Eine Spur führt zu Vertrautem der Terroristen

Stadtkarten entdeckt: Plante der NSU weitere Anschläge in Nürnberg?

29.11.2021, 05:58 Uhr
Im Brandschutt des Zwickauer Wohnhauses der NSu-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe entdeckten die Ermittler verkohlte Stadtpläne von Nürnberg.

© BKA, NNZ Im Brandschutt des Zwickauer Wohnhauses der NSu-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe entdeckten die Ermittler verkohlte Stadtpläne von Nürnberg.

Als am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem missglückten Banküberfall in einem Wohnmobil in Eisenach Selbstmord begangen hatten, rief Beate Zschäpe in ihrem Versteck in Zwickau einen Vertrauten an. Eine Minute und 27 Sekunden telefonierte sie mit André Eminger, ehe der sich auf den Weg machte und Zschäpe abholte.

Er brachte ihr frische Kleidung seiner Frau, da Zschäpe die ihre mit Benzin verunreinigt hatte, als sie ihre Wohnung in Brand steckte. Eminger fuhr sie zum Bahnhof, von dem Zschäpe eine Irrfahrt durch Deutschland antrat, ehe sie sich Tage später der Polizei stellte.

Auf dem Computer von André Eminger fand das Bundeskriminalamt ebenfalls Kartenausschnitte von Nürnberg, auf die man sich keinen Reim machen konnte.  

Auf dem Computer von André Eminger fand das Bundeskriminalamt ebenfalls Kartenausschnitte von Nürnberg, auf die man sich keinen Reim machen konnte.   © Peter Kneffel, dpa

Drei Wochen danach, am 24. November 2011, stürmten um 6.28 Uhr mehr als 20 GSG-9 Beamte einen heruntergekommenen Hof in Brandenburg und verhafteten André Eminger. Er hatte dort bei seinem Zwillingsbruder Untergeschlupft gefunden. Mit einem Hubschrauber flogen sie ihn direkt zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe.

Niemand hat offenbar dem abgetauchten NSU-Kerntrio nähergestanden als der gelernte Maurer Eminger aus dem Erzgebirge. Er hatte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe regelmäßig in ihrem Versteck in Zwickau besucht. Er sei "Anker" für das Trio gewesen, der "Stein in der Brandung", befand Bundesanwalt Herbert Diemer später in seinem Plädoyer im NSU-Prozess über ihn.

Das abscheuliche Paulchen-Panther-Video gilt als der Bekenner-Film des NSU. Er führt den Zuschauer von einem Mord zum anderen.

Das abscheuliche Paulchen-Panther-Video gilt als der Bekenner-Film des NSU. Er führt den Zuschauer von einem Mord zum anderen. © Repro: Pressearchiv VNP

André Eminger ist, so formulierte es sein Anwalt im Münchner Prozess, "ein Nationalsozialist mit Haut und Haaren". Man darf es wörtlich nehmen. Der heute 42-Jährige hat sich seine antidemokratische, volksverhetzende, rassistische Gesinnung unauslöschlich in die Haut stechen lassen. Ein Sachverständiger des Bundeskriminalamtes identifizierte die tätowierten Runen um seinen Bauchnabel als den Leitspruch der Nationalsozialisten "Du bist nichts, Dein Volk ist alles."

Quer darüber steht in dicken Großbuchstaben "Die Jew Die" (Stirb Jude Stirb), gefolgt von einem Symbol der Totenkopfverbände der SS, die für die Bewachung der Konzentrationslager in der NS-Zeit zuständig waren.

Auch zwei Achten sind zu sehen, der Szene-Code für "Heil Hitler", nach den achten Buchstaben des Alphabets. Das Konterfei des SA-Sturmführers Horst Wessel prangt auf seiner Brust, überhaupt ist der ganze Körper bis hoch zum Kopf mit Nazi-Symbolen und abstoßenden Bildern vollgemalt, darunter auch das Logo der gewalttätigen Truppe von "Combat 18", die Bezeichnung steht für "Kampftruppe Adolf Hitler".

Eminger soll mehrfach Wohnmobile angemietet haben, die Böhnhardt und Mundlos bei Raubüberfällen und einem Sprengstoffanschlag benutzt haben. Er beschaffte Böhnhardt und Zschäpe Bahncards, ausgestellt auf seinen Namen und den Namen seiner Frau, mit denen sich die untergetauchten Rechtsterroristen zumindest eine Zeitlang "behelfsmäßig ausweisen" konnten, wie der Generalbundesanwalt in seiner Anklage festhielt.

Auffällig auf dem gefundenen Kartenmarterial aus dem Zwickauer Wohnhaus sind die Abschnitte der Autobahnen. Schnelle Fluchtwege?

