Kriegsende

Vor 70 Jahren: Kriegsgefangene retten Schwabach

22.4.2015, 19:55 Uhr
Vor 70 Jahren: Kriegsgefangene retten Schwabach

© Foto: Stadtarchiv

Was Widerstand bedeutet, müssen die Bewohner etwa in Neumarkt und Allersberg erfahren. Die vorrückenden US-Einheiten bombardieren beide Städte.

Davon bleiben Schwabach und die Orte ringsum verschont. Nicht zuletzt dank mutiger Bürger, die sich den Durchhaltebefehlen widersetzen, und zweier amerikanischer Kriegsgefangener, die zu Rettern Schwabachs werden.

Eine Chronologie der Ereignisse, zusammengestellt aus Zeitzeugenberichten und der Forschungsarbeit des Schwabacher Stadtarchivars Wolfgang Dippert:

Mittwoch, 11. April

Um 18.22 Uhr erfolgt ein Tieffliegerangriff auf den Bahnhof Schwabach sowie etwa auf die Ziegelei Thäter. Es gibt einen Schwer- und drei Leichtverletzte.

Freitag, 13. April

Schwabach: Die letzten Stadtratssitzung im NS-Regime. Erster Bürgermeister Wilhelm Engelhardt, gleichzeitig Kreisleiter der NSDAP, wird für Zwecke der Partei von seinem Amt als Bürgermeister beurlaubt. Außerdem soll die städtische Registratur durchgesehen werden, um möglichst allen belastenden Schriftverkehr zu verbrennen.

Montag, 16. April

In den Tagen zuvor gab es in der Umgebung Artilleriebeschuss, nun aber wird Büchenbach kampflos übergeben. „Die Besetzung ging völlig friedlich und ohne Zwischenfälle vonstatten“, schreibt Fritz Gundel in seinen Erinnerungen. Er wird von den Amerikanern als Bürgermeister eingesetzt und von den Büchenbachern mehrfach wiedergewählt, so dass er bis 1978 Gemeindeoberhaupt bleibt.

Dienstag, 17. April

Bei einem weiteren Tieffliegerangriff wird in Schwabach eine Bombe zwischen Rathaus und Schönem Brunnen abgeworfen. Der Kunstgärtner Albert Wörlein wird schwer verletzt und stirbt zwei Tage später.

In der Kaserne befinden sich noch immer Soldaten. In der näheren Umgebung stehen verschiedene Flak-Stellungen, etwa in Nasbach und bei Kammerstein. Neben der Hoffnung auf das Kriegsende steht die Angst vor letzten Kämpfen und der Zerstörung Schwabachs.

Um den Rückzug der aus 5000 Mann bestehenden Kampfgruppe Dirnagel von Zirndorf Richtung Süden zu decken, soll die Linie Rednitzhembach – Schaftnach gehalten werden. Es ist wahrscheinlich, dass auch der Schwabacher Kampfkommandant Major Stang von der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens überzeugt war. Aber schon allein aufgrund der Tatsache, dass immer wieder kleinere SS-Einheiten in Schwabach auftauchen, kann er sich dieses Befehls ohne Gefahr nicht entziehen. So geht eines der vier Volkssturm-Bataillone in dem an der Rednitz gelegenen Wald bei Penzendorf in Stellung. Gegen Mittag werden von den Amerikanern einige MG-Garben aus Richtung Penzendorf auf den Wald abgefeuert. Am Nachmittag folgt der Rückzug.

In Abenberg haben Einheiten von SS und Heer Stellung bezogen. Tiefflieger greifen an. Zwölf Häuser und Scheunen gehen in Flammen auf.

In Rednitzhembach und Plöckendorf fahren US-Einheiten ungehindert ein. Ortsgruppenleiter Sperl hat ihnen — so ein Bericht der Rednitzhembacherin Sibylla Hauser — versichert, dass Sprengladungen an Brücken nicht gezündet werden. Zum Beweis fährt Sperl den Panzern mit dem Fahrrad voraus. Zuvor gibt es bei letzten Schusswechseln sogar noch Tote.

