"Sanierung kostet keine Milliarde"
Nürnberger Opernhaus-Kommission: Ein "Ja, aber" zur Kongresshalle
22.10.2021, 21:29 UhrEr kenne kein anderes Theater, das seit 116 Jahren ohne eine Seitenbühne zurechtkommen müsse, hatte der Technikdirektor Peter Gormanns noch am Tag vor dem hoffnungsbringenden Termin beim Medienrundgang im Opernhaus beklagt. Ja, wie groß der Sanierungsstau am Richard-Wagner-Platz wirklich ist, lässt sich erzählen und bebildern. Doch eine Zahl kreist es genauso gut ein: 611 Seiten Papier füllen allein die Erläuterungen zum Nutzerbedarfsprogramm, mit dem das Staatstheater seine Wünsche an ein erneuertes Haus niedergeschrieben hat. Von Akustik bis Zuschauerraum.
Bekenntnis zum alten Haus
Am Freitagnachmittag hat sich die Aussicht auf die überfällige Generalsanierung ein gutes Stück konkretisiert. Die Opernhauskommission des Rathauses, mit dem Technikdirektor im Publikum, hat die Anforderungslisten als sparsam genug abgesegnet, sowohl für den Altbau als auch für eine Ausweichspielstätte. Ein zweifelsfreies Bekenntnis zum Standort Richard-Wagner-Platz also. Die Kommission trifft keine Entscheidungen, nur Empfehlungen. Mit ihren Vorentscheidungen stellt sie die Weichen für entsprechende Stadtratsbeschlüsse, laut Text "möglichst noch" im Dezember. Eine größtmögliche Beteiligung des Freistaats an den Kosten sei anzustreben.
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Nur ein Mitglied aus dem Gremium, das 15 Stadträte und 15 externe Experten umfasst, scherte dabei aus. Einzelstadtrat Ernesto Buholzer Sepúlveda hatte für die Politbande vorgeschlagen, das Opernhaus zugunsten eines Neubaus aufzugeben und entkernt für andere Zwecke zu nutzen. Die Idee ist vom Tisch, Buholzer enttäuscht: "Selbst wenn beide Varianten gleich teuer würden, brächte ein dauerhafter Neubau in der Kongresshalle mehr Nutzen für die Stadtgesellschaft." Die Sanierung sei "finanziell und kulturpolitisch die schlechtere, teurere, weniger visionäre Lösung", sagte er hinterher. "Aber unsere Bedenken wurden ernst genommen. Und wir sind Demokraten und werden uns an dem Prozess auch weiterhin konstruktiv beteiligen."
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Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU) kann sich den Wegzug nicht vorstellen. Für eine Nachnutzung würden wieder neue Kosten und bauliche Eingriffe in das sanierungsreife Haus fällig. Auch die Synergie mit dem Bühnenbetrieb des Schauspielhauses fehle dann, sagte Baureferent Daniel Ulrich (parteilos). Neubauten seien nicht zwingend billiger zu bekommen als Sanierungen.
Wegen der Angstfrage nach den Sanierungskosten hätten die Fraktionen zuletzt trotzdem viel über Alternativen debattiert, sagten die Vertreter von CSU, SPD und Grünen – ohne neue Erkenntnisse. Baureferent Ulrich sprach von "vielen falschen Zahlen", die im Umlauf seien. "Es kann sie zurzeit niemand berechnen. Aber wenn man die Quadratmeterzahl anlegt – eine Milliarde kostet es sicher nicht." Ulrich unterstrich das Ziel, mit der Modernisierung des Baudenkmals die Chance auf Stadtentwicklung im ganzen Areal zu nutzen. "Es ist ein wahrer Glücksfall, wenn man als städtebauliche Gesamtaufgabe sieht. Wir kalkulieren für 70 bis 100 Jahre. Dieser Ort wird nicht alles können, was das Herz begehrt, aber er kann unglaublich viel zum öffentlichen Leben beitragen."
"Theater muss sich mehr öffnen"
Vielleicht überfrachte man diese Vision aber auch, gab Max Müller (CSU) zu bedenken. "Das Gebäude wird jetzt mit sehr vielen Themen aufgeladen, es wird sie nicht alle lösen können. Der Fokus muss auf dem Opernbetrieb liegen." Ulrich Blaschke (SPD) und Natalie Keller (Grüne) sehen das Staatstheater in der Pflicht, sich zukünftig mehr für die divers gewordene Stadtgesellschaft zu öffnen, gerade weil es eben nicht auf der "grünen Wiese" stehe.
Die Kommission behandelte auch den Standort für eine Ausweichspielstätte für einen geschätzten Zeitraum von zehn Jahren ab 2025. 800 Zuschauerplätze soll diese haben, für einen um ein Viertel gekürzten Betrieb von Oper, Ballett und Philharmonie. Eine umfangreiche Machbarkeitsstudie des Nürnberger Büros 2-bs Architekten bescheinigt der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände eine gelingende Zukunft als solch ein Theaterquartier.
Die Kritiker anhören
Als "einmalige Chance für unsere Stadt" bezeichnete Oberbürgermeister Marcus König (CSU) die Aussicht auf die Bespielung der ohnehin erhaltungspflichtigen städtischen Riesenimmobilie. Gegenstimmen gab es keine, aber auch kein Plädoyer für den Ort. Das Wort in der Frage führte die SPD-Fraktion. Sie setzte eine Reihe von Ergänzungen in dem Empfehlungspapier durch, die Hintertürchen offenlassen. Damit will man die zuletzt vernehmbaren Kritiker einer Erweiterung der Kongresshalle – aus der eigenen Partei und aus der Geschichtsarbeit – einbinden. Diese Stimmen befürchten eine zu massive Störung des Erinnerungsortes aus der NS-Zeit durch einen Opern-Anbau.
So sollen vor einem Stadtratsvotum erst erwartbare Kosten und Zuschüsse aufgeschlüsselt werden, für die Kongresshalle und für ein Privatgelände im Vergleich. Die Kommission schließt weiterhin ausdrücklich keinen Alternativ-Standort aus – sofern es denn einen gäbe. Denn die Stadtverwaltung schätzt das Schöller-Gelände am Nordwestring als nur sehr bedingt geeignet ein. Die Messe wiederum hat nochmals ihre Abneigung dagegen bekräftigt, eine Halle an die Oper zu vermieten.
Rundgänge durch NS-Architektur
Zudem fordern die Sozialdemokraten "kurzfristig eine strukturierte Beteiligung von Bürgerschaft, Kulturschaffenden, Mitwirkenden der Erinnerungsarbeit und weiteren Interessierten". Das Theater soll darlegen, wie es sein Programm künstlerisch auf die Geschichte des Ortes ausrichten könnte. Auf welcher Seite der Kongresshalle ein Baukörper für Bühne und Zuschauerraum angebaut würde, soll erst einmal offen bleiben.
Auf den Wunsch nach Bürgerbeteiligung zog Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU) die Antwort gleich aus der Tasche: ein Veranstaltungsprogramm aus Rundgängen und Gesprächsmöglichkeiten ab Mitte November. Geplant sind bis in den Herbst 2022 hinein neun Veranstaltungen.
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