Baukultur in Nürnberg-Rennweg

Sternförmiger Gruß von der Jahrhundertwende: Der Fenitzerplatz

23.11.2021, 10:55 Uhr
Eine Stadtteilmitte ganz nach Geschmack der Belle Époque: Der Fenitzerplatz gegen Norden mit den Häusern Fenitzerstraße 27, Fenitzerplatz 2 und 4 (von links), aufgenommen zwischen 1905 und 1907.  

© Heinrich Nüßlein, Sammlung Sebastian Gulden Eine Stadtteilmitte ganz nach Geschmack der Belle Époque: Der Fenitzerplatz gegen Norden mit den Häusern Fenitzerstraße 27, Fenitzerplatz 2 und 4 (von links), aufgenommen zwischen 1905 und 1907.  

Als der Rennweg 1865 von der Nachbarstadt Nürnberg geschluckt wurde, sah der Ort aus wie so viele Vorortgemeinden zur Zeit der Hochindustrialisierung: An den geschotterten Straßen und Wegen standen uralte Bauernhöfe und Gartenanwesen neben jungen Fabriken und kleinen Mietshäusern, wechselten dichter bebaute Häuserblöcke, Äcker und Nutzgärten einander ab. Ein wirkliches Zentrum aber suchte man vergebens.

Benannt nach einem Messerschmied

Das änderte sich ironischerweise ausgerechnet mit der Nachverdichtung, die aus dem beschaulichen Dorf bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein eng bebautes Großstadtquartier machte: Denn ziemlich genau im geografischen Mittelpunkt des früheren Gemeindegebietes legten die Stadtplaner im Jahre 1900 einen Platz an, der wegen seiner Sternform – es münden insgesamt sechs Straßenzüge in ihn ein – die Zentrumsfunktion geradezu prototypisch versinnbildlicht.

Zu seinem Namenspaten erkor man den Messerschmied Johann Fenitzer (1565–1629) aus, der sein Vermögen für die soziale Absicherung seiner Berufsgenossen und seine kostbare Büchersammlung einsetzte, die er noch vor seinem Ableben der Pfarrei St. Lorenz vermachte.

Von Fachwerk bis topmodernes Mietshaus

Als Fotograf Heinrich Nüßlein zwischen 1905 und 1907 unser historisches Foto des Fenitzerplatzes schoss, waren seine Platzwände bereits weitgehend geschlossen. Die drei fünfgeschossigen Mietshäuser Fenitzerstraße 27 (erbaut 1900) und Fenitzerplatz 2 und 4 (von 1903 beziehungsweise 1905, von links) zeigen sich ganz lokalpatriotisch im Nürnberger Stil, der Formen der Spätgotik und Frührenaissance vermischt.

Mit ein paar Abstrichen ist das historische Ensemble – hier mit etwas mehr Weitwinkel – noch heute im Wesentlichen vorhanden. Ein Spielplatz und weitere Bäume haben den Fenitzerplatz seit 1989 zu einem modernen Stadtteilzentrum gemacht.  

Mit ein paar Abstrichen ist das historische Ensemble – hier mit etwas mehr Weitwinkel – noch heute im Wesentlichen vorhanden. Ein Spielplatz und weitere Bäume haben den Fenitzerplatz seit 1989 zu einem modernen Stadtteilzentrum gemacht.   © Boris Leuthold

Reich gegliederte Erker und Schweifgiebel, Giebel- und Turmgauben und eine große Welsche Haube mit Laterne beleben die Neubauten und das Platzbild. In der Fenitzer- und der Adamstraße (von links) setzt sich der Reigen der Mietshäuser in bunter Stilvielfalt, jedoch mit etwas beruhigteren Fassaden und Dachlandschaften, fort. Neben der kleinen Parkfläche mit Litfaßsäule in der Platzmitte sorgten die Brotfabrik Köhnlein und die beiden Gastwirtschaften "Zum römischen Kaiser" und "Zum Fenitzerplatz" für reges Treiben auf und an der neuen Mitte.


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Keines der hochgeschossenen Wohnhäuser war zum Zeitpunkt der Aufnahme älter als zehn Jahre. Und doch: An der Fenitzerstraße hatte sich damals, weitgehend verdeckt durch die jungen Alleebäume und die Neubauten, ein Fachwerkhaus aus reichsstädtischer Zeit erhalten. Doch auch dieses Relikt des alten Rennwegs musste 1907/1908 für ein modernes Mietshaus des im Stadtteil äußerst vielbeschäftigten Baumeisters Konrad Merkl weichen.

