Mit einigen Modernisierungen besteht der Blickfang der 1950er Jahre noch heute. An Stelle der Rückgebäude und der Kraftwagenhalle trat in den Jahren 1994 bis 1995 das Kinozentrum "Cinecittà".
© Sebastian Gulden
Mit einigen Modernisierungen besteht der Blickfang der 1950er Jahre noch heute. An Stelle der Rückgebäude und der Kraftwagenhalle trat in den Jahren 1994 bis 1995 das Kinozentrum "Cinecittà".

Gleich am Cinecittà

Das Museumsschloss am Nürnberger Gewerbemuseumsplatz hat ein wunderhübsches Brüderchen

Wohl ein jeder kennt das frühere Bayerische Gewerbemuseum im Osten der Lorenzer Altstadt. Ist ja auch schwer zu übersehen, der gewaltige Klotz im Stil des Neubarock. Im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten des Prunkbaus steht im Norden des Gewerbemuseumsplatzes ein weiterer Mosaikstein des einstigen Komplexes der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA), auch dieser nicht eben klein, doch mit nur drei Stockwerken deutlich niedriger als sein Pendant.

In reichsstädtischer Zeit erstreckte sich hier der "Nonnengarten" des Katharinenklosters mit einem Weiher, der etwa an der Stelle des heutigen Cinecittà lag. Auf dieser Fläche breitete sich Ende des 19. Jahrhunderts die LGA aus. Neben dem 1891 bis 1897 nach Planung des Anstaltsdirektors Theodor von Kramer erbauten Museum, das Sammlungen, Vortrags- und Zeichensäle, Büros, Bibliothek und vieles mehr beherbergte, sah der Entwurf ein "Gebäude der technischen Abteilungen" (kurz "Laboratorium") vor. Während man sich im Hauptgebäude vornehmlich ästhetischen Fragen der Produkt- und Bauwerksgestaltung widmete, gingen die Ingenieure im Nebengebäude jenen Aufgaben nach, für die die Anstalt bis heute im öffentlichen Bewusstsein maßgeblich steht: der Erforschung und Prüfung neuer Werkstoffe und deren Anwendungsmöglichkeiten.

Der neobarocke Neubau – hier auf einer Ansicht von 1909 – stand in bewusstem Kontrast zu den kleinteiligen Strukturen der Altstadt rund um das Katharinenkloster.

Der neobarocke Neubau – hier auf einer Ansicht von 1909 – stand in bewusstem Kontrast zu den kleinteiligen Strukturen der Altstadt rund um das Katharinenkloster. © LGA Bayern/Sammlung Sebastian Gulden, A 2808

Nach dem anfänglichen städtebaulichen Entwurf hätte das Laboratorium zusammen mit dem Museum die neue Museumstraße rahmen sollen, die man in einem ziemlichen Gewaltakt durch das Wespennest brechen wollte – auf Kosten des Baubestandes und der Strukturen aus reichsstädtischer Zeit. Diese Radikalität war in gewissem Sinne die ideelle Fortsetzung dessen, was Lothar von Faber – er war 1869 ein Gründungsmitglied der Landesgewerbeanstalt – mit seinem Ringstraßenprojekt gefordert hatte.

Dazu kam es gottlob nicht. Dennoch lässt von Kramers 1899 bis 1900 umgesetzter Entwurf den Bezug auf die neue Straßenachse und das Museum erkennen. Er gestaltete das Vorderhaus in der Art eines dreiflügeligen Schlosses mit seitlichen Kopfbauten und einem zentralen Corps de Logis in neubarocken Formen. Entsprechend der Lehre des "Decorum", dem angemessenen Verhältnis von Formensprache und Nutzung eines Gebäudes, nahm sich die Außengestaltung im Vergleich zum Pomp des Hauptbaus etwas zurück. Im Norden zur Pegnitz hin schlossen sich die Werkhallen mit ihren Nebengelassen an.

Der Luftangriff vom 2. Januar 1945 ließ vom Gebäude der technischen Abteilungen nur Reste übrig. An eine Wiederherstellung in der alten Form war nicht zu denken.

Der Luftangriff vom 2. Januar 1945 ließ vom Gebäude der technischen Abteilungen nur Reste übrig. An eine Wiederherstellung in der alten Form war nicht zu denken. © Hochbauamt /Stadtarchiv Nürnberg, A 40 Nr. A40-L-3-1 A

Im Gegensatz zum Hauptbau überstand das Technikgebäude den verheerenden Luftangriff vom 2. Januar 1945 nicht: Ein Volltreffer ließ nur Reste der Umfassungsmauern übrig. Bei der Planung des Neubaus kam Richard Bickel zum Zuge. Neben Wilhelm Schlegtendal, Franz Reichel und Heinz Schmeißner gehörte er zu den prägenden Architekten der Wiederaufbauzeit. Sein 1954 bis 1955 umgesetzter Entwurf für die LGA wurde sogar 1957 in der Deutschen Bauzeitschrift gewürdigt.

Als Referenz ließ Architekt Bickel 1955 diese Außenaufnahme anfertigen. Das heitere Wetter und die am Straßenrand geparkten VW-Käfer versinnbildlichen den Zukunftsglauben der Zeit.

Als Referenz ließ Architekt Bickel 1955 diese Außenaufnahme anfertigen. Das heitere Wetter und die am Straßenrand geparkten VW-Käfer versinnbildlichen den Zukunftsglauben der Zeit. © Karl Kolb/Archiv Hildegard und Rolf Bickel

An Stelle des neubarocken Pomps trat die zurückhaltende, würdevolle Sprache der Nachkriegsmoderne. Der dreigeschossige Bauteil am Platz erhielt wieder eine Sandsteinfassade, nun mit gleichmäßigem Fassadenraster und profilierten Fenster- und Portalrahmungen; den Abschluss bildete ein weit überstehendes Walmdach.

Das Laboratorium am Gewerbemuseumsplatz erhielt ein zweites Leben

Nachdem die LGA ihren Standort am Rande der Altstadt gegen einen Neubau im Tillypark eingetauscht hatte, erhielt das Laboratorium Mitte der 1990er Jahre ein zweites Leben als Teil des städtischen Bildungszentrums und Sitz des Amtes für Kultur und Freizeit. Beim Umbau ging man allerdings so feinfühlig zu Werke, dass wesentliche Teile von Bickels Entwurf erhalten geblieben sind, so auch die asymmetrische Teilung der schlanken Fenster. Drinnen hat sich neben den originalen Türen und Bodenbelägen unter anderem die Haupttreppe erhalten. Verschwunden sind dagegen die Gebäudeteile an der Pegnitz mit ihren Betonrasterfassaden: Sie wurden 1994 für den Bau des "Cinecittà" gesprengt.

Man sieht: Nürnberg kann mit Nachkriegsarchitektur umgehen, selbst, wenn sie "nur" Ensembleschutz genießt. Das hätte manch privatwirtschaftlichem Unternehmen gut zu Gesicht gestanden, das seinen Büropalast an der Ringstraße namentlich in den 1980er und 1990er Jahren durch unpassende Umbauten ruiniert hat.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de. Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-Wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

Aufwändig recherchierte Artikel wie dieser sind in der Regel nur für Abonnenten lesbar – als besonderes Geschenk stellen wir diesen Text aber allen Nutzern zur Verfügung. Alle exklusiven Inhalte lesen Sie hier auf NN.de

Keine Kommentare