
Gleich am Cinecittà
Das Museumsschloss am Nürnberger Gewerbemuseumsplatz hat ein wunderhübsches Brüderchen
Wohl ein jeder kennt das frühere Bayerische Gewerbemuseum im Osten der Lorenzer Altstadt. Ist ja auch schwer zu übersehen, der gewaltige Klotz im Stil des Neubarock. Im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten des Prunkbaus steht im Norden des Gewerbemuseumsplatzes ein weiterer Mosaikstein des einstigen Komplexes der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA), auch dieser nicht eben klein, doch mit nur drei Stockwerken deutlich niedriger als sein Pendant.
In reichsstädtischer Zeit erstreckte sich hier der "Nonnengarten" des Katharinenklosters mit einem Weiher, der etwa an der Stelle des heutigen Cinecittà lag. Auf dieser Fläche breitete sich Ende des 19. Jahrhunderts die LGA aus. Neben dem 1891 bis 1897 nach Planung des Anstaltsdirektors Theodor von Kramer erbauten Museum, das Sammlungen, Vortrags- und Zeichensäle, Büros, Bibliothek und vieles mehr beherbergte, sah der Entwurf ein "Gebäude der technischen Abteilungen" (kurz "Laboratorium") vor. Während man sich im Hauptgebäude vornehmlich ästhetischen Fragen der Produkt- und Bauwerksgestaltung widmete, gingen die Ingenieure im Nebengebäude jenen Aufgaben nach, für die die Anstalt bis heute im öffentlichen Bewusstsein maßgeblich steht: der Erforschung und Prüfung neuer Werkstoffe und deren Anwendungsmöglichkeiten.

Nach dem anfänglichen städtebaulichen Entwurf hätte das Laboratorium zusammen mit dem Museum die neue Museumstraße rahmen sollen, die man in einem ziemlichen Gewaltakt durch das Wespennest brechen wollte – auf Kosten des Baubestandes und der Strukturen aus reichsstädtischer Zeit. Diese Radikalität war in gewissem Sinne die ideelle Fortsetzung dessen, was Lothar von Faber – er war 1869 ein Gründungsmitglied der Landesgewerbeanstalt – mit seinem Ringstraßenprojekt gefordert hatte.
Dazu kam es gottlob nicht. Dennoch lässt von Kramers 1899 bis 1900 umgesetzter Entwurf den Bezug auf die neue Straßenachse und das Museum erkennen. Er gestaltete das Vorderhaus in der Art eines dreiflügeligen Schlosses mit seitlichen Kopfbauten und einem zentralen Corps de Logis in neubarocken Formen. Entsprechend der Lehre des "Decorum", dem angemessenen Verhältnis von Formensprache und Nutzung eines Gebäudes, nahm sich die Außengestaltung im Vergleich zum Pomp des Hauptbaus etwas zurück. Im Norden zur Pegnitz hin schlossen sich die Werkhallen mit ihren Nebengelassen an.

Im Gegensatz zum Hauptbau überstand das Technikgebäude den verheerenden Luftangriff vom 2. Januar 1945 nicht: Ein Volltreffer ließ nur Reste der Umfassungsmauern übrig. Bei der Planung des Neubaus kam Richard Bickel zum Zuge. Neben Wilhelm Schlegtendal, Franz Reichel und Heinz Schmeißner gehörte er zu den prägenden Architekten der Wiederaufbauzeit. Sein 1954 bis 1955 umgesetzter Entwurf für die LGA wurde sogar 1957 in der Deutschen Bauzeitschrift gewürdigt.

An Stelle des neubarocken Pomps trat die zurückhaltende, würdevolle Sprache der Nachkriegsmoderne. Der dreigeschossige Bauteil am Platz erhielt wieder eine Sandsteinfassade, nun mit gleichmäßigem Fassadenraster und profilierten Fenster- und Portalrahmungen; den Abschluss bildete ein weit überstehendes Walmdach.
Das Laboratorium am Gewerbemuseumsplatz erhielt ein zweites Leben
Nachdem die LGA ihren Standort am Rande der Altstadt gegen einen Neubau im Tillypark eingetauscht hatte, erhielt das Laboratorium Mitte der 1990er Jahre ein zweites Leben als Teil des städtischen Bildungszentrums und Sitz des Amtes für Kultur und Freizeit. Beim Umbau ging man allerdings so feinfühlig zu Werke, dass wesentliche Teile von Bickels Entwurf erhalten geblieben sind, so auch die asymmetrische Teilung der schlanken Fenster. Drinnen hat sich neben den originalen Türen und Bodenbelägen unter anderem die Haupttreppe erhalten. Verschwunden sind dagegen die Gebäudeteile an der Pegnitz mit ihren Betonrasterfassaden: Sie wurden 1994 für den Bau des "Cinecittà" gesprengt.
Man sieht: Nürnberg kann mit Nachkriegsarchitektur umgehen, selbst, wenn sie "nur" Ensembleschutz genießt. Das hätte manch privatwirtschaftlichem Unternehmen gut zu Gesicht gestanden, das seinen Büropalast an der Ringstraße namentlich in den 1980er und 1990er Jahren durch unpassende Umbauten ruiniert hat.
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