Katholisch-Apostolische Gemeinde

Architektur mit Gewicht: Diese Kirche in Wöhrd, die jeder vom Vorbeifahren kennt

Sebastian Gulden

15.3.2022, 14:30 Uhr
Das heutige Aussehen der Kirche lässt kaum vermuten, dass in dem unscheinbaren Turm noch Teile des Ursprungsbaus von 1913/1914 stecken.  

© Sebastian Gulden Das heutige Aussehen der Kirche lässt kaum vermuten, dass in dem unscheinbaren Turm noch Teile des Ursprungsbaus von 1913/1914 stecken.  

Nürnberg war mal ganz vorn dabei – zumindest in der Architektur. Von der Reichsstadtzeit bis zum Ende der Weimarer Republik zündeten die örtlichen Baumeister und Architekten beständig eine neue Rakete baukünstlerischer Exzellenz, die oft weit über die Grenzen der Stadt ausstrahlte. So wundert es nicht, dass die erste Kirche auf bayerischem Boden, deren Konstruktion im Wesentlichen aus modernem Eisenbeton besteht, in Nürnberg errichtet wurde.

Wie aus Oberbayern verpflanzt

Dabei wirkte das Gotteshaus alles andere als progressiv, sondern vielmehr so, als habe man eine altbairische Dorfkirche flugs in die Großstadt verpflanzt, genauer gesagt an den westlichen Rand des Nürnberger Stadtteiles Wöhrd. Die Rede ist von der Katholisch-Apostolischen Kirche in der Hirsvogelstraße 4. Um die vorletzte Jahrhundertwende hatte die Glaubensgemeinschaft, die sich 1831 in Großbritannien gebildet hatte, mit rund 60.000 Menschen in 348 Gemeinden ihre größte Mitgliederzahl im Deutschen Reich erreicht. Entsprechend groß war der Bedarf an Kirchengebäuden für die vier werktäglichen und die beiden Sonntagsgottesdienste.

Bei ihrer Vollendung 1914 zeigte sich die Katholisch-Apostolische Kirche als neubarocke Saalkirche mit Fassadenturm und Welscher Haube. Der eingezogene Chor hatte wegen des Zuschnittes des Grundstücks nach Süden ausgerichtet werden müssen.  

Bei ihrer Vollendung 1914 zeigte sich die Katholisch-Apostolische Kirche als neubarocke Saalkirche mit Fassadenturm und Welscher Haube. Der eingezogene Chor hatte wegen des Zuschnittes des Grundstücks nach Süden ausgerichtet werden müssen.   © unbekannt (Stadtarchiv Nürnberg A34 Nr. A34-1425)

Unverwüstlich konstruiert

Auf der Suche nach einem geeigneten Architekten für ihre neue Kirche wandte sich die Nürnberger Gemeinde 1912 vertrauensvoll an Paul Johannes Rée, seines Zeichens Bibliothekar des Bayerischen Gewerbemuseums, Professor für Kunstgeschichte an der Kunstgewerbeschule und so etwas wie Nürnbergs Architekturkritiker-Papst, dessen Wort in der örtlichen Baukunstszene großes Gewicht hatte. Dieser empfahl Karl Adolf Brendel.

1870 in Nördlingen geboren, hatte Brendel seine Ausbildung unter anderem beim hochdekorierten Friedrich von Thiersch an der Technischen Hochschule in München absolviert. 1911 begründete er mit seinem Kollegen Max Kälberer in Nürnberg eine eigene Architektensozietät. Statt den Bau auf traditionelle Weise aus Ziegeln und Sandstein zu errichten, griff Brendel in die Trickkiste des modernen Ingenieurwesens, die man eher bei einem Fabrikbau vermuten würde als bei einer Kirche. Er entwarf ein Grundgerüst aus Stützen und Bindern aus Beton mit eisernen Bewehrungen darin, das die Nürnberger Eisenbeton-Baugesellschaft errichtete.

