nur wegen der Sicherheitsbedenken für falsch. Denn Deutschland betreibt ein Gesamtnetz, das nicht in regionale Interessen aufgesplittet ist - so, wie es ganz Europa tut. Strom-Binnenmarkt nennt sich das Konstrukt, dessen Grundidee bestechend ist.

Vereinfacht formuliert verhandeln Lieferanten und Anbieter aus der gesamten EU an der Strombörse über Mengen und Preise. Sie betrachten Europa dabei als ein Netz und ein System. Wer billig anbietet, bestimmt den Preis. Wer Engpässe in der Produktion hat, profitiert vom Überschuss bei anderen. Dort agieren keine Nationen, von Bundesländern ganz zu schweigen.

Als 2022 etwa in Frankreich die meisten Atommeiler vom Netz waren, rettete Deutschland den Nachbarn mit seinem Strom - auch wenn CSU und Freie Wähler gerade das Gegenteil verbreiten. Umgekehrt kann Deutschland aktuell auf den Strom der Nachbarn zurückgreifen, weil wegen der Dunkelflaute hierzulande im Moment eigenproduzierte Energie nicht ausreichend fließt.

Die Idee Söders stellt das, wenn auch marktwirtschaftlich ausgerichtete, aber letztlich solidarische System infrage. Es wäre ein bayerischer Egotrip, den Brüssel nicht genehmigen wird. Dem Nürnberger dürfte all das bekannt sein. Die Halbwertszeit seines Vorstoßes hat er vermutlich berechnet. Sie endet mit dem 23. Februar, dem Tag der Bundestagswahl.

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