In der Nachkriegszeit abgerissen

Kiosk mit Romantikfaktor: Wer kennt noch das Hexenhäusle von der Bucher Straße?

Sebastian Gulden

19.7.2022, 08:01 Uhr
Diese Aufnahme der Zeit um 1914 zeigt das alte Hexenhäusle und das nagelneue Trafohäuschen, inklusive Rankhilfe für die Fassadenbegrünung, Seit an Seit. 

Diese Aufnahme der Zeit um 1914 zeigt das alte Hexenhäusle und das nagelneue Trafohäuschen, inklusive Rankhilfe für die Fassadenbegrünung, Seit an Seit.  © Richard Hirthe (Stadtarchiv Nürnberg)

Jetzt spinnnen’s total. Jetzt schreiben’s schon Artikel über Trafohäusla und Kioske", wird sich jetzt manch Leserin und manch Leser denken. Und ja, wir berichten heute über ein Trafohäuschen, aber nicht über irgendeines.

Denn die Geschichte des Exemplars, das da am Fuße des Kühbergs am Beginn der Bucher Straße steht, reicht viel weiter zurück, als die meisten glauben möchten. Direkt daneben stand einst jene "kleine putzige Zuckerbude, die von der Kinderwelt in Erinnerung an das Märchen von Hänsel und Gretel als ‚Hexenhäuschen‘ getauft worden ist", wie der Nürnberger Schriftsteller und Journalist Georg Gärtner 1926 schrieb. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Wirtschaft oben am Vestnertor, die diesen Namen erst in der späteren Nachkriegszeit gekapert hat.

Heute sind von den Bauten von 1914 nur das umgebaute Trafohaus und der Mietspalast Bucher Straße 10 im Hintergrund erhalten.

Heute sind von den Bauten von 1914 nur das umgebaute Trafohaus und der Mietspalast Bucher Straße 10 im Hintergrund erhalten. © Sebastian Gulden

Alteingesessene kennen noch das Nürnberger Original, und zwar im doppelten Sinne: den bulligen, altersschwachen Kiosk und dessen etwas schrullige, aber herzliche Inhaberin, die darin und davor Obst, Gemüse, frisches Brot und Süßwaren feilbot.

Vielleicht schon zur Dürer-Zeit eine Bude

Zu der Bezeichnung "Hexenhäusle" passt, dass sich sein Alter und sein ursprünglicher Zweck schwer bestimmen lassen, wie das bei sagenumwobenen Baulichkeiten gerne mal der Fall ist. Schon der Kartograf Hieronymus Braun hielt das Häuschen im Jahre 1608 auf seinem "Prospekt der Reichsstadt Nürnberg" fest, und auch das so genannte "Urkataster" von 1811 zeigt das Hexenhäusle in einem Hangeinschnitt an der inzwischen neu trassierten Bamberger, nachmals Bucher Straße. Gut möglich also, dass schon Albrecht Dürer den Bau bei seinen Streifzügen um die Noris gesehen hat.

Als es die Stadt 1887 von dem Fabrikarbeiter Georg Forster erwarb, diente das kleine Gebäude bereits als Ladengeschäft und firmierte unter den Bezeichnungen "Kramhäuschen", "Obsthäuschen" sowie – und hier kommen wir der Grimm’schen Märchenwelt wieder ganz nahe – "Knusperhäuschen". Und schon damals genoss das Büdchen mit Kaminofen und Plumpsklo Kultstatus, wirkte es doch mit seinen windschiefen, dicken Mauern und dem überstehenden Walmdach neben der modernen Hauptverkehrsstraße und inmitten der neuen Mietspaläste wie aus der Zeit (oder einem Märchen) gefallen.

Trafo-Station im Barockgewand

1914 stellte die Stadt Nürnberg dem uralten Verkaufsbüdchen einen großen Bruder zur Seite: An der Einmündung des Vestnertorgrabens errichtete man eine Transformatorenstation (Bucher Straße 8 a), die man äußerlich in dem Barock anverwandte Formen kleidete.

Wie einem Märchen entsprungen stand das Hexenhäusle anno 1913 an der Bucher Straße. In der heißen Jahreszeit bekam man hier auch eine erfrischende Limonade.

Wie einem Märchen entsprungen stand das Hexenhäusle anno 1913 an der Bucher Straße. In der heißen Jahreszeit bekam man hier auch eine erfrischende Limonade. © unbekannt (Stadtarchiv Nürnberg A38-C-128-01)

Schon 1939 aber waren die Tage dieser Architektur gezählt, als die nationalsozialistische Stadtregierung den städtebaulich exponierten Zweckbau radikal überarbeiten ließ. Paul Seegy und Walter Blaich fertigten die Pläne für den Umbau, der mit Rücksicht auf die nahe Kaiserburg, die Stadtmauer, vor allem aber auf Hitlers und Oberbürgermeister Willy Liebels pseudomittelalterliches Zerrbild der "deutschesten der deutschen Städte" mit einem überstehenden Walmdach und Fassaden mit einer Verkleidung aus Sandsteinvorsatzplatten versehen wurde.

Wer erinnert sich an die Inhaberin?

Im Gegensatz zur Trafostation von Blaich und Seegy ist das urige Hexenhäusle heute nicht mehr da. Angeblich soll es noch in den Nachkriegsjahren bestanden haben und dann irgendwann abgerissen worden sein.


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An der Westfassade der umgebauten Trafostation ließ die Stadt das Kleine Nürnberger Wappen und das Jahr der Baumaßnahme in einem Reliefstein verewigen.

An der Westfassade der umgebauten Trafostation ließ die Stadt das Kleine Nürnberger Wappen und das Jahr der Baumaßnahme in einem Reliefstein verewigen. © Sebastian Gulden

Und hier kommen Sie, unsere geschätzten Leserinnen und Leser, ins Spiel: Wer von Ihnen erinnert sich noch an das Hexenhäusle und seine Inhaberin? Persönliche Erinnerungen oder gar Bilddokumente sind uns höchst willkommen. Helfen Sie uns, ein Stück ganz besonderer Nürnberger Vorstadtgeschichte vor dem Vergessen zu bewahren!

Liebe Leser, haben Sie Informationen zum Hexenhäusle? Oder auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: lokales@vnp.de

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

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