Was komplex klingt, brachte der Gemeinde eine enormen Ersparnis an Bauzeit und Kosten und machte das Kirchlein noch dazu statisch einigermaßen unverwüstlich – zumindest fast, wie wir gleich sehen werden. Wer den Bau nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, ahnte davon später nichts, denn das hochmoderne Gerippe lag bei der Weihe der Kirche 1914 unter einer ganz und gar traditionellen Haut in einfachen, aber malerischen neubarocken Formen.

Es war dies typisch für den katholischen Kirchenbau der Zeit in Mittelfranken. Viele Zuzügler kamen aus katholischen Gebieten in Mittel- und Oberfranken und der Oberpfalz. Die barocken Kirchenneubauten mit ihren Welschen und Zwiebelhauben, ihren hellen Putzfassaden, ihren Säulenaltären und Deckenfresken brachten ein Stück alte Heimat in die Fremde. Und dann vertrug sich eine solche, wenngleich etwas fremdartige Architektur dann doch wesentlich besser mit dem Bild des damals noch fast völlig erhaltenen alten Marktortes Wöhrd als ein hochtrabender Prunkbau in spröden neuromanischen oder neugotischen Formen.

Luftangriffe zerstörten die Substanz

Wie durch ein Wunder überstand der zierliche Neubarockbau die Bombennacht vom 11. auf den 12. August 1943. Als der Wöhrder Lokalhistoriker Georg Schaller bald darauf mit der Kamera durch die ausgebrannten Gassen seines Viertels zog, fand er das Gotteshaus noch intakt vor. Die folgenden Luftangriffe jedoch leisteten ganze Arbeit. Hatte Gemeindevorstand Wilhelm Jochem noch 1955 versprochen, "das äußere Erscheinungsbild soll würdig und schlicht bei solider Bauweise gehalten werden", erwies sich die Instandsetzung schließlich als unmöglich.

Die Kirche wurde 1955/56 wiederaufgebaut. Nachdem das alte Langhaus abgerissen worden war, bezog man einen Teil des alten Turmes in den Neubau ein. Im Hintergrund ist der Altbau des Ohm-Technikums zu sehen.  

Die Kirche wurde 1955/56 wiederaufgebaut. Nachdem das alte Langhaus abgerissen worden war, bezog man einen Teil des alten Turmes in den Neubau ein. Im Hintergrund ist der Altbau des Ohm-Technikums zu sehen.   © unbekannt, Archiv Verlag Nürnberger Presse

Doch auch der Abbruch der Ruine strapazierte Nerven und Geldbeutel der Gemeinde, denn an eine simple Sprengung war aus Sicherheitsgründen nicht zu denken – es musste ein konventioneller Abbruch sein. 1956 schon war das neue Gotteshaus der Gemeinde vollendet. Allein, der außen wie innen äußerst nüchterne, flache und zurückhaltende Bau mit seinem dreiteiligen Portal und dem kleinen Atriumhof zündete nicht mehr so richtig bei den Betrachtern und der Architekturkritik.

Alter Turm im neuen

Was der Laie nicht ahnt: In dem schlichten Campanile, der ein wenig wirkt wie der Schlauchturm eines Feuerwehrhauses, steckt noch die originale Substanz von 1914. Seit einigen Jahren ist es ruhig geworden um die unscheinbare Kirche, sehr ruhig. Die Glaubensgemeinschaft kämpft mit dem Überleben, denn seit dem Tod des letzten Apostels ist es nicht mehr möglich, hohe kirchliche Amtsträger zu weihen.


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1943 entstand dieser Schnappschuss vom Hadergäßchen aus, der den neubarocken Kirchturm scheinbar unversehrt zwischen ausgebrannten Häuserruinen zeigt.  

1943 entstand dieser Schnappschuss vom Hadergäßchen aus, der den neubarocken Kirchturm scheinbar unversehrt zwischen ausgebrannten Häuserruinen zeigt.   © Georg Schaller (Sammlung Sebastian Gulden)

Was dereinst aus der Kirche werden wird, ist ungewiss. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Meilenstein Nürnberger und bayerischer Baukunst und an ein Stück altbairische Dörflichkeit mitten in der Großstadt.

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