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Tiergarten, Alhambra, Leuchtturm: Das sind "Verschwundene Orte Nürnbergs"

Ngoc Nguyen

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20.10.2022, 11:03 Uhr
Nürnberg ist bis zum Stadtrand gefüllt mit Historie. 35 dieser ganz besonderen Orte sind Hartmut Voigt und Maria Inoue-Krätzler auf den Grund gegangen im Buch "Nürnbergs verschwundene Orte - überraschende Geschichten aus der Stadt an der Pegnitz" . Unser Bild zeigt links die "Alhambra" an der Rosenau, rechts der Leuchtturm am Dutzendteich.

© nb Nürnberg ist bis zum Stadtrand gefüllt mit Historie. 35 dieser ganz besonderen Orte sind Hartmut Voigt und Maria Inoue-Krätzler auf den Grund gegangen im Buch "Nürnbergs verschwundene Orte - überraschende Geschichten aus der Stadt an der Pegnitz" . Unser Bild zeigt links die "Alhambra" an der Rosenau, rechts der Leuchtturm am Dutzendteich.

Man muss nicht seit vielen Generationen in Nürnberg leben, man muss nicht einmal hier aufgewachsen sein, um diese Stadt ins Herz zu schließen. Der Grund ist der: Nürnberg ist klein genug und groß genug. Klein genug für eine dörfliche Anmutung in manchen Ecken. Groß genug für ein urbanes Lebensgefühl. Über allem schwebt Nürnbergs einzigartige Geschichte, die Traumata Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, die Erzählung von Aufbau, Verfall, Abriss, Neubau.

Der Leuchtturm – hier ein Foto von 1910 – diente keinem Schiff zur Orientierung. Er war vielmehr Aussichtspunkt, Schmuckstück und Wahrzeichen des Dutzendteichs. Auch ihn gibt es nicht mehr.

Der Leuchtturm – hier ein Foto von 1910 – diente keinem Schiff zur Orientierung. Er war vielmehr Aussichtspunkt, Schmuckstück und Wahrzeichen des Dutzendteichs. Auch ihn gibt es nicht mehr. © e-arc-tmp-20190118_130537-1.jpg, NNZ

Dies geschieht in einer derartigen Windeseile, dass einem ganz schwindlig wird. War dieser Bauzaun gestern schon da? Hier konnte man doch mal durchlaufen, wann wurde denn dieses Haus da hingebaut? War da nicht mal was, genau hier? Nürnberg ist bis zum Stadtrand gefüllt mit Historie. 35 dieser ganz besonderen Orte sind Hartmut Voigt und Maria Inoue-Krätzler auf den Grund gegangen. In ihrem gemeinsamen Buch "Nürnbergs verschwundene Orte - überraschende Geschichten aus der Stadt an der Pegnitz" geht es um das, was war. Das, was kam. Und vor allem darum: Wie es so kam.

Da ist zum Beispiel der Tiergarten. Gelegen am Schmausenbuck bewirbt er sich als Landschaftszoo. Wer kleine Kinder hat und diese schon einmal schwitzend im Bollerwagen die Hügelchen rauf und runter gezogen hat, weiß, dass das nicht übertrieben ist. Im Buch erfährt man, dass auch der Tiergarten ab 1914 unter dem Kriegsausbruch litt. Viele Zootiere verhungerten. "Manche Zoos mussten in dieser harten Zeit ihre Tore endgültig schließen – unter ihnen auch Hellabrunn in München. Der Nürnberger Tiergarten schaffte es trotz der schwierigen Lage, dort Tiere günstig zu erwerben und die eigenen dezimierten Bestände zu ergänzen", schreibt Hartmut Voigt. Oha: Die Nämbercher haben den Bayern die Tiere abgenommen? Das hebt das latente Minderwertigkeitsgefühl der Franken.

