Zeitzeugenbericht
Das Grauen, in Worte gefasst: So erinnerte sich ein Feuerwehrmann an den 2. Januar 1945 in Nürnberg
10.1.2023, 11:01 UhrÜber den "Schicksalstag" der Nürnberger Altstadt, den 2. Januar 1945, ist schon viel gesprochen und geschrieben worden. Unserem Leser Werner Jülka kam jüngst ein Zeitzeugenbericht eines Angehörigen der Feuerwehr in die Hände, der mit eigenen Augen sah, wie Nürnberg in jener Nacht in Flammen stand.
Am Abend des 2. Januar 1945, einem sonnigen, aber kalten Wintertag, ging "des Reiches Schatzkästlein" im Hagel britischer Luftminen, Spreng- und Stabbrandbomben unter. 1835 Menschen verloren in dem Inferno ihr Leben, über 3000 wurden verletzt. Fast die gesamte Altstadt mit ihren wertvollen Bau- und Kunstdenkmalen wurde vernichtet. Das Grauen und die unermessliche Zerstörung sind für die, die nicht dabei waren: kaum zu begreifen.
Als Angehöriger der Nürnberger Berufsfeuerwehr in der Feuerwache-West war Andreas Weiß, damals 50 Jahre alt, Zeuge des Grauens, gegen das er und seine Kollegen anzukämpfen versuchten – meist vergeblich. 1954 schrieb er für seinen Freund und Kollegen Johannes Zeit seine Erinnerungen an die Bombennacht nieder: zweieinhalb dicht beschriebene Schreibmaschinenseiten, die das Grauen in Worte zu fassen versuchen.
"Die Straßen sind wie ausgestorben"
78 Jahre später folgen wir, begleitet von wörtlich zitierten Ausschnitten des Berichts, den Spuren des Oberbrandmeisters und sehen uns an, wie einige der Orte, an denen er im Einsatz war, nach der Katastrophe und heute aussahen und aussehen.
"Um 18.54 Uhr war Fliegeralarm. An den Zielmarkierungsbomben, die die Führungsflugzeuge abwarfen, war ersichtlich, daß der Angriff der Altstadt gilt. Nach dem Einflug der ersten Staffeln erfolgten die Einschläge der schweren Sprengbomben […]. Um 19.45 Uhr ruft die örtliche Luftschutzleitung an: Rathaus und Burg brennt […]. Während die Züge [der Feuerwehr] in Richtung Ring fahren, fliegen die feindlichen Flugzeuge nach Westen ab […]. Die Einfahrt durch das Hallertor war durch die Steinquader der zerstörten Sandsteingebäude versperrt. Am Neutor mußte gewendet werden, da auch hier die Einfahrt nicht möglich war. Am Mohrentor gelingt die Einfahrt über Maxbrücke – Augustiner – Winklerstr. zum Rathaus. Die Straßen sind wie ausgestorben. Ab und zu kracht ein Zeitzünder. Aus den Fenstern und Dächern dringt Rauch, viele Brände sind im Entstehen […]."
Manches kann erfolgreich gelöscht werden
"Das alte Rathaus ist an der Nord- und Südseite von Sprengbomben schwer getroffen und brennt entlang dem Rathausplatz in ganzer Ausdehnung. Im Rathaus-Neubau in der Theresienstr. steht der Dachstuhl in Flammen […]. Auf der Nordseite das Dominikaner-Kloster, in dem die Stadtbücherei untergebracht war und auf der Ostseite das Kraft’sche Haus, von denen das Feuer in die Gänge eindringt. Hitze und Brandrauch sind fast unerträglich. Die Männer am Stahlrohr müssen immer wieder abgelöst werden, doch die Arbeit hat sich gelohnt, bis auf einige Räume blieb der Bau erhalten."
"Vom Übergang zum alten Rathaus kann man die Theresienstr. und einen Teil der Laufer-Gasse überblicken. Von den brennenden Bürgerhäusern stürzt eines nach dem anderen zusammen, die in den Kellern gebliebenen Bewohner müssen elend umkommen, kein Mensch kann ihnen helfen. Von der Sebalduskirche bis zum Hauptmarkt ist die Straße mit den Steinen der eingestürzten Häusern verschüttet, dazu kommt, daß Rauch und Funkenflug das Vorwärtskommen bei der Erkundung sehr erschwert. Rund um den Marktplatz brennen alle Häuser, auch die Frauenkirche. Eine Einfahrt ist nirgends möglich."
Pfarrer und Mesner kämpfen gegen die Flammen
"Auf dem Weg zum Albrecht-Dürer-Platz, treffe ich mit dem Pfarrer der Sebalduskirche zusammen, der mich um Löschhilfe ersucht. Im südlichen Seitenschiff der Kirche, hat sich das Feuer vom Ostchor bis zum Südturm ausgedehnt […]. Daß in jener Nacht die Kirche dem Feuer nicht zum Opfer fiel, ist einzig das Verdienst des Kirchenrats Veit und seines Meßners, die statt im sicheren Bunker zu gehen, den Selbstschutz in ihrer Kirche ausübten und erst als sie allein nicht mehr fertig wurden, die Feuerwehr herbeiholten. Die Kirche fiel leider mit samt ihren Türmen, bei der Besetzung der Stadt, dem Artilleriefeuer zum Opfer […]."
"Am südlichen Albrecht-Dürer-Platz wurde das Feuer mit starken Leitungen aufgehalten. Ein alter Mann, der der Feuerwehr zusah, wurde vom einstürzenden Giebel der Bayer.-Vereinsbank erschlagen […]. Am Pilatushaus vorbei, wurde eine Schlauchleitung auf der Stadtmauer in das Innere der Burg gelegt. Die Frauenkemenaten im Nordwestteil der Burg waren schon zerstört, das Dach des Hauptbaues eingestürzt. Durch eine Öffnung im Schutt konnte man in die noch erhaltene Halle u. von dort in die Heidenkapelle gelangen. Schauerlich war von der Halle aus das brennende Nürnberg anzusehen."
Weiß, der 1963 starb, beendet seinen Bericht mit dem Wunsch: "Möge ein gütiges Geschick unsere Vaterstadt vor solchen Katastrophen in Zukunft verschonen." Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Ein nüchterner und doch bewegender persönlicher Bericht macht den Schrecken des Bombenkrieges fassbar.
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