In Wendelstein dagegen endet der Krieg ohne weitere Opfer. Um 12.15 Uhr marschiert Infanterie über die Nürnberger Straße ein. Georg Löhlein geht ihnen mit weißer Fahne entgegen. Die Amerikaner setzten ihn später als Bürgermeister ein. Er bleibt bis 1953 im Amt.

In der Nähe von Leerstetten liegt die kampfbereite SS-Einheit „Götz von Berlichingen“. Zum Glück aber werden Leerstetten und Schwand kampflos übergeben.

Mittwoch, 18. April

Die allgemeine Ordnung löst sich auf. In der Walpersdorfer Straße plündern Schwabacher ein Silo mit Verpflegung der Wehrmacht. Die Posten können die Menschen nicht stoppen. Ein 16-Jähriger verunglückt im Silo tödlich.

Donnerstag, 19. April

Der Tag, an dem der Krieg in Schwabach zu Ende geht — ohne Blutvergießen. Ein wichtiger Grund: Die Wehrmacht ist in der Nacht überraschend aus der Kaserne abgezogen. Außerdem verlässt NSDAP-Kreisleiter und Bürgermeister Wilhelm Engelhardt Schwabach. Noch am Tag zuvor hat er in drastischen Worten zum äußersten Widerstand aufgerufen.

„Engelhardts wenig rühmlicher Abgang ermöglichte es aber besonneneren Menschen, die Übergabe vorzubereiten“, schreibt Wolfgang Dippert. „Mit entsprechender Vorsicht agierten daher die lokalen Entscheidungsträger in Schwabach, wie der Landrat Dr. Joseph Schreiber, sein Stellvertreter Franz Schiedermaier und wohl auch der 2. Bürgermeister und stellvertretende Ortsgruppenleiter Fritz Moezer.“

Das Dilemma: Handlungen, die auf eine kampflose Übergabe abzielen, sollen mit einem Befehl „von oben“ gerechtfertigt werden. „Kaum jemand hatte aber den Mut, einen solchen Befehl zu erteilen oder zu erbitten. Auch konnten manche Maßnahmen, wie das Beseitigen von Panzersperren nicht von Einzelnen durchgeführt werden. Man musste also weitere Personen ins Vertrauen ziehen“, so Dippert. „Wem aber konnte man trauen?“

Wer die kampflosen Übergabe vorbereitet, riskiert sein Leben, solange sich noch Wehrmachts- oder gar SS-Einheiten in der Stadt aufhalten. „Erst als er sicher ist, dass keine Gefahr mehr droht, kümmert sich Landrat Dr. Schreiber um die Beseitigung von Panzersperren, mit der die Bevölkerung allerdings teilweise schon selbst begonnen hat“, so Wolfgang Dippert.

Der Schwabacher Herbert Justus Schmauser hat in seinen Erinnerungen festgehalten, dass ihm der Ortsgruppenleiter und stellvertretende Bürgermeister Moezer zu verstehen gegeben habe, er werde nicht mit der Polizei dagegen einschreiten, wenn die Einwohner die Sperren wegräumten. Um schneller voranzukommen, werden von den Schwabacher Industriellen auch die bei ihnen beschäftigen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen eingesetzt.

Schmauser berichtet auch von einem Anruf, den Fritz Dann, Mitinhaber der Firmen Bergner erhalten hatte. Seiner Schilderung nach sei Dann telefonisch von einer Deutsch sprechenden Frau aufgefordert worden, die Panzersperren wegzuräumen, denn er besäße die größte Fabrik und das größte Haus in der Stadt. Beides würde bei einem Angriff zuerst bombardiert. Auch seinem Angestellten Gerhard Harzbecker, später Stadtkämmerer, hat Fritz Dann von einem entsprechenden Anruf der amerikanischen Armee erzählt“, schreibt Dippert.