"Völkerschau" mit Kobras

Übrigens gab es im Tiergarten auch "Völkerschauen" zu bestaunen: "Im Spätsommer 1924 zeigten rund 30 Singhalesen ihre Fertigkeiten in einem nachgebauten Dorf. Ceylonesische Messingschmiede bearbeiteten Metall, Töpfer und Weber stellten Schalen und Wandteppiche her. Tänzerinnen und Tänzer beeindruckten die Zuschauer. Drei Elefanten, etliche Zwergzebus sowie 60 Brillenschlangen und Pythons ergänzten die Truppe." Damals nichts Ungewöhnliches, es gab auch eine "Abessinienschau" und eine "Lappenschau". Geschehen ist das alles dort, wo heute der Volksfestplatz ist. Dort war die ursprüngliche Heimat des Tiergartens. Weil die Nationalsozialisten das Areal am Dutzendteich für ihre Reichsparteitage wollten, musste er umziehen. Deswegen ist auch der Tiergarten ein verschwundener Ort, obwohl es ihn noch gibt.

Gänzlich untergegangen, bis zum letzten Backstein, ist dagegen die Alhambra: ein Fantasiebau im "maurischen Style", wie Maria Inoue-Krätzler schreibt. Erbaut zwischen 1839 und 1840 stach dieser märchenhafte Bau "mit seiner Exotik im vom Mittelalter geprägten Nürnberg hervor" - seinerzeit ein Muss für jeden Touristen. Der Nadelfabrikant, Mühlenbesitzer und türkische Honorarkonsul Johann David Wiß hatte das Bauwerk für seine Frau Rosina errichten lassen, auf dass sie damit ihre Freude habe. "Gewohnt hat die Familie Wiß allerdings in einem Haus in der Altstadt und nutzte die Alhambra nur in den Sommermonaten."

Nur mit Eintrittsgeld

Die Alhambra stand an der Fürther Straße 2, am Rande des Plärrers. Der dortige Rosenaupark war schon immer ein Park und hieß auch schon immer so, damals aber gehörte er der Familie Wiß und sah ganz anders aus. Gegen ein Eintrittsgeld konnte das gehobene Bürgertum darin lustwandeln und mit einem Boot über den Weiher rudern. Diese Herrschaftlichkeit hatte ein Ende, als Johann David Wiß 1867 starb. "1888 wurde das weltentrückte Gebäude wieder abgerissen, angeblich wegen Baumängeln." Dort, wo die Alhambra stand, sind nun Häuser und Wohnungen. Der Rosenaupark gehört der Stadt und ist öffentlich.

Seinerzeit ein Muss für jeden Nürnberg-Touristen: ein Blick auf die Alhambra am Rosenaupark. 

Seinerzeit ein Muss für jeden Nürnberg-Touristen: ein Blick auf die Alhambra am Rosenaupark.  © e-arc-tmp-20181228_135342-4.jpg, NNZ

Solche Vergänglichkeit findet sich in Nürnberg zuhauf: Da ist der verschwundene Leuchtturm, da ist die Karolinenstraße, die bei ihrem Aufstieg zu einer der beliebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands viele Wandlungen durchmachte. Da ist das Hans-Sachs-Haus mit seiner untergegangenen Skurrilität, da ist der Ort vor den Stadtmauern, wo der Nürnberger Galgen stand. Inoue-Krätzer und Voigt, beide Journalisten und studierte (Kunst-) Historiker, trafen sich für das Buch mit Zeitzeugen und Experten. So entstand ein Buch, mit dessen Hilfe der Leser die verschwundenen Orte gleichsam wieder betreten kann.


Das Buch „Verschwundene Orte Nürnbergs“ ist seit Oktober für 19,90 Euro im Buchhandel sowie im Onlineshop des Verlags Nürnberger Presse erhältlich. ISBN: 978-3-946581-86-4. Bestellungen im Zeitungsshop unter Telefon 0911 2 16 27 77.

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