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Nürnbergs Partnerstadt Charkiw leidet weiter: "Gebäude sind zerstört, der Wille der Menschen nicht"

Matthias Oberth

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1.3.2023, 17:55 Uhr
Redakteurin Ella Schindler war im Podcast "Horch amol" zu Gast, um über die aktuelle Situation in der Ukraine zu sprechen.

© Grafik: Redaktionsservice Redakteurin Ella Schindler war im Podcast "Horch amol" zu Gast, um über die aktuelle Situation in der Ukraine zu sprechen.

In gewisser Hinsicht hat man sich an die Schreckensmeldungen aus der Ukraine schon etwas gewöhnt. Das weiß auch die in der Ukraine geborene Journalistin und VNP-Redakteurin Ella Schindler. Doch im Podcast "Horch amol" macht sie deutlich, wie wichtig auch heute noch die Unterstützung - vor allem der ukrainischen Bevölkerung vor Ort - ist.

"Wir dürfen nicht vergessen, dass Charkiw weiterhin fast jede Nacht angegriffen wird", verdeutlicht Ella Schindler die Lage am Beispiel der Nürnberger Partnerstadt. Bis heute wurden fast 5.000 Gebäude zerstört, davon sehr viele Wohnblocks, so dass der Wohnraum in der zweitgrößten Stadt der Ukraine Mangelware ist. Dazu kommen rund 100 Schulen, die bombardiert wurden und unbenutzbar sind.

Immenser psychischer Druck

Wer durch die Straßen der Stadt geht, dem fallen die Verletzten und Versehrten auf, die jetzt viel häufiger zu sehen sind, so die Beobachtung der Journalistin, die regelmäßig von ihren Freunden und Bekannten in Charkiw mit Videos und Augenzeugenberichten versorgt wird. Gleichzeitig sei der Wille, den russischen Bombardements die Stirn zu bieten, ungebrochen. "Ich blicke mit großem Erstaunen auf die Stadt", sagt Ella Schindler, denn "die Gebäude in der Stadt sind zerstört, die Menschen jedoch nicht."

Diese "neue Normalität", wie sie es nennt, dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, unter welchem psychischen Druck die Bevölkerung steht. Eine Frau aus Charkiw hat ihr erzählt, dass sie regelmäßig in der Nacht aufwacht, nicht mehr einschlafen kann und dann "auf den Krieg wartet". Die Angriffe der Russen erfolgen meist in den späten Nacht- oder frühen Morgenstunden und an ein Durchschlafen ist kaum zu denken.

Sich dem Terror zu beugen, ist für die Ukrainer keine Option, ist sich die Journalistin sicher. So hat Ella Schindler auf der Messe "BioFach" in Nürnberg eine junge Unternehmerin aus Charkiw getroffen, die in der Region Bio-Obst und Bio-Gemüse anbaut. "Die Entscheidung, mitten im Krieg weiterzumachen, hat das finanzielle Überleben von 150 Menschen gesichert", so Schindler, der solche Geschichten "Mut machen und den Willen der Bevölkerung zeigen, sich nicht unterkriegen zu lassen."

Wiederaufbau trotz weiterer Angriffe

Ella Schindler erinnert im Podcast auch an die "überwältigende Spendenbereitschaft" aus Nürnberg und der Region, die seit dem Beginn des Angriffskriegs dem Partnerschaftsverein Charkiw-Nürnberg entgegengebracht wurde. Mit der Unterstützung der Stadt Nürnberg sind inzwischen rund 2,5 Millionen Euro in Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen geflossen. Dabei geht es schon lange nicht mehr um Hilfslieferungen, sondern das Geld wird benutzt, um die Waren vor Ort einzukaufen und so gleichzeitig die ukrainische Wirtschaft zu stützen.

"Es gibt keinen Notstand an Nahrung", sagt Schindler, aber die Preise für Lebensmittel sind stark gestiegen. Dennoch sei es schon ein kleines Wunder, wie sich die Unternehmen auf die aktuelle Lage eingestellt haben und weiter produzieren. Geliefert werden zudem Generatoren, Fahrzeuge für den öffentlichen Nahverkehr oder beheizbare Zelte. "Wärme und Strom sind die zwei Dinge, die immer wieder fehlen", macht die Journalistin klar. Deshalb bittet der Verein weiterhin um Spenden, um etwa Material zur Wiederherstellung von Versorgungsleitungen und Trafostationen nach Charkiw zu liefern.

Keine Alternative zum Weiterkämpfen

Trotz solcher Lichtblicke, werde der Krieg und die blutigen Kämpfe noch lange andauern, ist sich die Journalistin sicher. Dem "Aufstand für Frieden", der federführend von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert wurde, kann sie wenig abgewinnen. "Die Friedenssehnsucht ist ein gemeinsamer Nenner, aber dann endet die Gemeinsamkeit schon", so Ella Schindler. "Wenn die Waffen schweigen, ist das noch lange kein Frieden." In Russland lautet die Botschaft nach wie vor: "Das Experiment Ukraine muss beendet und das Land wieder Russland einverleibt werden." Für die gebürtige Ukrainerin ist deshalb klar, das "Putin, uns nicht in Ruhe lassen wird".

In ihrem Heimatland, wünschen sich viele den Menschen ein Ende des Krieges, fragen sich aber im gleichen Moment: "Was haben wir denn für eine Alternative, als weiterzukämpfen, um tatsächlich irgendwann in Frieden leben zu können?" Ella Schindler freut sich deshalb über jeden, der das ukrainische Volk unterstützt. Sei es durch politische oder militärische Hilfe, eine Spende oder nur ein freundliches Wort an einen Geflüchteten.

Das Spendenkonto des Partnerschaftsvereins Charkiw-Nürnberg für die Unterstützung der Charkiwer Bevölkerung: IBAN DE12 7605 0101 0001 3500 58 bei der Sparkasse Nürnberg. Verwendungszweck: "Hilfsprojekte in Charkiw"

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