
Kommentar
Angstmache oder reale Gefahr: Ist es Kriegstreiberei, wenn Experten Risiken benennen?
Erleben wir den letzten Sommer im Frieden? Diese düstere Aussage stammt von Sönke Neitzel. Auch im Interview mit unserem Medienhaus begründete der Militärhistoriker seine Warnung. Betreibt er Panikmache? Er „wollte darauf hinweisen, dass wir nicht ausschließen können, dass wir kämpfen müssen“, sagte Neitzel.
Auch der Sicherheitsexperte Carlo Masala warnt wie andere vor einer neuen militärischen Aggression Russlands. Und er verweist auf Analysen der Geheimdienste: Gegen Ende dieses Jahrzehnts sei Moskau in der Lage, einen neuen Krieg zu starten. Russland sei bereit, seine imperialistischen Ziele mit militärischer Gewalt umzusetzen - und schaffe die Voraussetzungen, einen „großmaßstäblichen konventionellen Krieg“ führen zu können, so ein BND-Bericht.
Putin hat massiv aufgerüstet und tut dies weiter, gegenüber 2021 vervierfachte sich der Verteidigungshaushalt, das Land hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und trotz des Kriegs gegen Kiew keine Engpässe.
Kritiker der nun auf den Weg gebrachten Aufrüstung Deutschlands verweisen darauf, dass Russlands Militärausgaben im Vergleich zum Westen immer noch niedrig seien. Der reine Blick auf die Zahlen hilft da aber nicht: Moskau produziert vieles kostengünstig selbst und setzt seine Mittel offenbar deutlich effizienter ein als etwa die Bundeswehr.
All das lässt sich nicht ausblenden - was dennoch manche tun. Sie drängen auf ein gutes Verhältnis zu Russland. Das wäre zweifellos wichtig - aber: Es gehören zwei dazu. Und Putin zeigt mit allem, was er tut, dass er sein Ziel erreichen will, die alte Größe des russischen Imperiums wiederherzustellen. Mit seinem hybriden Krieg spaltet und schwächt er die Demokratien. Seine Forderungen laufen auf einen Rückzug der Nato aufs Gebiet vor dem Ende der Sowjetunion hinaus - eine für Polen, Balten und andere inakzeptable Bedingung und eine Einladung zur Expansion.
Die Friedenssehnsucht und Militär-Ferne vieler Deutscher hat ihre Gründe und ist im Grunde sympathisch. Aber: Niemand sollte blauäugig nachweisbare Bedrohungen kleinreden oder ausblenden. Das könnte gefährlicher sein als die angebliche Kriegstreiberei, die manche Mahnern wie Neitzel oder Masala vorwerfen. Sie skizzieren, was passieren könnte, wenn Deutschland und Europa zu wenig in Sicherheit investieren und die Versäumnisse seit 1989/90 nicht aufholen. Dass die USA unter Trump als Schutzmacht wegfallen, das verstärkt nur die Notwendigkeit eigener Anstrengungen.
Selbstverständlich wäre es besser, wenn all die Milliarden in Schulen, Bildung etc. investiert werden könnten statt in Aufrüstung. Die aber kann die Gefahr verringern, dass Putin die Chance nützt, die er dann hätte, wenn die Demokratien des Westens Schwächen zeigen - auch militärische. „Wir müssen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen“: So brachte Wolfgang Schäuble auf den Punkt, was ansteht.
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