Bundesregierung plant Gedenkstätte

Rathaus-SPD will neues NSU-Dokuzentrum nach Nürnberg holen

15.12.2021, 14:17 Uhr
Am Tatort in der Nürnberger Scharrerstraße, in der im Juni 2005 Ismail Yasar in seiner Imbissbunde ermordet wurde, hängen Bilder des Opfers an einem Gitter. Bürger haben Blumen niedergelegt. Doch ein richtiger Gedenkort fehlt bislang. 

© Michael Matejka, NN Am Tatort in der Nürnberger Scharrerstraße, in der im Juni 2005 Ismail Yasar in seiner Imbissbunde ermordet wurde, hängen Bilder des Opfers an einem Gitter. Bürger haben Blumen niedergelegt. Doch ein richtiger Gedenkort fehlt bislang. 

Hat Nürnberg Chancen, ein von der neuen Ampelregierung geplantes "Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU" in seine Grenzen zu holen? Die Sozialdemokraten im Stadtrat signalisieren Interesse an der Einrichtung und fordern die Stadtspitze auf, rasch Gespräche mit Berlin aufzunehmen.

Für SPD-Fraktionschef Thorsten Brehm geht es darum, sich möglichst zeitig in die Diskussion einzuschalten. Man müsse sich der besonderen Verantwortung stellen und sich aktiv an der Erinnerungskultur beteiligen. "Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig", sagte Brehm. In Nürnberg geschahen in den 2000er Jahren gleich drei der insgesamt zehn Morde an türkischen und griechischen Migranten sowie an einer deutschen Polizistin. Ebenso verübten die Terroristen hier einen Bombenanschlag auf eine von einem türkischen Wirt geführte Pilsbar hinter dem Hauptbahnhof.

Brehm und Fraktionsvize Anja Prölß-Kammerer regen an, in einem neuen Dokuzentrum auch Aufklärungs- und Forschungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus zu betreiben. So könne sichergestellt werden, dass nicht nur an die Morde des NSU erinnert werde, sondern "auch langfristig und strukturell daran gearbeitet wird, dass sich derartige Verbrechen nicht wiederholen".

Der SPD-Fraktionschef kritisiert, dass der Freistaat Bayern in Sachen Forschung und Bildung zum Thema Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren "viel zu wenig getan" habe, auch in finanzieller Hinsicht. Nun sei Gelegenheit, zusammen mit der Landesregierung an einem Konzept für einen Erinnerungsort zu arbeiten.

Zwischen Nürnberg-Langwasser und Altenfurt hängt an einem Baum ein Foto des getöteten Blumenhändlers Enver Simsek. Die Stadt hat heuer den Platz, an dem er seine Sträuße verkauft hat, nach dem ersten NSU-Opfer benannt.

Zwischen Nürnberg-Langwasser und Altenfurt hängt an einem Baum ein Foto des getöteten Blumenhändlers Enver Simsek. Die Stadt hat heuer den Platz, an dem er seine Sträuße verkauft hat, nach dem ersten NSU-Opfer benannt. © Daniel Karmann, dpa

Oberbürgermeister Marcus König (CSU) hält ein Dokumentationszentrum, in der die Geschichte des NSU erforscht und dessen weitere Verbindungen nach Nürnberg aufgedeckt werden, ebenfalls für "sehr sinnvoll und notwendig", spricht aber von einer "nationalen und landesweiten Aufgabe", auch was die Finanzierung angeht. Nürnberg könne ein solches Projekt nie alleine in Angriff nehmen und finanzieren.

Die Stadt sei als Standort geeignet, betont König, denn Nürnberg habe sich sofort nach der Enttarnung der Täter um die Familien der Opfer gekümmert und eine Auseinandersetzung mit dem Thema und die Erinnerung an die Ermordeten eingeläutet.

Bedeckt hält sich König bei der Frage, ob ein neues NSU-Dokuzentrum an das bestehende Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände angedockt werden könnte. Bekanntlich soll die Kongresshalle, in der das Dokuzentrum integriert ist, auch für die Kunst- und Kulturszene und als Ausweichspielstätte während der Opernhaussanierung genutzt werden.

Erst müsse geklärt werden, ob Nürnberg überhaupt als Standort in Frage komme, dann gehe es um einen geeigneten Platz vor Ort, sagte der OB. Eine "enge Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft" sei dabei wichtig.

An der Gedenkstele am Kartäusertor in Nürnberg hat die damalige Familienministerin Franziska Giffey vor zwei Jahren Blumen niedergelegt.

An der Gedenkstele am Kartäusertor in Nürnberg hat die damalige Familienministerin Franziska Giffey vor zwei Jahren Blumen niedergelegt. © Roland Fengler, NN

Für SPD-Fraktionschef Brehm gibt es ohnehin mehrere Standort-Optionen, denkbar sei auch, so ein Zentrum in der Nähe eines Tatortes zu gestalten, sagt er. Zuerst müsse aber die Stadt an die neue Regierung herantreten. Dies dürfte gar nicht so einfach werden. Nach Auskunft von Nürnbergs SPD-Bundestagsabgeordneter Gabriela Heinrich ist noch nicht geklärt, in wessen Zuständigkeit die im Koalitionsvertrag genannten Bereiche wie "Zivilgesellschaft und Demokratie" und "Kampf gegen Extremismus" fallen, die das Thema "NSU-Gedenken" aufgreifen.

Noch vor Weihnachten werden die Zuschnitte der Fachausschüsse festgelegt, erst danach stehe fest, wer Ansprechpartner ist. Möglicherweise nimmt sich auch die neue, aus Bayern stammende, Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) des Sujets an. Sie besuchte gleich nach Amtsantritt die KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Dort wollte sie ein Zeichen für eine lebendige und starke Erinnerungskultur setzen.

Unterdessen drängt die Nürnberger SPD-Fraktion auf einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag, den SPD und Grüne einsetzen wollen. Die jüngsten Recherchen von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk über die vom NSU ausgespähten Adressen in der Region hätten neue Hinweise zutage gefördert, dass die Terrorzelle auf ein breites Netzwerk habe zurückgreifen können, sagt Thorsten Brehm. Hier sei dringend Aufklärung nötig.

​​​​​​​Der Nürnberger Stadtrat hat sich ebenfalls nahezu geschlossen für einen neuen Untersuchungsausschuss ausgesprochen. Und die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg fordert alle demokratischen Parteien auf, für ein solches Gremium einzutreten.

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