
Mutter des "Nürnberger Stils"
Warum das noble Herrenschießhaus eine ganze Baukunst-Epoche prägte
Der "Nürnberger Stil" ist, wie der Name schon sagt, ein Nürnberger Gewächs. Nur wenige deutsche Städte können für sich beanspruchen, dass ihre Baukunst im Historismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einen eigenen Lokalstil hervorgebracht haben. Oder besser: zu neuem Leben erweckt haben.
Den Nürnbergern, zu jener Zeit voll des Stolzes auf ihr "Schatzkästlein" mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Architektur, gelang das. Sie erkoren den lokaltypischen Mischmasch aus Formen der Spätgotik und Frührenaissance des 16. Jahrhunderts zum örtlichen Baustil der Wahl aus. Ganze Straßenzüge von Mietshäusern entstanden zwischen etwa 1885 und 1905 in seinen Formen, mal fantasievoller, mal schematischer.

Das Bizarre an der Geschichte: Die britischen Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges führten dazu, dass von den Originalen des Nürnberger Stils (der damals freilich noch nicht so genannt wurde) fast nichts mehr erhalten ist. Eine Ausnahme bildet das 1582/1583 erbaute Herrenschießhaus am Sand nahe dem Ufer der Pegnitz, das am 2. Januar 1945 vergleichsweise leichte Schäden davontrug. Ein Wunder angesichts der nahezu völligen Zerstörung rundum!
Mit seinem Portal mit Portikus, den stichbogigen Arkaden zum Innenhof, den lebendigen Schweifgiebeln und dem reich beschnitzten Zwerchhaus mit Spitzhelm so ziemlich alles an Architektur und Schmuckwerk hält es genau das bereit, was die Nürnberger Bauherrn, Baumeister und Kunsttheoretiker rund 300 Jahre später so begeisterte. Das ist auch heute noch so, und selbst nach der Renovierung 1957 haben sich auch im Inneren wichtige Teile der historischen Ausstattung, darunter die dunkle, aber stimmungsvolle gewölbte Halle im Erdgeschoss, die prunkvolle Haupttreppe und das gewaltige Dachwerk erhalten.
Schöpfer des Monumentalbaus aus Burgsandstein war Stadtwerkmeister Hans Dietmair († 1595), der heute in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten seiner ungleich berühmteren Vorgänger und Nachfolger Hans Beheim dem Älteren und der beiden Jakob Wolffs steht. Zu Unrecht, denn dem gebürtigen Eisenacher verdankt die Noris neben dem schmucken Herrenschießhaus auch das Zeughaus am Hallplatz (1588).
Bei seinem Entwurf bezog Dietmair ein älteres Gebäude an der Unteren Talgasse von 1441/1442 mit ein. Das direkt angrenzende (ursprünglich außen verputzte) Fachwerkgebäude mit Sandsteinsockel (Untere Talgasse 6) indes war Wohnung und Werkstatt des reichsstädtischen Bogners (erbaut 1536/1537) und damit sowohl baulich als auch institutionell mit dem Schießhaus verbunden.
Schießsport und Geselligkeit
Nutzer des Gebäudes und seiner Außenanlagen waren die Nürnberger Herrenschützen, ein elitärer Club aus männlichen Vertretern der ratsfähigen Geschlechter und anderer angesehener Kaufmanns- und Unternehmerfamilien, die sich dahier neben dem Schießsport mit Bogen und Armbrust dem geselligen Beisammensein hingaben.

Für diesen Zweck war der Standort des Hauses geradezu genial gewählt, konnte man doch den Rest des Stadtgrabens an der Grübelstraße, der von der vorletzten Befestigung des 13. Jahrhunderts übrig geblieben war, als sichere Schießbahn nutzten (daher auch sein Name "Herrenschießgraben"). Ebenda ließen die Herrenschützen einen kostbaren Brunnen mit der von Peter Vischer dem Älteren gegossenen Bronzestatue ihres Patrons errichten, der da – und das passte vollauf zum Antikenkult der Renaissance – ein römischer Gott war: Apollo. Heute ist die Brunnenfigur, die zeitweise im Kleinen Rathaushof aufgestellt war, im Stadtmuseum Fembohaus zu bewundern.

Nach dem Ende der Reichsstadt nutzte man das Schießhaus zunächst als Militärkrankenhaus, nach dem Rückkauf durch die Stadt ab 1905 dann als Städtische Fortbildungsschule. Zuletzt waren hier Abteilungen des Bildungszentrums und des Amtes für Kultur und Freizeit untergebracht.
Nun plant die Stadt, das alte Herrenschießhaus bis 2024 zu einem Kinder- und Jugendzentrum mit Nachmittagsbetreuung für Grundschüler umzubauen. Durchaus "zielgruppengerecht", weil der Fantasie sehr förderlich, sind freilich die äußere Erscheinung des Bauwerkes und die angrenzende kleine grüne Lunge im alten Stadtgraben. Hoffen wir, dass Bauherrin und Planer dieses Schmuckstück reichsstädtischer Baukunst auf behutsame Weise für seine Zukunft fit machen.

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