Ampelkoalition abgestraft

AfD und BSW über 40 Prozent: Die Wahlen in Sachsen und Thüringen verändern politische Farbenlehre

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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1.9.2024, 19:23 Uhr
Eine Wählerin wirft in einem Wahlraum einen Wahlschein in eine Urne. Nach den Wahlen im Osten wird über die Ergebnisse in Thüringen und Sachsen debattiert.

© Marijan Murat/Marijan Murat/dpa Eine Wählerin wirft in einem Wahlraum einen Wahlschein in eine Urne. Nach den Wahlen im Osten wird über die Ergebnisse in Thüringen und Sachsen debattiert.

Zwei Wahlen, ein Ergebnis: Die Bundesrepublik steht womöglich am Übergang in ein neues politisches Zeitalter: Ein halbes Jahrhundert gaben die großen Volksparteien (CDU, CSU und SPD) den Ton an, wechselten sich an der Regierungsspitze ab, dabei oft unterstützt von der FDP. Danach betraten mit der Linken und den Grünen zwei neue Mitspieler das parlamentarische Feld. Dann begann der Siegeszug der Rechtspopulisten der AfD.

Nun, im Herbst 2024, kündigt sich eine neue Lage an: Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen kommen die Nein-Sager in den Parlamenten, die Vertreter von AfD und BSW, auf bemerkenswerte Ergebnisse - zusammen liegen sie deutlich jenseits der 40-Prozent-Marke.

Soviel Wut und Enttäuschung über die etablierten Parteien war bei Landtagswahlen noch nie zu spüren. Es ist erschreckend, mit welcher Nonchalance etwa in Thüringen dem Faschisten Björn Höcke das Vertrauen ausgesprochen worden ist.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde zudem die Regierungskoalition auf ein Minimum zurechtgestutzt, das durchaus als historisch bezeichnet werden kann: Die addierten Ergebnisse der drei Ampelparteien liegen in beiden Ost-Ländern deutlich unter 15 Prozent, eine derartige Abstrafung haben die Wählerinnen und Wählern seit 1949 noch nie einer amtierenden Bundesregierung verpasst.

Mit der Folge, dass die AfD in beiden Ländern die 30-Prozent-Marke überspringen konnte, in Thüringen sind die Rechtsextremisten nun sogar die stärkste Kraft im Landtag - ebenfalls ein historischer Moment, der entsetzen muss. Dazu kommen starke, zweistellige Ergebnisse des BSW.

Damit haben sich viele Thüringer und Sachsen in großer Anzahl gegen eine scheinbare Konstante bundesdeutscher Außenpolitik gewandt - die Unterstützung der Ukraine, BSW und AfD sprechen sich jeweils für die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Moskau aus.

Es kommen also äußerst schwierige Entscheidungen auf die Bundesparteien zu, vor allem gilt dies für die CDU, die wohl in beiden Ländern künftig den Ministerpräsidenten stellen wird: Ohne BSW dürfte es kaum möglich sein, Koalitionen gegen die AfD zu schmieden. Lässt sich die Union (und somit auch CDU-Chef Friedrich Merz) auf Sahra Wagenknechts krude "Friedenspolitik" ein?

Auch der Ausgang der K-Frage könnte davon abhängen, wie Merz diesen Prozess in den nächsten Wochen aus Berlin heraus begleiten wird. Fakt ist auch, dass die Kehrtwende in der Asylpolitik, zuletzt durch populistische Aussagen des CSU-Chefs Markus Söder befeuert, den Triumph der AfD nicht stoppen konnte.

In Thüringen stehen extrem komplexe Koalitionsverhandlungen bevor, in Sachsen dürfte es etwas leichter werden. In Berlin stellt sich die Frage, inwieweit Ost-Spezifika diese Landtagswahlen beeinflusst haben - darauf zu vertrauen wäre angesichts dieser beispiellosen Ergebnisse naiv. Regieren ohne die AfD, das ist die Botschaft von Dresden und Erfurt, wird immer komplizierter.

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