Diese gemalte Vogelschau (rechts) vermittelt ein realistisches Bild des Victoria-Werksgeländes um 1905. Links verläuft die Fenitzerstraße. Nur die Altstadt ist freilich nicht da, wo unser Industriemaler sie aus Image-Gründen platziert hat.  

Diese gemalte Vogelschau (rechts) vermittelt ein realistisches Bild des Victoria-Werksgeländes um 1905. Links verläuft die Fenitzerstraße. Nur die Altstadt ist freilich nicht da, wo unser Industriemaler sie aus Image-Gründen platziert hat.   © Grafik unbekannt, Sammlung Sebastian Gulden

Was unsere historische Bildquelle im wahrsten Sinne des Wortes ausblendet: Nicht alle Ränder des Fenitzerplatzes waren weiland so harmonisch geschlossen. Gleich rechts neben dem Gebäude mit der vorwitzigen Kuppelhaube rauchten die Fabrikhallen und Schlote der Victoria-Werke, die dort seit 1890 Fahrräder, später auch Motorräder produzierten.

Der Kindergarten und ein verpatzter Neubau

Den großen Wandel brachte ein Konversionsprojekt Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre: Da wich die längst aufgelassene Velozipedfabrik einer Wohnanlage, und 1987 setzte die Stadt mit dem exzentrischen Pavillonbau eines Kindergartens einen neuen – und, wie sich bei der letzten Sanierung herausstellte, leider sehr pflegeintensiven – architektonischen Akzent auf dem Platz selbst. Den überbordenden Autoverkehr hatte man da schon weitgehend verbannt, doch es brauchte den unermüdlichen Einsatz der Anwohnerinitiative Fenitzerplatz, bis aus der verkehrsberuhigen Ödnis wieder ein Stadtteiltreff mit Spielplatz, Bänken und schattigen Bäumen wurde.

Es grenzt an ein Wunder, dass wir Heutigen uns noch des Anblicks der historistischen Mietspaläste erfreuen können, wenn auch mit kleinen Abstrichen: Denn während er Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges wurden besonders die Straßenzüge im Süden und Westen des Fenitzerplatzes schwer getroffen.

An Stelle der vernichteten Häuser Fenitzerplatz 1 sowie Adamstraße 27/29 und 32 traten Neubauten, die mit ihren Putzgliederungen, Blumenfenstern, überstehenden Walmdächern und Sgraffiti (Kratzputzbildern) das Ensemble um durchaus gelungene Zeugnisse der Nachkriegsarchitektur bereichern. Und auch die erhaltenen Mietshäuser an den Fransen des Platzes lassen erkennen, dass ihre Eigentümer den Charme des gewachsenen Viertels zu schätzen wissen.

Zu den Nachkriegsbauten am Fenitzerplatz gehört das Eckhaus Adamstraße 32, das um 1955 an Stelle eines kriegszerstörten Vorgängers trat. Der fröhliche Anstrich ist Ergebnis einer Renovierung 2019.  

Zu den Nachkriegsbauten am Fenitzerplatz gehört das Eckhaus Adamstraße 32, das um 1955 an Stelle eines kriegszerstörten Vorgängers trat. Der fröhliche Anstrich ist Ergebnis einer Renovierung 2019.   © Boris Leuthold

Allein der völlig unnötige Abbruch des soliden und erhaltenswerten Hauses Werderstraße 25 (erbaut 1897–1898) und der gründlich misslungene, natürlich viel größere Neubau mit Eigentumswohnungen, in dessen Fassade man alibimäßig und einigermaßen sinnfrei Fragmente des alten Fassadenschmucks integriert hat, schmälern das angenehme Flair des alten und neuen Stadtteilzentrums.

Wie sehr die Einwohner des Rennwegs und ihre Nachbarn "ihren" Fenitzerplatz ins Herz geschlossen haben, beweist das Fenitzerplatzfest. Seit 1989 treffen sich dort Jung und Alt, Alteingesessene und Zugezogene zu einer großen Sause mit Musik, Aktivitäten und gutem Essen, um diesen besonderen Platz, diese neue Mitte ihres Stadtteils zu feiern. Wollen wir hoffen, dass die Fete bald wieder steigen kann. Denn welchen schöneren Grund zum Feiern könnte es geben als ein Zuhause, in dem man sich wirklich daheim fühlt?

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