Auffällig auf dem gefundenen Kartenmarterial aus dem Zwickauer Wohnhaus sind die Abschnitte der Autobahnen. Schnelle Fluchtwege? © BKA, NNZ

Als bei polizeilichen Kontrollen in Zwickau die drei Terroristen um ein Haar entdeckt worden wären, lieh Eminger Beate Zschäpe den Personalausweis seiner Frau, gab sich als ihr Mann aus und sicherte so ihre Tarnung.

Auf seinem Computer fanden die Ermittler später genau die gleichen Bilddateien, wie sie auch im "Paulchen-Panther-Film" des NSU zu sehen sind: Das abscheuliche Video, in dem die Zeichentrickfigur Paulchen Panther den Betrachter von einem Mord des NSU zum anderen führt, gilt als die Bekenner-DVD der Rechtsterroristen.

Während des NSU-Prozesses in München trug André Eminger eine Hüfttasche mit der mehrfachen Aufschrift "No Fight - No Glory" und einem Metall-Logo in Form eines Schlagrings mit der Überschrift "Spaß kostet".

Während des NSU-Prozesses in München trug André Eminger eine Hüfttasche mit der mehrfachen Aufschrift "No Fight - No Glory" und einem Metall-Logo in Form eines Schlagrings mit der Überschrift "Spaß kostet". © Peter Kneffel, dpa

Beate Zschäpe hatte vorbereitete Kuverts mit dem Video vor ihrer Flucht per Post an Redaktionen und Organisationen in ganz Deutschland verschickt. Einer dieser Umschläge wurde auch bei den Nürnberger Nachrichten in einen Briefkasten geworfen, adressiert an einen Redakteur. Die Sendung war persönlich abgegeben worden, von wem ist bis heute unbekannt.

Eminger, der auch als Mediendigitalisierer, Berufskraftfahrer und Monteur von Solaranlagen gearbeitet hat, galt den Ermittlern als Hersteller der fürchterlichen Paulchen-Panther-Sequenzen, die von Mai 2006 bis Januar 2008 produziert worden sein sollen. Nachweisen konnte man ihm dies bis heute jedoch nicht.

Die Grafik macht deutlich: Der NSU verübte in Nürnberg die meisten Taten.

Die Grafik macht deutlich: Der NSU verübte in Nürnberg die meisten Taten. © AFP

Eminger soll, so sagte es Bundesanwalt Jochen Weingarten in seinem Plädoyer, das vierte Mitglied der Terrorzelle gewesen sein. Im Film tanzen vier Paulchen-Panther-Köpfe um das Logo des NSU.

Recherchen des gemeinsamen Rechercheteams der Nürnberger Nachrichten und des Bayerischen Rundfunks legen jetzt offen: Eminger hatte ähnliche Stadtpläne von Nürnberg auf seinem PC, wie sie auch im Brandschutt des Zwickauer Wohnhauses gefunden wurden. Einige dieser Karten enthalten Markierungen.

Das Bundeskriminalamt hält in einem Aktenvermerk vom 23. Dezember 2011, den das Rechercheteam ausgewertet hat, den Fund zweier Kartenausschnitte von Emingers externer Festplatte fest. "Keiner der Morde, welche in Nürnberg geschehen sind, befinden sich in den oben gezeigten Bereichen in Nürnberg. Warum sich lediglich diese beiden Ausschnitte auf der Festplatte befinden, kann nicht gesagt werden", notiert eine Kriminaloberkommissarin.

André Eminger ist am ganzen Körper tätowiert. Auf seiner Hand steht "Freiheit". 

André Eminger ist am ganzen Körper tätowiert. Auf seiner Hand steht "Freiheit".  © Peter Kneffel, dpa

Abgespeichert wurden sie Ende April 2001, ein halbes Jahr nach dem Mord am Blumenhändler Enver Simsek und kurz vor dem zweiten Mord am Schneider Abdurrahim Özüdogru in Nürnberg. Zu sehen sind Bereiche der Stadtteile Laufamholz/Hammer mit einer Markierung auf dem dortigen Kirchweihplatz sowie Teile von Erlenstegen und Mögeldorf.

Vor allem die Darstellung einer Straße im Mögeldorfer Bereich birgt Brisanz. Denn ein früherer führender Neonazi-Kader in Franken, den das NN-/BR-Rechercheteam ausfindig gemacht hat, berichtete, in der Marthastraße hätten Rechtsextremisten in den 1990er Jahren eine WG unterhalten. Auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hätten hier mehrfach übernachtet.

Macht aus seiner Gesinnung keinen Hehl: Während des NSU-Prozesses blätterte André Eminger in einem Blatt mit der Aufschrift "White Supremacy" ("Weiße Vorherrschaft").