Schwabach ist also bereit zur kampflosen Übergabe, doch das ist bei den amerikanischen Truppen nicht bekannt. Der Dachdeckermeister Georg Maier hisst weiße Fahnen schon gegen sieben Uhr auf dem Kirchturm der Stadtkirche.

In diesem Moment werden zwei amerikanische Kriegsgefangene aktiv: Major James Daniel Hannon und Oberstleutnant Caroll McElroy. Sie halten die Fahnen für zu klein, um von „ihren“ Truppen schon von weitem erkannt zu werden. Deshalb wenden sie sich an Bürgermeister Moezer und schlagen ihm vor, den in Angriffsposition stehenden Truppen entgegenzufahren. Sie wollen sie davon zu überzeugen, dass Schwabach übergabebereit sei. Constanze Link, eine mit einem Schwabacher verheiratete Engländerin, leistet Übersetzerdienste.

Mit Billigung Moezers fahren die beiden US-Offiziere den Amerikanern mit einem Rotkreuzauto entgegen. Fahrer ist der Wäschereibesitzer Willy Buckel. Mit der Führung der Verhandlungen betraut Moezer, der selbst in Schwabach bleibt, den Elektromeister Hermann König, ebenfalls ein NSDAP-Mann. „Auf dem Weg nach Rednitzhembach muss den Unterhändlern noch einmal die Gefährlichkeit ihres Tuns bewusst geworden sein, denn nach Angaben des Sohnes von Hermann König sind tote deutsche Soldaten im Straßengraben gelegen, die wahrscheinlich erschossen worden waren, weil sie desertieren wollten“, berichtet Wolfgang Dippert.

Doch die Schwabacher Delegation erreicht ihr Ziel: Die Amerikaner verzichten auf einen Angriff, Schwabach wird verschont.

Auch in Kammerstein atmet man auf, als SS-Männer das Dorf verlassen. So wird auch Kammerstein kampflos übergeben. Der heutige Bürgermeister Walter Schnell berichtet in einem Rückblick vom mutigen Einsatz des Kammersteiners Georg Knürr. Während die Schwabacher Delegation den Amerikanern nach Rednitzhembach entgegenfährt, berichtet Knürr den von Kammerstein kommenden US-Soldaten von der in Schwabach gehissten weißen Fahne und fährt sogar als eine Art Schutzschild auf dem ersten Panzer mit in Richtung Schwabach. Später wird er von den Amerikanern als 2. Bürgermeister Kammersteins eingesetzt.

Freitag, 20. April

Ein symbolträchtiger Tag: An Hitlers 56. Geburtstag ziehen die Amerikaner in Nürnberg, der „Stadt der Reichsparteitage“, ein und feiern am Hauptmarkt mit einer Siegesfeier.

In Roth übergibt Bürgermeister Dr. Robert Groß die Stadt. Zwei Tage später nimmt er sich mit seiner Frau das Leben.

Samstag, 21. April

Die Amerikaner übernehmen auch Wassermungenau und Dürrenmungenau. Hier allerdings fallen Schüsse. In Dürrenmungenau sterben vier deutsche Soldaten.

Sonntag, 22. April

Die letzten deutschen Soldaten räumen Abenberg. Dann kommt ein „langer Zug amerikanischer Panzer“ in die Stadt, so heißt es in den Erinnerungen des damaligen Stadtpfarrers Johann Baptist Sperber

In Schwabach setzen die Amerikaner die Militärregierung ein. Die ernennt am 27. April Eugen Tanhauser zum Landrat des Landkreises Schwabach und am 29. April Hans Hocheder zum Bürgermeister der Stadt Schwabach.

Beide werden die Nachkriegsgeschichte im Raum Schwabach maßgeblich prägen und von den Bürgerinnen und Bürgern in den folgenden Wahlen mehrfach wiedergewählt.

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