Geschichte einer Nürnberger Vorstadtwelt
30.3.2021, 10:48 UhrBis 1979 mündete die Kantstraße in die Löbleinstraße. Das Teilstück bis zur Tellstraße wurde nach dem Ausbau der Schopenhauerstraße in Nietzschestraße umbenannt. An der Kreuzung der Nietzschestraße mit der Hegelstraße steht an der linken Straßenseite das Haus Hegelstraße 11. In Margarete zur Bentlages Roman "Am Rande der Stadt" wie in der Realität das Gasthaus "Zur Krone", nach der Besitzerfamilie auch unter dem Namen "Herzog" bekannt. Der hübsche Bau mit Zwerchhaus und Putzgliederung mit Anleihen an den Maximilianstil, heute erweitert und als reines Wohnhaus genutzt, dürfte zu den ältesten erhaltenen Bauten von Neugroßreuth aus der Zeit um 1870 gehören. In der "Krone" werden Intrigen gesponnen, Gerüchte gekocht, Hochzeiten gefeiert und das Sterben des Wirts mit Freibier zelebriert. Bis in die 1960er Jahre teilten sich die beiden Wirtstöchter Gasthaus und Metzgerei. Mancher Stammgast erinnert sich noch an die letzte Wirtin, die "Reddl" (Margarete Herzog).
Hier geht es zum ersten Teil unseres Rundgangs
In der Hegelstraße 7 gleich um die Ecke befanden sich Laden und Backstube des Bäcker- und Konditormeisters Paul Ringler (im Roman "Kringler"). Er gehört zu den Stammgästen der "Krone" und liefert die Torten zu Liebherrs Hochzeit. Dafür, dass er "hinter einem hellerleuchteten und unverhängten Fenster mitten in der Küche, in einem Waschschaff voller Wasser," sein Bad nahm, gibt es keine Zeugen.
Die Milch holte man in der Kanne bei "Jann Böcklein" (Hans Böcklein). Das Geschäft für Molkereiprodukte bestand – um Feinkost erweitert – bis 1971 in der Löbleinstraße 75 (zwischen Hegel- und Distelstraße). Dann wurde das Gelände von Eschenbach-Optik neu bebaut. Böcklein eröffnete in der nahen Tellstraße 8 einen größeren Feinkostmarkt, wo erst 2010 eine fast 120-jährige Familientradition endete. Der Eschenbach-Standort ist inzwischen selbst Geschichte – dort ist eine neue Wohnanlage im Entstehen.
Hier endet unser Ausflug mit Margarete zur Bentlage durch Neugroßreuth. Wer sich noch eine Zugabe gönnen möchte, überquert die Schopenhauerstraße in Richtung Neue Hegelstraße. Dort erhebt sich linkerhand die Friedrich-Hegel-Schule, 1961–1962 als neue Grundschule im Stadtteil errichtet, ein typisches, nicht uninteressantes Zeugnis der Wirtschaftswunderjahre. Biegt man am Westende des Altbaus der Schule nach rechts in die Mohnstraße ab, taucht man ein in eine ganz andere Zeit: Beim Anblick des Restkerns von Neugroßreuth könnten nostalgische Gefühle aufkommen. Die hiesigen ein- bis zweigeschossigen Häuser mit ihren Gartenumgriffen vermitteln noch heute ein anschauliches Bild der Siedlung jener Zeit, als die Neusiedler das Brachland zwischen dem Dorf Großreuth und der herannahenden Großstadt vereinnahmten. Oder man lässt sich auf das philosophische Gedankenspiel des Wirts der "Krone" über Raum und Zeit ein: "Das mache mir mal einer nach. . ., ich habe mich nicht von der Stelle gerührt und bin doch vom Land in die Stadt gekommen."
Touren zu Fuß oder mit dem Oldtimer
Wenn Sie selbst einmal in die Vorstadtwelt der Margarete zur Bentlage eintauchen möchten, können Sie den Roman "Am Rande der Stadt" bisweilen noch antiquarisch im Buchhandel erwerben (Paul List Verlag, München/Leipzig/Freiburg im Breisgau 1949).
Und wenn Sie Lust bekommen haben auf einen weiteren literarisch-stadtgeschichtlichen Spaziergang durch den Nürnberger Norden, führen Sie sich Zur Bentlages Novelle "Das ungeheure Lebenslied des Schneidermeisters Diezel" (Ditzel) zu Gemüte, die 1962 in dem Sammelband "Margarete zur Bentlage erzählt" ebenfalls im Verlag Paul List erschien. Darin pendelt ein alternder "Tonn Schuan", um seine rosig-zarten Fußsohlen zu schonen, mit der Straßenbahn zwischen seiner Wohnung in der Richard-Wagner-Straße 5 (1938 in Hoppertstraße umbenannt) und seinem Stammlokal "Adamsgarten" (ehemals Bayreuther Straße 23) hin und her.
Auf einer Oldtimertour der Straßenbahnfreunde dauert die Fahrt durch die Pirckheimerstraße auf dem alten "Burgring" keine zwei Minuten. Wenn Ihnen ihre rosigen Fußsohlen nicht zu schade sind, dauert es etwas länger, dafür bieten sich Ihnen hier ebenfalls hie und da interessante Einblicke in die Vergangenheit, den Wandel und die Gegenwart unserer Stadt zwischen den Zeiten Margarete zur Bentlages und heute.
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