Plädoyer gegen die deutsche Weinerlichkeit

2023: Ein furchtbares Jahr? Ja. Wie viele andere zuvor auch

Alexander Jungkunz

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30.12.2023, 14:55 Uhr
Das Wort des zu Ende gehenden Jahres 2023: Krisenmodus.

© Julian Stratenschulte, dpa Das Wort des zu Ende gehenden Jahres 2023: Krisenmodus.

2023: Was für ein heftiges Jahr geht da nun zu Ende! Leicht ließe sich ein Alphabet der Krisen und Katastrophen erstellen. Für viele begänne diese Liste mit einem A wie Ampel: Die Regierung und insbesondere die Grünen sind in deren Augen für so gut wie alles verantwortlich, was schief läuft.

Außenpolitisch kam im ablaufenden Jahr zum U wie Ukraine noch ein N wie Nahost: zwei Kriege, gar nicht so weit weg von uns. Putins Angriff auf den Nachbarn scheint zur endlosen Blutmühle zu werden. Und in Gaza ist nichts in Sicht, das die geschundene Region auch nur in die Nähe von Stabilität bringen könnte. Israels nachvollziehbare Reaktion auf den bis zum 7. Oktober unvorstellbaren Terror der Hamas droht eine neue Spirale von Hass und Gewalt zu erzeugen.

Also ein fürchterliches Jahr, schlimmer als sonst?

Da lohnt der genauere Blick. Und es bietet sich an, mal auf den politischen Lebenslauf von Wolfgang Schäuble zu blicken, dieses leidenschaftlichen, unermüdlichen Demokraten. Da relativiert sich nämlich manches in unserer oft sehr engen, nicht selten auch wehleidigen Nabelschau.

Was Schäuble alles erlebte an Krisen

1972 zog Schäuble erstmals in den Bundestag ein, dem er 51 (!) Jahre lang angehörte. 1972, das war das Jahr des Olympia-Attentats - düstere Wochen nicht nur in Deutschland. Es folgte die Ölkrise mit einer wirtschaftlich schwierigen Phase, die Zeit des RAF-Terrors - eine gewaltige Herausforderung des Staates.

Schäuble erlebte die Folgen der deutschen Teilung, er gestaltete die Wiedervereinigung. Massenarbeitslosigkeit mit Erwerbslosenquoten um oder über zehn Prozent - inzwischen längst und wohl für lange Vergangenheit - waren immer wieder zu bewältigen. Die Balkankriege waren eine noch nähere Gewalt-Erfahrung. Schäuble selbst war in der Finanz- und Eurokrise gefordert.

Wir erinnern uns eher ans Schöne als ans Schlimme - zum Glück

Eine ziemlich lange Liste an beklemmenden Situationen. Und von den deutschen Kriegs- und Nachkriegsjahren, die Schäuble wie viele andere auch erlebte, war hier gar nicht die Rede. Es soll auch überhaupt nichts beschwichtigt werden von den aktuellen Ärgernissen. Aber: Irgendwie ist immer Krise, und die jeweils nächste erleben wir am heftigsten. Auch, weil wir uns (und zwar buchstäblich: zum Glück) eher ans Schöne, an Erfolge erinnern als an Bedrückendes.

Krisen seien immer auch Chancen, sagte Schäuble 2022. Es gebe immer Grund zur Zuversicht. Und nur ein bisschen von seinem extremen psychischen wie physischen Durchhaltevermögen, seinem Willen, trotz aller Rückschläge weiterzumachen - ein Stück davon würde einem gereizten und oft zum Selbstmitleid neigenden Land gut tun. "Die Lust der Höhen war kurz, die Mühsal der Ebenen wird uns noch lange gefangen halten", sagte er 1993 in den Anfangsjahren der Einheit. Ein Satz, der für alle Politik gilt. Bald beginnt die Mühsal der Ebene von 2024. Mit gutem Willen ist sie zu meistern.

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