Kunstschätze aus der Ferne

Kontroverse um "Raubkunst-Frage": Südsee-Exponate in Nürnberger Norishalle

20.7.2021, 06:51 Uhr
Symbolbild: In der Nürnberger Norishalle befinden sich unter anderem Südsee-Exponate.

© Roland Fengler, NNZ Symbolbild: In der Nürnberger Norishalle befinden sich unter anderem Südsee-Exponate.

Es ist heute ein Aushängeschild des neuen Berliner Humboldt Forums. Historiker Götz Aly dokumentiert in seinem jüngst erschienenen Werk "Das Prachtboot", wie brutal, menschenverachtend und gierig Händler, Ethnologen und Soldaten vor über 100 Jahren Kunstschätze der Südsee geraubt und ins Deutsche Reich gebracht haben.

Ein kleines Modell des Luv-Boots steht in der Nürnberger Norishalle: Es ist eines von etwa 3000 Südsee-Exponaten der Naturhistorischen Gesellschaft (NHG). Masken, Boote, Köpfe, Figuren – die meisten Objekte liegen verschlossen im Depot. Nur ein winziger Bruchteil vermittelt den Besuchern in der Dauerausstellung einen Eindruck von der untergegangenen Kultur auf Papua-Neuguinea. NHG-Vorsitzende Gabriele Prasser ist erschüttert vom rabiaten Umgang der deutschen Kolonialherren vor über 100 Jahren: "Es ist herzzerreißend, was auf den Inseln der Südsee stattgefunden hat. Ich weiß nicht, warum ich nicht schon früher genauer hingeschaut habe." Denn die Frage, wie die Südsee-Objekte in die Sammlung der NHG gekommen sind, ist noch weitgehend unbeantwortet.

Blutige Geschichte Objekte aus anderen Völkerkunde-Museen haben eine blutige Geschichte: Historiker Aly berichtet, wie Einheimische Neuguineas von deutschen Militärbooten aus beschossen wurden, wie man ihre Dörfer niederbrannte und die Bevölkerung ins Innere der Insel trieb – und einen Teil der Ureinwohner ermordete.

Ihre Kulturgüter kamen auf unterschiedlichen Wegen nach Europa. Die Naturhistorische Gesellschaft erhielt viele Objekte im 19. Jahrhundert von Missionaren aus Neuendettelsau. Die Geistlichen sollten den Menschen in der Südsee den christlichen Glauben vermitteln. Auch der deutsche Gouverneur Albert Hahl auf Neuguinea steuerte einiges zur NHG-Sammlung bei. Ob die Kultgegenstände gewaltsam in den Besitz der Missionare und des Gouverneurs gekommen sind, ob sie geraubt, billig eingetauscht oder für einen fairen Preis abgekauft wurden – das ist nicht bekannt.

NHG-Vorsitzende Gabriele Prasser will nun eine Fachkraft für Provenienzforschung beauftragen, die Südsee-Bestände kritisch unter die Lupe zu nehmen: „Wir wissen noch viel zu wenig, wie die Objekte zu uns gekommen sind.“ Außerdem sollen die Südsee-Exponate aus dem Depot digital erfasst und so für eine größere Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden.

Kontroverse Diskussion Die „Raubkunst-Frage“ wird innerhalb der NHG sehr kontrovers geführt. Der Pfleger der ethnologischen Sammlung, Werner Feist, warnt vor einer zu einfachen Sichtweise: Man könne nicht bei jedem Gegenstand aus der Kolonialzeit von vornherein davon ausgehen, dass er gestohlen oder unehrlich erhandelt wurde.

Er weist darauf hin, dass in Neuguinea das Prinzip von Geschenken und Gegengeschenken üblich war, mit dem man sich gegenseitig Respekt erwiesen hat. Auch sei es möglich, dass Einheimische alte Götterdarstellungen bei den evangelischen Missionaren abgegeben haben, die sie im christlichen Glauben unterrichteten. Allerdings kann Feist auch nicht ausschließen, dass Südsee-Skulpturen einfach geraubt wurden.

Auf eine Unterscheidung legt der Fachmann großen Wert: Man müsse Südsee-Skulpturen aus der Kolonialzeit von jenen Exponaten trennen, welche die NHG seit Ende der 1980er Jahre erworben hat.

Bei letzteren handle es sich oft um Gegenstände aus Neuguinea, die gezielt für einen europäischen Markt hergestellt und als Handelsware verkauft wurden. Dies gilt beispielsweise für die ausgestellten „Sepik-Figuren“, die ein Münchner Religionslehrer nach dem Zweiten Weltkrieg gesammelt und später an die NHG veräußert hat, so Feist.


15. Dezember 1965: Grundstein für Norishalle


Die NHG ist bei der Frage, wie Südsee-Masken, Speere oder Boote aus der Kolonialzeit in ihren Besitz gekommen sind, noch ziemlich am Anfang. Die Digitalisierung und Auswertung von zahllosen Sitzungs-Protokollen der NHG, in denen über Neuerwerbungen seit 1801 berichtet wurde, ist längst nicht abgeschlossen. Ob man dort Antworten auf alle Fragen findet, ist ungewiss. Wenn eine Maske des 19. Jahrhunderts als Schenkung oder Ankauf verbucht wurde, woher weiß man, ob der Vorbesitzer sie wirklich rechtmäßig erworben hat? Für NHG-Vorsitzende Prasser ist klar, dass nicht alles lückenlos geklärt werden kann, aber: „Wir bleiben am Ball, wir nehmen das Thema sehr ernst.“