Macht aus seiner Gesinnung keinen Hehl: Während des NSU-Prozesses blätterte André Eminger in einem Blatt mit der Aufschrift "White Supremacy" ("Weiße Vorherrschaft"). © Peter Kneffel, NN

Die Wohnung sei Anlaufstelle und Treffpunkt für die Szene gewesen. Tatsächlich hatten Anwohner in dieser Zeit immer wieder über den Auftrieb und die Bedrohungen von gewaltbereiten Neonazis geklagt, sodass der dortige Kulturladen Loni-Übler-Haus in der Marthastraße schließlich 1995 ein Notruf-Telefon für die besorgten Bürger einrichtete. Die Nürnberger Nachrichten berichteten damals darüber.

Die Polizei notierte damals auch Autokennzeichen aus Sachsen. Hatte Eminger sich hier aufgehalten, in der Stadt, in der der NSU später die meisten Morde verübte? Für Anfragen des Rechercheteams zu seinen Kontakten nach Franken war Eminger nicht erreichbar.

Doch es gibt Hinweise, dass er und seine Frau in Nürnberg gewesen sind. Im Sommer 1999 explodierte in einer damaligen Pilsbar in der Scheurlstraße hinterm Hauptbahnhof eine Stabtaschenlampe, die der junge türkische Wirt beim Reinigen in seiner Kneipe gefunden hatte.

Wie sich 14 Jahre später im NSU-Prozess herausstellte, ging diese Tat ebenfalls auf das Konto der Terrorzelle. Als das BKA daraufhin im Jahr 2013 dem Nürnberger Kneipenwirt 115 Fotos von Beschuldigten und Verdächtigen im NSU-Verfahren vorlegte, erkannte er sofort eine Frau wieder: Es war André Emingers Ehefrau, die wichtigste Freundin von Beate Zschäpe.

Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen seine Ehefrau bereits seit 2011 wegen "möglicher Beihilfe und Unterstützungshandlung hinsichtlich Taten und Organisation des NSU". Die Ermittlungen dauern an, teilte die Behörde dem Rechercheteam auf Anfrage mit.

Noch eine weitere Spur führt nach Mittelfranken: Ende 2007 beantragte André Eminger bei einer Bank am Rathenauplatz in Nürnberg einen sogenannten Konsumentenkredit. Das Geldhaus überwies am 4. Dezember rund 20.000 Euro auf sein dort neu eingerichtetes Konto. Die Summe sei nicht zweckgebunden, die Raten würden ordnungsgemäß zurückgezahlt, teilte die Bank dem BKA mit. Wofür der Betrag gedacht war, blieb offen.

Im Frühsommer legten der Vorsitzende der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, Stephan Doll (links), der Nürnberger Oberbürgermeister, Marcus König (CSU), und der Generalkonsul der Republik Türkei in Nürnberg, Serra Deniz an einer Gedenkstele in Nürnberg, die an das NSU-Opfer Abdurrahim Özüdogru erinnert, Blumen nieder. 

Im Frühsommer legten der Vorsitzende der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, Stephan Doll (links), der Nürnberger Oberbürgermeister, Marcus König (CSU), und der Generalkonsul der Republik Türkei in Nürnberg, Serra Deniz an einer Gedenkstele in Nürnberg, die an das NSU-Opfer Abdurrahim Özüdogru erinnert, Blumen nieder.  © Timm Schamberger, dpa

André Eminger hat im Prozess weitgehend geschwiegen. Dennoch registrierten die Bundesanwälte ein "Geständnis", durch eine "geständnisgleiche Wohnzimmergestaltung": Über dem Fernseher, unter Fotos seiner Kinder, hing ein Bild mit selbst gezeichneten Porträts von Mundlos und Böhnhardt, versehen mit dem altdeutschen Schriftzug "unvergessen" und einer nordischen Todesrune.

Die Bundesanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft für ihn wegen Beihilfe zum versuchten Mord, zu gefährlicher Körperverletzung, zum Raub und zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion gefordert. Das Münchner Oberlandesgericht verurteilte ihn 2018 jedoch nur zu zweieinhalb Jahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Weil die lange Dauer der Untersuchungshaft angerechnet wurde, verließ André Eminger unter dem stehenden Applaus der anwesenden Neonazis in den oberen Rängen und zum Entsetzen der Opferfamilien den Saal als freier Mann.

Draußen vor dem Münchner Gerichtsgebäude stieg er in den schwarzen Jeep von Susanne G. aus der Gemeinde Leinburg. Die rechtsradikale Heilpraktikerin hatte seit Jahren zu ihm Kontakt gehalten. Nun traf man sich zum Grillen auf ihrer Terrasse, später bei Emingers. Vor vier Monaten wurde Susanne G. zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie Anschläge auf Kommunalpolitiker und Migrantenvereine im Nürnberger Land geplant haben soll.

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