Das Wahrzeichen vom Wöhrder See – der Norikus
12.9.2019, 13:34 UhrEr muss erhebend gewesen sein, der Anblick der gleich mächtigen weißen Zinnen in die Höhe strebenden Wohntürme über dem Wöhrder See, damals 1972. Sichtlich mit Stolz kritzelte die Absenderin unserer historischen Farbpostkarte in flotter Schulschreibschrift unter die Surfer auf der Bildseite: "Hier am See wohne ich."
Besonders spannend an unserem Motiv ist, dass nicht nur die Hoch-hausgruppe im Hintergrund damals nigelnagelneu war, sondern auch der See! Den nämlich – viele der jüngeren Leserinnen und Leser werden es nicht wissen – gibt es erst, seitdem man die Pegnitz 1968 aufgestaut hat, um den Nürnbergern einen neuen Freizeit-Hotspot zu bescheren und nebenbei den Hochwasserschutz zu verbessern.
Zuvor hatte sich die "Bengerz" durch eine weite, von Baumgruppen und Feuchtwiesen geprägte Auenlandschaft – das Wöhrder Tal – geschlängelt, wie man sie weiter östlich zwischen Erlenstegen und der Villenkolonie Ebensee noch heute erleben kann.
Den "Norikus", sozusagen die moderne Skyline passend zum See, schuf Architekt Harald Loebermann (1923–1996), dem wir auch die Pläne für die Meistersingerhalle am Luitpoldhain verdanken. Die gewaltige Wohnanlage, die aus drei Türmen und drei weiteren Blocks mit insgesamt 850 Appartements, einer Parkgarage und einer Ladenzeile besteht, entstand etwa zeitgleich mit der Anlage des Sees unter Ägide des Münchener DEBA-Konzerns, damals einer der am schnellsten wachsenden Vertreter der Baubranche. Seinen augenzwinkernden Namen, den heute fast jeder in Nürnberg kennt, verdankt der Koloss der angrenzenden Norikerstraße, die ihrerseits nach einem antiken Volk aus dem östlichen Alpenraum benannt ist.
Bestimmt gab es auch vor nunmehr 51 Jahren ein paar Menschen, die den Neubau mit einem weinenden Auge betrachteten, aus kulturhistorischen und kulinarischen Gründen. Denn auf dem Grund des Norikus zwischen Ostendstraße und Wöhrder See wurde einst Bier produziert.
Seit den 1880er Jahren breitete sich dort die Brauerei Johann Georg Zeltner mit ihrem Sudhaus, der Eismaschinenhalle, den Fasslagern und einem gewaltigen Schornstein aus. Von 1886 bis 1887 ließ sich Heinrich Zeltner senior am westlichen Rande des Brauereiareals von Maurermeister Stephan Gebhard eine mondäne Villa in Formen der Neorenaissance errichten, die von einem ehrfurchtgebietend großen Englischen Landschaftspark umgeben war.
Die Geschäfte liefen gut, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem die Bauten der Brauerei schwere Schäden hatten hinnehmen müssen, dachte Inhaber Kurt Zeltner nicht ans Aufgeben. Allein, die Stadt Nürnberg mochte die Industriegiganten aus rotem Klinker und den Malzduft nicht mehr dulden, und das schon lange bevor die Sache mit dem Plansch- und Surf-Dorado in die heiße Phase ging.
Immerhin, wie der Vorsitzende des Baukunstbeirats Heinz Buff anno 1956 bemerkte, "handelt es sich um eine der prominenten und städtebaulich seltenen Flächen in unserer Stadt, die sich für bedeutende Bauaufgaben von kulturellem Charakter besonders eignen würden". Bier- und Industriekultur waren darin leider nicht inbegriffen und so musste die Brauerei Zeltner, die noch heute existiert, an die Emmericher Straße in Mooshof umziehen.
Das spektakulärste Zeichen des Wandels kam 1969 mit der Sprengung des gewaltigen Brauereischlotes, und nur wenige Jahre später war von der Brauerei nichts mehr übrig. Nun liegt der Verdacht nahe, dass die Villa Zeltner dem Zeitgeschmack der Nachkriegszeit, die mit den Zeugnissen des Historismus meist wenig anzufangen wusste, zum Opfer gefallen ist.
Ruinenspielplatz für die Nachbarsjugend
Doch mitnichten: Tatsächlich war es eine britische Fliegerbombe, die das Gebäude 1943 derart lädierte, dass es, nachdem es noch eine Zeit lang als Werkstatt und Ruinenspielplatz für die Nachbarsjugend gedient hatte, 1961 vollends abgetragen werden musste. An seiner Stelle erstreckt sich jetzt der Parkplatz an der Norikusbucht.
Heute gehören der Wöhrder See und die Wohnanlage Norikus zu den Zeugnissen der jüngeren Vergangenheit in Nürnberg, die den Lamenti über die Sünden des Städtebaus und der Baukunst der Nachkriegszeit meist entgehen, vielleicht auch deshalb, weil der Stolz von 1972 noch immer nicht ganz erloschen ist.
Und wer weiß? Vielleicht wird auch der Norikus einst ganz offiziell ein Baudenkmal sein. Das wird zwar nicht jedem schmecken, aber würde der Denkmalschutz immer dem Volke auf den Mund schauen, müssten viele Nürnberger Mieter und Hauseigentümer heute wohl auf ihre heißbegehrten und gewinnbringenden Gründerzeit-Altbauten verzichten.
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